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Kapitel 6

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Alison

Mehrere Tage sind vergangen und so langsam, ganz langsam, komme ich wieder mit meinem Alltag klar. Die erste Nacht lag ich komplett wach und habe jeden Moment damit gerechnet, dass er durch mein Fenster steigt. Genau wie in den ganzen romantischen Teenie Filmen. Ich muss zugeben, dass ich gehofft habe, dass er es tut. Aber er kam nicht.

Patrick arbeitet, wie immer, gerade sehr viel. Und ich muss sagen, dass ich froh darüber bin. Ich habe keinen Nerv für ihn und seine komischen Ticks.

Ich versuche mich auf mich zu konzentrieren. Mache Sport, gehe mit Pumba joggen und genieße das schöne Wetter draußen. Ich lese sogar schon das ein oder andere Buch, das für die Abschlussprüfungen relevant ist.

Meinen Eltern versuche ich aus dem Weg zu gehen. Ich kann nicht gut lügen und sie sehen mir sofort an, wenn etwas anders ist als sonst. Und das ist es, ich bin anders. Kann man sich überhaupt innerhalb eines Momentes verändern?

Das Bild, das er so unverhohlen angestarrt hat, macht mich nostalgisch. Ich krame nach alten Fotoalben. Sie sind so tief unter meinem Bett vergraben, dass ich vollständig darunter kriechen muss und mein kompletter Bauch plus Beine plus Haare voller Staub sind. Aber ich habe keine Lust zu duschen. Ich schnappe mir mein liebstes, rotes Album und Pumba und gehe zu meiner Lieblingsstelle. Dem See.

Ich setze mich auf den Baumstumpf. Wie schon so häufig. Pumba kennt das Prozedere und sucht sich eine Beschäftigung. In seinem Fall ist das Vögel beobachten.

Ich habe dieses Album seit über zwei Jahren nicht mehr durch geschaut, weil ich schwach bin. Weil ich Angst habe. Vor dem Schmerz der Erinnerung.

Ich schlage es auf, eine jüngere Mom und ein jüngerer Dad lächeln in die Kamera. Ich habe sie Ewigkeiten nicht mehr so glücklich gesehen. Auf der zweiten Seite sehe ich ein Bild von mir als Neugeborenes, danach zwei Bilder von meinem ersten und meinem zweiten Geburtstag. Dann ein Bild von ihr. Als Neugeborenes. Bildhübsch, unschuldig und total bezaubernd. Hinter meinen Lidern brennt es, wie Feuer. Ich presse das Album an meine Brust. Und versuche nicht laut loszuheulen.

Ich zwinge mich weiter zu blättern, es folgen Bilder von uns beiden und von uns vier. Einschulung, Geburtstage, Hochzeiten. Wir strahlen immer, wir sehen aus wie DIE perfekte Familie. Dabei wäre nichts weiter von der Wahrheit entfernt. Ich lege das Buch zur Seite, versuche mich zu beruhigen und gleichzeitig den Schmerz zu zulassen.

Pumba stubst mich an. Ich weiß, was er sagen will. Komm wir gehen schwimmen. Ich schüttele nur den Kopf.
"Nein, Süßer. Gerade nicht."
Aber er bleibt beharrlich, fängt sogar an mich anzuknurren. Ich liebe diesen Hund mit seinem riesigen Dickschädel!

Ich ziehe mir mein Top über den Kopf und schiebe meinen Rock nach unten. Ich habe keinen Bikini an, aber das ist mir egal. Der See ist für die meisten eh zu abgelegen.

Und ich liebe das Wasser, den See und die Stille.

Ich schnappe mir noch ein Stöckchen und renne runter. Pumba bellt und springt begeistert um mich rum. Er freut sich so.
Wir balancieren auf einem Baumstumpf, der ins Wasser gekippt ist. Ich werfe den Stock und springe Pumba hinterher.

Ich kraule mehrere Runden und lasse mich dann auf dem Rücken treiben. Meine Augen sind geschlossen und für den Moment ist alles gut.

Als ich später aus dem Wasser steige, zittere ich vor Kälte, wegen den ganzen Bäumen kommt wenig Licht zum See. Deshalb ist er, obwohl es Anfang August ist, ziemlich kühl.

Pumba wartet bei meinen Sachen. Es ist Abend geworden und die Sonne geht gerade unter. Ich bewundere den See und die Bäume. Alles ist in ein wunderschönes gleißenden Licht getaucht.

Jemand räuspert sich. Ich zucke erschrocken zusammen und strauchle. Das Ufer auf dieser Seite ist ziemlich rau und uneben.

Kurz bevor ich falle, greifen zwei Arme um meine Taille und bewahren mich vor dem Sturz. Ruckartig drehe ich mich um und schaue in seine Augen. Die Augen, die mich von der ersten Sekunde in ihren Bann gezogen haben. Die Augen, die zu dem unverschämtesten Typen gehören, den ich je gesehen habe. Mein Mund ist staubtrocken und ich schlucke schwer.

Was zur Hölle macht er hier? Mit diesen muskulösen Armen, dem markanten Kinn und diesen strahlenden Augen. Von diesem lässigen, verführerischen Grinsen mal abgesehen.

Aber seine Züge sind weich, als will er mich davon überzeugen, dass er mir nichts tut. Kein Zucken spielt um seine Mundwinkel, kein verächtliches Schnauben. Er lässt das auf sich wirken. Diesen Moment. Genau wie ich.

Talk dirty to me | AbgeschlossenWhere stories live. Discover now