1. 816 oder auch der Anfang

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Gelangweilt kickt sie ihren Rucksack in eine Ecke ihres kleinen aber  durchschaubaren Zimmers. Klein aber fein sagt sie immer. Das nötigste ist drin. Das Bett, der Schreibtisch und der weiße, überfüllte Schrank,  ihrer Mutter nach. Wenn es um sie ginge, könnte sie nie genug haben. Sie liebte es Neues auszuprobieren, anders sein, sich nicht um die anderen zu Scheren und dafür mahnende Blicke und harsche Worte von ihrem zu  konservativen Onkel gespielt betrübt anzunehmen, jedoch einfach nur Worte Worte  sein lassen, und sich weiter ihrer Sturheit hinzugeben. Jedoch war sie grade an diesem Punkt, vor dem sie sich irgendwie fürchtete. Und nein, es war nicht der achtzehnten Geburtstag, der einen vermeintlichen in ein  neues Leben taucht. Nein, den hatte Sie schon hinter sich. Es war viel mehr das Ende der Schulzeit. Jeder und das wirklich jeder um sie herum  hatte schon einen Plan, was der oder diejenige in 3 Tagen machen wollte.  Zwar war die Schule dann noch nicht endgültig vorbei, jedoch der Unterricht. Die restlichen Monate würden noch die Abiturklausuren, die  mündlichen Prüfungen, das Sommerkonzert und natürlich der Abiball stattfinden. Jedoch hatten alle schon diese Zeit verplant. Entweder mit lernen oder arbeiten. Denn meist gab es drei Wege für Schüler nach dem Abitur.

1. Universität
2. Freies Soziales Jahr oder Arbeiten
3. Gap year

Gap year. Ein Begriff aus dem Englisch. Nicht mehr nicht weniger bedeutend, als dass man ein Jahr Pause nach der Schule macht. In Deutschland meist verwendet, um auszudrücken, dass man ins Ausland gehen will. Ob als Au-pair nach Frankreich, als Entertainer auf Malle, ein Work and Travel  durch Australien, oder einfach dem American Dream folgen. Egal was es  war, man brauchte Startkapital. Das hieß arbeiten, großzügige Eltern haben oder reiche und großzügige Eltern haben. Es reicht schließlich nicht, wenn die Eltern reich sind, aber geizig.
Sie hingehen wusste nicht welchen Weg sie eingehen wollte. Natürlich drängten ihre Eltern oder ihr Onkel sie. Jedoch nicht zum  Entscheiden, sondern zum einen. Studieren. Am besten Medizin oder Jura um im späteren Leben von der Gesellschaft als etwas anerkannt zu werden. Jedoch mochte sie dieses Denken gar nicht. Sie würde sich wahrscheinlich ziemlich wohl in der Kindheit ihrer Mutter fühlen. Flowerpower, peace, make love not  war. Paar Schlagwörter, die einem sofort in den Sinn kommen, wenn man das Wort Hippie oder Woodstock hört. Ihre langen blonden Haaren passten schonmal ins Bild, jedoch wusste man bei ihr nie, wie lange sich das  äußere halten würde.

Sich an den Schreibtisch setzend, knetete sie ihre normal großen Hände durch und legte einen von ihren vielen Billigkulis in ihre rechte  Hand. Wie viele man auch kaufen würde, immer würden sie verschwinden,  noch bevor man sie leer schreiben könnte. Ähnlich wie mit den Labellos, von welchen sie auch mehrere besaß. Ob weil es zur Gewohnheit wurde sie zu benutzt, oder weil sie sich einen Kussmund wünschte ist schwer einzuschätzen. Wahrscheinlich beides.
Ihren schon zur Hälfte bekritzelten Block öffnete sie auf einer leeren Doppelseite und schrieb in extra dicken Großbuchstaben "MY FUTURE" als Überschrift.
Minuten vergingen, doch die Seite blieb leer. Bis sie jedoch vom Aufleuchten ihres neben ihr liegenden Handys zurück in die Gegenwart geholt wurde. Auf dem Bildschirm erschien eine Instagram-Meldung. Wie fast jeder  Teenager hatte sie auch die App heruntergeladen und postete fleißig  Bilder aus ihrem Leben.
"hua1_cr liked your picture"

Da sie so oder so mit ihrem eigentlichen Vorhaben auf dem Schlauch stand, nahm sie sofort ihr Handy zur Hand und tippte auf das Instagram-Symbol. Die farbenfrohe App öffnete sich und sofort wurde ihr ihr  Post von vor zwei Jahren angezeigt. Auf dem Foto abgebildet, sie und im Hintergrund der Ozean. Aber nicht irgendein Ozean, die Küste von Busan, Südkorea. Das Bild hatte ihre Mutter damals für sie geschossen, als beide noch auf ihrem ersten und letzten gemeinsamen Urlaub waren. Damals hatte ihre Mutter noch K-Dramen geschaut und sie sich hingebungsvoll  dem Tanzen und der koreanischen Musik gewidmet. Ihr gefiel es wirklich dort, nicht wegen der Musik oder Filmbranche, sondern wegen den ganzen schönen Erinnerungen mit ihrer Mutter und den liebenswerten Menschen,  die ihnen immer geholfen haben, als die beiden Europäerinnen hoffnungslos durch die Gegend wanderten. Ein weiterer Grund war, dass die Stadt nie schlief. Früh am Morgen fuhren schon Massen an Menschen zur Arbeit. Tagsüber schlenderten Unmengen an jungen Leute durch die Straßen um zu shoppen oder zu essen. Abends war die Stadt fast genauso  hell, wie tagsüber. Arbeitnehmer tranken zusammen in kleinen Bars, um den Kummer des Tages wegzuspülen und sich mental wieder auf den nächsten Tag voller harter Arbeit vorzubereiten, Clubmusik hallte die Straßen runter und regelrechte Schlangen über mehrere Häuser bildeten sich, um in die sowieso schon überfüllten engen Räume reinzukommen.
Es hat sie sehr fasziniert und damals, das weiß sie heute noch, wollte sie, wenn sie endlich Volljährig wäre wieder hinreisen, um ein Teil von diesem Leben zu werden.
Grade als sie ihre Mutter zum Essen rief, kritzelte sie noch schnell und  ziemlich unleserlich etwas auf die einst leere Doppelseite.

Lost - Mad City|| NCTWo Geschichten leben. Entdecke jetzt