K A P I T E L 4

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Der Montagmorgen kam schneller, als Harry lieb war und sobald der Wecker ihn aus dem Schlaf riss, spürte er, wie sein Herz schwer wurde. 

Er wollte bei bestem Willen nicht gleich in der Friedhofskapelle stehen und seine große Liebe zu Grabe tragen - so sehr er sich auch anstrengte, es sich vorzustellen, ohne in Tränen auszubrechen, es funktionierte nicht. Noch bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, strömten Tränen über sein Gesicht und er sank zurück in sein Kissen. 

Seine Arme schlangen sich um den Teddy, den Lennart ihm zu Beginn ihrer Beziehung geschenkt hatte, und vergrub schniefend seine Nase im weichen Fell des Stofftieres, bis er sich schließlich beruhigt hatte. 

Doch kaum dass er sich unter die Dusche gestellt hatte und das lauwarme Wasser auf seine Schultern prasselte, spürte er, wie seine Kräfte ihn abermals verließen. Sich darum bemühend, das Gleichgewicht zu halten, stolperte er aus der Duschkabine und griff nach seinem Handtuch, ehe er sich am Waschbecken abstützte und einige Male tief durchatmete. 

Dann schlurfte er vorsichtig in die Küche, wo er sich zuerst einen starken Kaffee machte und anschließend den Anzug begutachtete, den er gestern bereits sorgfältig auf dem Esstisch ausgebreitet hatte. 

Mit zitternden Händen knöpfte er das schwarze Hemd zu und schlüpfte danach in die weiche Hose, die sich sanft an seine Beine schmiegte. Dabei durchzuckte ihn ein schmerzhafter Schauer, denn irgendwie hatte er angenommen, er würde erst wieder bei der Hochzeit seiner Schwester Gebrauch davon machen - Gemma würde in einem halben Jahr ihren Verlobten Martin heiraten und hatte eigentlich damit gerechnet, dass ihr kleiner Bruder seinen Liebsten mitbringen würde. 

Pustekuchen. 

Weil er erneut von Trauer ergriffen wurde, nahm Harry ächzend auf einem Stuhl Platz und stürzte den eigentlich noch viel zu heißen Kaffee hinunter, was ihm jedoch egal war. Hauptsache, der Koffein half ihm, die nächsten Stunden zu überstehen. 

Nach einer Weile, in der er noch einmal Inne gehalten hatte und seine Rede im Kopf durchgegangen war, wollte er gerade aufstehen, als sein Handy vibrierte - Lana rief an. 

Mit einem unguten Gefühl nahm er das Gespräch an und hörte prompt das aufgelöste Schluchzen des jungen Mädchens. "Harry..", weinte sie verzweifelt, weshalb der Lockenkopf alarmiert aufsprang und zum Rucksack griff, in den er all seine wichtigen Überlebenshelfer für heute eingepackt hatte. 

"Was ist los, Lana?", fragte er, während er im Eilschritt die Wohnung verließ und kurz darauf in seinen Wagen stieg. "Louis will nicht aufstehen. Mum und Dan sind schon beim Friedhof und ich wollte ihn eigentlich abholen, aber er... er will nicht", erklärte Lana, woraufhin Harry versprach, zu ihnen zu kommen. 

Keine zwanzig Minuten später stand der Grünäugige am Bett des Engländers und versuchte, ihn mit aufmunternden Worten dazu zu animieren, sich wenigstens aufzusetzen. Allerdings brachte das Argument "Dein Sohn wird auch da sein" Louis bloß zum Schnauben. "Ich will nicht, dass er mich so sieht", maulte er dumpf in sein Kopfkissen und rutschte dichter zur Wand, damit Lana nicht seinen Arm greifen konnte. 

"Louis, bitte!", flehte sie inzwischen ziemlich ungeduldig - das Beben ihrer Lippen verriet, dass sie bald die Fassung verlieren würde. 

