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Es verging eine gefühlte Ewigkeit, während ich ungeduldig auf Manu wartete. Die Gedanken wirbelten in meinem Kopf, und ich beschloss, mich erst einmal vorzustellen. Mein Name ist Maurice Dormer (oder so ähnlich), und ich bin 15 Jahre alt, Schüler in der 9. Klasse eines Gymnasiums. Ein Eigenbrötler in meinen jungen Jahren, lebe ich derzeit allein, da meine Eltern mich offenbar nie besonders mochten und ich zu Hause sonst dem Tod durch Totschlag zum Opfer gefallen wäre. Mein Weg zum Geldverdienen führt mich durch die virtuelle Welt von YouTube, wo ich als Maudado bekannt bin – die Personifikation der Niedlichkeit, wie man mir immer wieder versichert. Meine wahren Freunde habe ich in Zombey, Manu und Paluten gefunden, doch selbst in dieser vermeintlich sicheren Umgebung werde ich mit Manu regelmäßig zum Ziel von Mobbingattacken. Ja, wir beide gehen noch zur Schule und befinden uns sogar in derselben Klasse.

In jeder Hinsicht lebe ich eine Lüge, denn ich behaupte konstant, 25 Jahre alt zu sein (Fun Fact: Ich hatte gestern, am 03.02.2019, Geburtstag), während ich gerade erst die Marke von 15 Jahren überschritten habe. Doch bevor ich mich weiter in meine Gedanken vertiefe, kehre ich zur aktuellen Situation zurück.

"Manu, wir haben in 5 Minuten einen Aufnahmetermin. Du kannst mich doch nicht mit den anderen dann alleine lassen", ruft jemand.

"Heyyyy!" ertönt es aus dem Hintergrund von Paluten.

"Hallo!" meldet sich Zombey zu Wort.

"Hiiii!" schallt es fröhlich von mir.

"Wo bleibt denn Manu? Sonst ist er doch immer der Erste, der da ist", wundert sich Paluten.

Pov. Manu:

Mein PC fährt gerade noch hoch, und schon öffne ich den TS und betrete den Server der anderen.

"Hey", begrüße ich sie.

"Wo warst du? Sonst bist du doch nie so spät", wirft Paluten ein.

"Naja... ich hab's fast schon vergessen, dass wir einen Termin haben", erkläre ich.

Paluten schüttelt den Kopf und sagt: "Egal, lass uns anfangen."

Die Aufnahme verläuft wie gewohnt, und nach dem Abschluss verkündet Paluten routiniert: "Vergesst nicht, einen Like dazulassen, wenn es euch gefallen hat, und schaut bei den anderen vorbei. Sie sind ganz oben in der Videobeschreibung verlinkt. Tschau tschau!"

Wir warten noch 20 Sekunden, damit Paluten einen sauberen Cut setzen kann.

"Sooo... was ich eigentlich schon die ganze Zeit fragen wollte... Manu, was ist los? Du warst heute so zurückhaltend", fällt ihm auf.

Und schon ist es passiert. Ich merke nicht einmal, wie mir langsam die Tränen kommen und sich wie die Niagarafälle auf meinem Gesicht ausbreiten.

"Manu, was ist los?" fragt Micha besorgt.

Ich bin nur noch am Schluchzen.

"Ist es wegen... du weißt schon, was?" wirft Dado ein.

"Wegen was?" fragt Paluten.

"Ach, nichts so Wichtiges", versucht Dado abzulenken.

"Aber das hört sich ganz anders an", insistiert Micha.

"Ich muss noch etwas erledigen... wir können gerne morgen weiterreden... Tschau", murmle ich und verlasse den Chat.

