Eins

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ZOE

Ich hatte nun seit 9 Jahren, 4 Monaten, 3 Wochen, 4 Tagen und 3 Stunden nicht mehr getanzt. Und seit 9 Jahren, 4 Monaten, 3 Wochen, 4 Tagen war mein Lebenstraum geplatzt. Ich wollte Tänzerin werden, die großen Bühnen dieser Welt erobern und das Publikum mit Piouretten und anderem Zeug beeindrucken. Nur ging das mit einem amputierten Bein leider schlecht. Noch schlechter ging es, wenn man kein Geld für eine Prothese hatte und deshalb mit einem Rollstuhl vorlieb nehmen musste. Kurz: Mein Leben machte mich depressiv. Meinte jedenfalls die Psychologin.

Aber die Leute meinen so allerhand. Mein Vater zum Beispiel meinte, wir hätten kein Geld dafür, mir Taschengeld zu geben, (und kaufte sich jährlich ein neues Auto) was das Sparen auf eine Prothese äußerst schwierig macht. Meine Mutter meinte, der Psychologin glauben zu müssen und wollte mich - ihr quicklebendiges und fröhliches Kind - zur Selbsthilfegruppe für Depressive schicken. Mein Vater meinte wieder, wir hätten kein Geld dafür. Meine Mutter schickte mich trotzdem hin. Also hockte ich mich jeden Dienstag in die Ecke im Jugendhaus und schwieg.

Viel lieber hätte ich Ballettstunden gehabt, wäre über die Tanzfläche geschwebt und hätte alles andere hinter mir gelassen.

Ich hatte seit über 9 Jahren nicht mehr getanzt, aber ich wusste noch immer, wie es sich anfühlte, wie ich die Musik in mich einsog, als würde ich sie atmen, und wie sich die ganze Welt in eine Bühne verwandelte. In meine Bühne.

SINA

"Welches soll ich nehmen? Das Blaue oder das Weiße?", rief ich meiner besten Freundin Chloe zu. "Hmm... Komm mal her!", brüllte sie zurück. Ich nham beide Kleider in die Hand und ging vorsichtig zu Chloe. Sosehr ich es auch liebte, mit ihr shoppen zu gehen, sosehr hasste ich es auch, wenn alle Leute mich anstarrten. Obwohl - sie starrten nicht mich an, sondern meine Narben. Brandwunden, die über meinen ganzen Körper verteilt waren. Sie starrten auf meine Erinnerungen, und in solchen Momenten hasste ich das Shoppen. In solchen Momenten wünschte ich, ich hätte den Waldbrand vor neun Jahren nicht überlebt. Ich hatte schon alle möglichen Psychologen ausprobiert, aber niemand hatte mir helfen können. Mein Trauma war da und würde immer dasein. Die Psychologen sagten, es zerstöre mein Leben, und da hatten sie ausnahmsweise einmal Recht. Mein Leben hatte mehr oder weniger normal verlaufen können, hätten diese Narben nicht meinen Traum zerstört. Ich weiß, es klingt mädchenhaft, aber mein ernsthafter Lebenstraum war das Modeln. Ich sah mich manchmal vor meinem inneren Auge auf einem Laufsteg, tausend Leuten schauten zu mit auf - und dann sah ich, wie sie starrten. Angeekelt starrten sie auf mich und meine Narben, und deshalb ließ ich solche Tagtraüme lieber. Ich wollte nicht, dass die Leute in mir meine Vergangenheit sahen, sondern wollte einen Neuanfang starten. Einen Neuanfang, in dem ich meinen Lebenstraum verwirklichte. In dem ich mutig war, und nicht ängstlich durch mein Leben kroch. Ich wollte meine Vergangenheit hinter mir lassen, doch meine Narben ließen mich nicht.

"Nimm das Weiße.", sagte Chloe.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 12, 2014 ⏰

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Träume "Coming Soon in a few years"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt