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❥ Herzschlag Sechs

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Am frühen Nachmittag saßen wir alle zusammen bei einem verspäteten Mittagessen und schaufelten die Pizzen, die ich für meine Helfer bestellt hatte, in uns hinein

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Am frühen Nachmittag saßen wir alle zusammen bei einem verspäteten Mittagessen und schaufelten die Pizzen, die ich für meine Helfer bestellt hatte, in uns hinein.

Noah und Hannes waren immer noch verschwunden, doch Ziania versicherte mir, dass Hannes mit Sicherheit Noah beruhigen könne. Ein mulmiges Gefühl spürte ich dennoch in meinem Bauch und ich fragte mich, ob es die richtige Entscheidung war, mit Noah in einen Haushalt zu ziehen.

Ziania verstand sich sofort wunderbar mit meiner Familie und meinen Freunden. Es war, als würden wir alle sie schon seit Ewigkeiten kennen. Sie hatte diese herzliche Art an sich, durch die man sie einfach mögen musste. Leonie und sie diskutierten gerade mit Jamal über einen Film, als plötzlich mein Handy klingelte.

Als ich auf dem Bildschirm den Namen meiner Chefin aufflackern sah, ahnte ich schon, was sie wollte.

»Gehe ich richtig in der Annahme, dass jemand krank geworden ist?«, fragte ich statt eines „Hallo".

»Es tut mir so leid, dich aus deinem freien Wochenende holen zu müssen, aber Maria ist krank geworden«, beteuerte Frau Peinert. »Könntest du heute und morgen die Spätschicht übernehmen? Du bekommst dafür nächstes Wochenende frei.«

Umso lieber ich nach meinem anstrengenden Umzugstag abgesagt hätte, desto mehr wusste ich auch, dass ich im Grunde keine Wahl hatte. Wir waren gnadenlos unterbesetzt und irgendjemand musste schließlich die Patienten versorgen.

»Ja, werde ich machen«, sagte ich mit einem leisen Seufzer.

»Vielen Dank, du bist ein Schatz«, flötete Frau Peinert und ich hatte das Gefühl, förmlich zu hören, wie eine Last von ihren Schultern fiel.

»Gerne«, log ich und beendete das Gespräch.

»Wer war das?«, Ziania wirkte merkwürdigerweise alarmiert.

»Meine Chefin, ich muss heute und morgen die Spätschicht übernehmen. Jemand ist krank geworden, deswegen wurde mein freies Wochenende eine Woche nach hinten verschoben.« Ich zuckte missmutig mit den Schultern.

»Das geht nicht!«, protestierte Ziania zu meiner Überraschung lautstark.

»Wieso nicht?«, wollte ich verwirrt wissen und zog fragend die Augenbrauen hoch.

»Das kann ich dir nicht sagen«, murmelte sie. »Um wieviel Uhr kommst du denn wieder?«

»21:30 Uhr, falls alles glatt läuft, wieso?« Langsam interessierte mich wirklich, wieso Ziania das unbedingt wissen wollte. Hatte sie etwas geplant?

»Nur so.« Ziania versuchte beiläufig zu klingen, doch ich merkte, dass etwas im Busch war. Bevor ich jedoch nach haken könnte, mischte sich Jamal ein.

»Du musst endlich lernen, auch mal Nein zu sagen«, beschwerte er sich. Wie immer, wenn er sich aufregte, kam sein nigerianischer Akzent durch. Er hatte zwar nur die ersten drei Jahre seines Leben dort gelebt, doch seinen Eltern war es wichtig gewesen, dass er seiner Muttersprache und seiner Kultur treu blieb. Seine Eltern waren sehr streng und hatten ursprünglich eine junge Frau aus Nigeria ausgesucht, die seine Frau werden sollte, doch Jamal hatte sich stattdessen für Leonie als seine Freundin entschieden. Die blasse, schmale Blondine kam anfangs garnicht gut bei seinen Eltern an, doch entgegen aller Erwartung schaffte es Jamal, sich gegen seine Eltern durchzusetzen. Er war ein Meister darin, Situationen zu entschärfen und obwohl seine Eltern immer noch nicht begeistert waren, akzeptieren sie die Entscheidung ihres Sohnes mittlerweile.