Ich habe gerade bemerkt, dass ich mich erklären musste, um nicht die Wahrheit erzählen zu müssen. Das hätte ich nicht geschafft. In letzter Zeit lasten viele Dinge auf mir: das Mobbing, die Freundschaft zu Palle, meine Homosexualität, der Kampf gegen Depressionen, die Angst zur Schule zu gehen... Alles überfordert mich gerade, und ich sehne mich einfach nach Unterstützung und ein wenig Erholung. Doch wie das Schicksal es so will, kommt alles anders als erhofft.

Pov. Dado

Die Abwesenheit von Manu ließ eine unangenehme Spannung im Raum zurück. Micha durchschaute die Situation und brach das Schweigen:Micha: Dado, gibt es etwas, das du weißt und wir nicht?Diese direkte Frage setzte mich unter Druck. Wie sollte ich darauf antworten? Einerseits wollte ich Manu nicht verraten, andererseits konnte ich meine Freunde nicht im Unklaren lassen. Ein Dilemma.

Micha: Ich warte...Dado: Es tut mir leid, aber ich kann es euch nicht mitteilen. Ihr müsst verstehen, dass ich Manu nicht im Stich lassen will. Gleichzeitig möchte ich euch jedoch nicht belügen.Palle: Natürlich verstehen wir das, wir sind schließlich keine 15 mehr!Micha: Aber du musst auch uns verstehen. Wir machen uns Sorgen um euch, um Manu, und können ihm nicht helfen, wenn wir nicht wissen, was los ist.Dado: Mmh... ich verstehe das durchaus. Ich denke, ich werde morgen mit ihm sprechen. Vielleicht gelingt es mir, ihn dazu zu bewegen, es euch zu erzählen. Dann können wir gemeinsam nach einer Lösung suchen.

Palle: Ja, bitte Maudado, mach das!Dado: Ich werde es versuchen, aber ich kann keine Garantie geben!Micha: Dann muss ich wohl kurz schneiden!Dado: Dito!Palle: Also gut, bis morgen.

Ich verließ den Sprachkanal und ließ einen Moment der Erleichterung zu. Es wäre verführerisch gewesen, sich zu offenbaren, doch ich konnte es nicht riskieren. Eine Explosion meiner Emotionen hätte die gut aufgebaute Tarnung zerstören können. In Wirklichkeit gab es nichts mehr zu schneiden, nur das Hochladen des vorproduzierten Videos stand an. Die Uhr zeigte bereits 22:00 Uhr an. Zudem erinnerte mich der leere Magen daran, dass ich noch nicht gekocht hatte. Eine Bestellung schied aus, also blieb mir keine Wahl, als mich in die Küche zu begeben und etwas zu kochen. Mit diesem Mikrowellen-"Backofen" würde das sicherlich etwas Zeit in Anspruch nehmen.

Pov. Micha

Ein Geheimnis umgab Manu und Maudado, und es schien größer zu sein, als wir uns vorstellen konnten. Dado schwieg beharrlich, und dies verstärkte die Besorgnis um unsere Freunde. Ich bemerkte nicht nur die Unruhe bei Manu, sondern auch Maudados bedrückte Stimmung. In diesen Momenten sehnte ich mich danach, bei ihm zu sein, ihn zu trösten und zu helfen. Aber dann bremste mich die Erinnerung daran, dass wir nur Freunde waren. Auch wenn ich mir mehr wünschte, musste ich die Realität akzeptieren. Und dabei kannte ich nicht einmal sein Aussehen.Die Gedanken überwältigten mich, und der Wunsch, Maudado persönlich zu treffen, wurde immer drängender. Aber wie sollte ich das anstellen? Wie konnte ich seine Privatsphäre respektieren und dennoch einen Weg finden, näher an ihn heranzukommen?Die Uhr tickte unaufhaltsam, und die Frage nach einer Lösung drängte sich auf. In meinem Inneren wuchs der Wunsch, mehr über Maudado zu erfahren und ihm beizustehen. Doch dieser Weg schien von Unsicherheiten und ungewissen Hindernissen gepflastert zu sein.

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