~ 1 Woche später ~
Das Singen der Spotttölpel weckt mich. Meine besten Freunde schaffen es jeden morgen, mir gute Laune zu verschaffen, trotz den harten Umständen in Distrikt 11. Doch nicht an diesem Tag. Der Tag der Ernte. Mein erstes Mal, da ich vor einer Woche zwölf geworden bin.
Mein Blick schweift über meine schlafenden Schwestern. Sie sehen so friedlich aus. Natürlich, sie können ja noch nicht ausgelost werden. Ich könnte es nicht ertragen, eine von ihnen zu verlieren, nicht in den Spielen, die so brutal sind.
Ich stehe auf, obwohl es zu früh ist, da ich ohnehin nicht mehr schlafen könnte. Ich ziehe mich an und gehe nach draussen. Die Sonne geht gerade auf und ihre Strahlen tauchen den Obstgarten in morgendliches Licht.
Im Nachbarshaus sehe ich Daisy am Gelände stehen. Ihre Augen starren ausdruckslos in die Ferne, ihre Finger krallen sich an das Holz. Sehrwahrscheinlich kann auch sie nicht schlafen. Aus dem selben Grund.
Ich laufe zu ihr und versuche fröhlich zu klingen : "Hi Daisy!" Sie grüsst zurück, doch sie kann ihre Angst vor dem heutigen Tag nicht verbergen. " Auch draussen um frische Luft zu schnappen und auf andere Gedanken zu kommen?" Ich nicke. "Wir werden das durchstehen", sage ich zuversichtlich und umarme Daisy. "Möge das Glück stehts mit uns sein", flüstert sie.
"Schau Rue, ich hab dir ein Kleid rausgelegt", sagt mir meine Mutter als ich wieder nach Hause komme. Auch meine Schwestern sind schon wach. "Danke", sage ich nur und gehe ins Bad. Ich schrubbe mir den Schmutz vom Körper und ziehe das Kleid an. Meine wilden Locken lasse ich offen. An diesem Tag müssen alle Kinder gut aussehen. Meiner Meinung nach totaler Schwachsinn. Genau an dem Tag, den wir alle fürchten.
"Du siehst so hübsch aus!" Tulip, meine kleine Schwester, betrachtet mich mit ihren grossen, braunen Rehaugen. "Ach nicht doch, du bist da die Hübsche!" Ich umarme sie. "Du wirst doch wiederkommen oder?", fragt sie und ihre Stimme ist zittrig. Sofort bildet sich ein Kloss in meinem Hals. Hoffentlich.
Es ist Zeit zum Platz zu gehen. Ich bin wahnsinnig nervös. Eine Frau sticht mir in den Finger und nimmt eine kleine Blutprobe mit der sie mich indentifiziert. Schon viele Kinder haben sich versammelt. Auch deren Familien stehen rund um den Platz, darunter meine Eltern und meine fünf Schwestern. Ich reihe mich unter die Zwölfjährigen ein und warte. Ich versuche das Zittern zu unterdrücken, dass meinen ganzen Körper zu erschüttern droht.
Eine bunt gekleidete Frau betritt die Tribüne, die Betreuerin für die diesjährigen Tribute. Sie ist völlig fehl am Platz, mit ihrem kitschigen Kostüm und den farbigen Haaren. Die Frau zeigt uns einen Film über die Entstehung der Hungerspiele. Man sieht ihr im Gesicht an, dass sie den Film liebt. Ich aber finde ihn einfach nur schrecklich und sehe gar nicht richtig hin.
"Kommen wir zu der Auslosung unserer mutigen Tribute, die Distrikt 11 an den jährlichen Hungerspielen vertreten werden. Ladys first!", sagt sie mit ihrem grässlichen Kapitolakzent. Sie stolziert auf die Glaskugel zu, in der unteranderem auch mein Name einmal drin ist.
'Nur einmal ist dein Name drin, Rue', sage ich mir selbst, 'nur ein einziges verdammtes Mal!'
Die Kapitolfrau greift nach einem Zettel und öffnet ihn. Sie schaut in die Menge, ihr gefällt es, uns auf die Folter zu spannen. Nervös kaue ich auf meiner Lippe. 'Bitte nicht ich, bitte nicht ich!' Ich kneife meine Augen zu. Alle halten den Atem an, man kann die Anspannung in der Luft spüren. Laut liest sie den Namen vor: " Rue ...!"
Weiter höre ich nicht hin, ich bin die einzige die Rue heisst. Ich höre einen verzweifelten Schrei in der Menge. Vielleicht meine Mutter oder Viola. Doch ich stehe wie betäubt da, unfähig mich auch nur zu bewegen. Alle meine Muskeln sind gelähmt vor Schreck. Nein, nein, ich muss mich verhört haben. Das kann einfach nicht sein, warum ich? Was habe ich getan, um so bestraft zu werden? Nichts, reiner Zufall. Oder vielleicht Schicksal? Bestimmt erwache ich gleich! Doch leider ist es kein Albtraum. Es ist die harte Realität. Und das muss ich einsehen.
Ich versuche meinen zittrigen Körper unter Kontrolle zu kriegen während meine Gedanken rasen. "Komm schon!", ruft die Kapitolsfrau übertrieben fröhlich. Ich spüre die Blicke der ganzen Menge auf mir, die sich zu mir gedreht hat. Mein Atem geht nur stockweise und Schweissperlen bilden sich auf meiner Stirn, als ich mich langsam in Bewegung setze. Schritt für Schritt nähere ich mich dem Podest wo mich die Frau ungeduldig erwartet, mit dem Gewissen, dass ich mich so meinem Tod nähere. Qualvoll in der Arena.
"Endlich", seufzt die Kapitolsfrau und hilft mir rauf. Nun stehe ich da, ausgelost zum Sterben. Durch einen Tränenschleier erkenne ich meine Mutter in der Menge, die ihr Gesicht in der Schulter meines Vaters vergraben hat. Meine Geschwister weinen, obwohl ich mir nicht sicher bin, dass sie alle verstehen, was das genau für mich bedeutet.
Ich kann den Anblick meiner traurigen Familie nicht ertragen. Schnell schaue ich weg und auf meine Füsse. Eine warme Träne kullert über meine Wange und hinterlässt eine feuchte Spur. Jetzt muss ich sie für immer verlassen. Meine Familie, die ich überalles liebe.
Ich bin so in Gedanken versunken, dass ich die Auslosung meines Mittributs gar nicht mitbekomme. Darum ist der Schock umso grösser, als ich entdecke um wen es sich handelt. Mit gesenktem Blick steht er neben mir. Tresh!
Ich kenne ihn schon sehr lange, er ist schon fast wie ein grosser Bruder für mich und meine Schwestern. Seine Familie hat meiner immer geholfen, wir haben uns gegenseitig unterstüzt. Am liebsten würde ich laut losheulen, aber ich verkneife es mir. Ich darf keine Schwäche zeigen, die Ernten werden allen Tributen gezeigt. Und eine heulende zwölfjährige würde ihnen schnell als Opfer auffallen.
Aber eigentlich bin ich sowieso schon so gut wie tot.
KAMU SEDANG MEMBACA
Rue- Das Mädchen, das mit den Spotttölpeln singt (THG)
Fiksi PenggemarJeder kennt die mutige Verbündete von Katniss, das Mädchen, das mit den Spotttölpeln sang. Sie war zu jung und zu lieb. Grausam musste sie in Panems 74. Hungerspielen sterben. Ohne ihre kleine Freundin wäre Katniss vielleicht nicht da, wo sie jetzt...