Hunt

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Mein Herz klopfte im selben Takt, in dem ich rannte. Mit jedem Pochen setzten meine Pfoten kurz auf dem Boden auf, bevor sie mich mit einem kraftvollen Sprung weiter beförderten. Jeder meiner Muskeln hatte sich unter meinem Fell bis zum Zerreißen angespannt und ich konnte ihre stahlharte Kraft bei jedem lautlosen Sprung fühlen. Ich hörte das Blut mit dem Adrenalin der Jagd durch meine Adern rauschen, es pochte in den Ohren. Und dennoch nahm ich jede Bewegung, jedes Geräusch um mich wahr. Unter meinen Pfoten wusste ich um den tiefen Schnee. Doch glücklicherweise war die oberste Schicht in der Nacht vereist, sodass es mit etwas Übung möglich war, nicht einzubrechen und dabei ein verräterisches Geräusch von sich zu geben. Abgesehen vom hellen Vollmond der an manch lichteren Stellen durch den tief verschneiten Tannenwald schien und dem Schnee dadurch eine eigenartig grau-gelbe Färbung verlieh, war es Stockdunkel. Und da hörte ich es. Ein tiefes Schnauben aus den Nüstern eines Hirsches. Noch zu weit weg, um ihn zu sehen, nah genug um ihn zu hören. Ich wusste, dass mein Rudel, das sich in unmittelbarer Nähe im Wald verteilt hatte, ihn im selben Moment gehört haben musste.

Nur wenige Sekunden danach sah ich ihn bereits aus der Ferne. Hinter einem Baum blieb ich unbemerkt stehen, wissend, dass ein Rudel sich bereits fast gleichzeitig ebenfalls in Position begeben hatte. Wir waren eine Einheit. Jeder wusste zu jeder Zeit, wo er zu sein und was er zu tun hatte. Rechts von mir hörte ich meinen Cousin schnaufen. Er war noch jung. Zu jung um zu wissen wie er leise sein musste. Hätten wir Pech gehabt, wäre die gesamte Mühe damit im vergebens gewesen. Doch wir hatten Glück. Der Hirsch schien unvorsichtig, schwerhörig oder dumm zu sein. Oder jegliche Kombination davon. Im nächsten Moment hörte ich ein Heulen. Das Heulen meines Vaters, der damit das Signal für den Angriff gab. Der Hirsch hob seinen Kopf. Seine schwarzen Augen sahen sich vollkommen verängstigt um. Er begann unruhig im Kreis zu laufen. Ich rannte los, sowie sämtliche Mitglieder des Rudels. Wir schlossen einen Kreis um ihn. Einen Kreis des Todes. Seine Augen zuckten in alle Richtungen. In ihnen spiegelte sich nun die nackte Panik. Ich hörte wie er einen leisen Schrei ausstieß und schneller zu Atmen begann. Ich sollte ihn töten wollen. Aber das wollte ich nicht. Ich sollte ihn zerfetzen und fressen wollen, aber das wollte ich nicht. Ich solle ihm keine Gnade gewähren wollen. Aber das wollte ich. Das berauschende Gefühl der Jagd war verschwunden. Ich konnte seine Angst sein Leid seine Verzweiflung sehen. Ich konnte sie nachempfinden. Ich wollte sie sogar nachempfinden, lieber als sie zu verursachen. Ich sah seine braunen treuen Augen, bevor mein Vater, der Alpha wieder zu laufen begann. Genau auf den Hirsch, nein nicht den Hirsch, unsere Beute, unser Abendessen, ermahnte ich mich, zu. Nur Beute redete ich mir selbst ein, wobei ich mich zwang nicht in seine Augen zu sehen. Des Tier hörte auf sich wie wild im Kreis zu drehen, sondern rannte von meinem Vater weg, genau in die gegenüberliegende Richtung. In Richtung meines Bruders, Sage. Dieser Biss ihm ins Bein, während sämtliche andere Wölfe, inklusive mir uns näher an den Hir... , nein die Beute wagten. Das Tier stieß einen Schrei aus, sank aber nicht zu Boden. Dennoch ließ mich der Schrei erzittern und innehalten. Ich blieb stehen, zwang mich aber nicht wegzusehen, als mein anderer Bruder Finn zu einem Sprung ansetzte und dem Hirsch mit einem gezielten Biss die Kehle aufriss. Die Vorderbeine des Hirsches gaben nach, er sank zu Boden, während er seinen dritten, seinen bestimmt letzten Schrei ausstieß. Keinen Schrei der Schmerzen, einen der Verzweiflung der sich durch den nächtlichen Wald bohrte und die Stille zerriss, wie sich die Zähne meines Bruders durch sein Fleisch gebohrt und seine Kehle aufgerissen hatten. Ich bewegte mich auf den.... das Tier zu, das blutend langsam zusammenbrach. Das Rudel versammelte sich um den im sterben liegenden Hirschen. Setzte sich und begannen dem Vollmond für das Fressen zu danken. Begannen zu heulen und zu schreien und vertrieben die Stille. Doch ich nicht. Ich sah den Hirsch an, blieb weiter entfernt stehen. Mich weigernd irgendjemandem oder irgendetwas für das Monster zu danken, das ich war. Ich sah mein dem Mond zuheulendes Rudel an, welches nichts von meinen Gefühlen bemerkte und dann wieder in die fast schwarzen Augen des Hirschs, während sämtliches Leben aus eben jenen Augen schwand und sie Essenz seines Lebens auf den Schnee tropfte, der sich dunkelrot färbte, währen ich dachte:

Ich war nicht wie mein Rudel.

Ich wollte nicht wie mein Rudel sein.

Ich würde nicht wie sie sein.

Nein, Niemals.



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⏰ Last updated: Jan 09, 2020 ⏰

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Der einsame Wolf in der GruppeWhere stories live. Discover now