»Du weißt doch, wie das ist. Irgendjemand muss die Tour fahren«, versuchte ich mich zu verteidigen. »Nächstes Mal sage ich Nein.«

»Du verschiebst immer alles aufs nächste Mal ... du bist einfach zu gutmütig. Du musst lernen, tougher zu werden - so wie mit Noah heute. Das war eine ganz neue, wilde Seite von dir« Jamal grinste mich an. »Nur, wenn man auch mal die Ellenbogen ausfährt, kommt man im Leben weiter.«

Ich nickte nur und war mir nicht sicher, ob ich ihm zustimmten sollte. Ich mochte es, freundlich und zuvorkommend zu sein, doch dieser Streit mit Noah hatte so viele Emotionen in mir hochkochen lassen - und irgendwie hatte es sich gut angefühlt ...

•••

Es gab Tage, an denen in einer Schicht alles perfekt lief; an denen nichts Unerwartetes geschah und man mit Bravour alle seine Aufgaben noch vor der vorgegeben Zeit erledigt hatte; an denen man nach getaner Arbeit voller Energie war und Bäume hätte ausreißen können, weil man sich so enthusiastisch und kraftvoll fühlte. Dieser Tag war keiner davon.

Ich saß erschöpft und verschwitzt im Auto und konnte es kaum erwarten, endlich nach Hause zu kommen. Auf meinem Kasack prangte knapp unter der Brusttasche ein etwa faustgroßer dunkler Blutfleck. Eine Patientin war gestürzt und durch ihren Blutverdünner war es kaum möglich gewesen, die Blutung zu stoppen. Ich hatte ihr einen Druckverband angelegt und ihr emotionalen Beistand geleistet, bis der Krankenwagen eingetroffen war.

Ein anderer Patient hatte sich so stark eingenässt, dass mir nichts anderes übrig geblieben war, als ihn komplett zu duschen. Als er den Duschkopf festhalten sollte, damit ich ihn in Ruhe einseifen konnte, dachte er sich wohl, dass meine sicherlich schon müffelnden Füße auch eine Erfrischung gebrauchen könnten.

Neben verdreckter, verschwitzer Kleidung und hoffnungslos zerzauster Haare waren deshalb auch meine Füße vollkommen durchnässt.
Ich sehnte mich nach einer säubernden Dusche, als ich in unsere Straße einbog.
Verwundert sah ich mich um.

Hier standen ungewöhnlich viele Autos, doch ich war zu kaputt um darüber nachzudenken. Ich fand einen Parkplatz am Bordstein etwas entfernt von unserer Wohnung und lief den Rest.

Ich war müde und fühlte mich unwohl in meinem verdreckten Zustand. Obwohl ich mich gut mit der menschlichen Anatomie auskannte, hatte ich das Gefühl, mir taten Bereiche meinen Körper weh, von denen ich noch nicht einmal gewusst hatte, dass sie wehtun konnten.

Der ganzer Tag - von meinem Einzug und dem Schleppen der schweren Kartons, über den nervenaufreibenden Streit mit Noah, bis hin zu meiner stressigen Schicht, in der ich, sowohl emotional als auch körperlich, an den Rand meiner Kräfte gekommen war - hatte mich vollends verschlungen. Er hatte mich in sein miefiges Maul gesteckt; mich mit seinen spitzen Zähnen zermalmt und dann durch die enge Speiseröhre gedrückt; der Magensaft hatte mich verätzt und schlussendlich wurden mir alle verwertbaren Stoffe entzogen und ich wurde als nutzloses Abfallprodukt ausgeschieden.

Ich versuchte mich aufzumuntern, indem ich an den Nährstoffkreislauf dachte. Selbst das scheinbar nutzloseste Abfallprodukt konnte als Dünger für Pflanzen dienen und diese wiederum stellten Luft her und Nahrung für uns Menschen. Im Grunde war ich wohl nicht so nutzlos, wie ich mich fühlte. Ich hatte eine wichtige Aufgabe erfüllt, die mich stolz machte, doch nun musste ich erstmal neue Kraft auftanken, damit ich nicht endete wie fast alle Pflanzen, die ich bisher in Obhut hatte - vertrocknet. Zum Glück war ich mittlerweile auf Kakteen umgestiegen.

Erleichterung durchfloss meinen Körper, als ich endlich an der Haustür des Gebäudes ankam und diese hastig aufschloss. Ich konnte es kaum erwarten, in die Dusche zu gehen!

Diese Erleichterung und Vorfreude auf einen wohlig warmen Wasserstrahl verließ mich jedoch, als ich vor der Tür unserer Wohnung ankam und schon von draußen laute Bässe wummern hörte.

Eine Party. Das hatte mir in meinem Zustand noch gefehlt.

 Das hatte mir in meinem Zustand noch gefehlt

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One Heartbeat apartWhere stories live. Discover now