Harry hingegen entschied sich, sich neben Louis auf die Bettkante zu hocken und vorsichtig eine flache Hand auf dessen Rücken zu platzieren. "Du bist nicht allein", säuselte er fürsorglich, wodurch Louis wie auf Knopfdruck zu schluchzen begann. 

"Warum fühlt es sich dann so an?", entgegnete er beinahe patzig, nachdem er seine Stimme wiedergefunden hatte. Das entlockte Harry lediglich ein Seufzen, da er genau nachvollziehen konnte, wie der Wuschelkopf sich fühlte. Und dennoch verstand er Lana, die es allmählich aufgegeben hatte und stattdessen im Flur versuchte, ihre Sachen zusammenzusuchen - ihr Schniefen nur schwer verbergen könnend. Louis mochte zwar in einem tiefen Loch stecken, doch Lana brauchte ihren Bruder. 

Also raffte Harry sich auf und schob vorsichtig die Decke von Louis, bevor er seine Arme um dessen Oberkörper schlang und ihn somit in die Senkrechte brachte. "Ich mach dir einen Kaffee, du gehst ins Bad und machst dich frisch", dirigierte er und glücklicherweise gehorchte der Blauäugige - wenn auch etwas widerwillig. 

Während in der Küche die Kaffeemaschine arbeitete und Harry auch Lana ein Heißgetränk schmackhaft gemacht hatte, erlaubte sich der Lockenkopf, in Louis' Zimmer nach dessen Anzug zu suchen. Als er ihn unter dem Bett gefunden und zumindest das Hemd ein wenig glatt gestrichen hatte, hastete er zu Louis ins Bad, der genau in diesem Moment heraustrat, nur ein Handtuch um die Hüften tragend.

Der Anblick von Louis' spitzen Rippen und schmalen Hüften brachten Harry merkwürdig durcheinander, sodass er sich beeilte, ihm einfach die Klamotten in die Hand zu drücken und hinterher schnurstracks in die Küche zu verschwinden. 

Dort goss er den Kaffee in zwei Tassen, reichte Lana eine davon und lehnte sich dann gegen die Küchentheke.  "Er ist so dünn", murmelte Lana mit besorgter Stimme und obwohl sie wahrscheinlich gar nicht mit einer Antwort rechnete, antwortete Harry trotzdem mit einem zustimmenden Brummen. 

"Ich wünschte, ich könnte ihm irgendwie helfen", fuhr die Blondine fort und raufte sich die Haare. "Ich bin so verdammt machtlos." Sie presste die Lippen aufeinander, in der Hoffnung, sich beherrschen zu können, aber ihre Augen wurden verräterisch feucht und trübten ihre Sicht. 

Deswegen war sie umso erleichterter, als Harry ihr einfach wortlos ein Taschentuch reichte und vor sich kniete. "Du hilfst ihm, indem du da bist", sagte er zutraulich und berührte zaghaft ihren Handrücken, woraufhin sich ihre Finger sofort um seine schlangen und sie ihn dankbar ansah. 

Plötzlich stieß Louis zu den beiden und sie in so trauter Zweisamkeit zu sehen, versetzte ihm einen Stich. "Es tut mir leid", flüsterte er niedergeschlagen, denn er hatte genau gehört, welche Sorgen seine kleine Schwester geäußert hatte. 

Aus diesem Grund breitete er nun seine Arme aus, um sie fest an sich zu pressen. Harry, der etwas unschlüssig daneben stand, winkte er ebenfalls zu sich, sodass sie zu dritt eng umschlungen in der Küche verweilten und einen kleinen Augenblick die Tatsache vergaßen, dass sie mittlerweile ziemlich spät dran waren. 

Doch auch als Lanas Handy klingelte und per Lautsprecher ihre Mailbox ansprang, die verkündete, dass Johannah bereits wartete, rührten sie sich nicht, sondern verfestigten lediglich ihren Griff umeinander. 

Louis merkte, wie er langsam wieder durchatmen konnte, Lana hörte anhand des Herzschlags ihres Bruders, dass sie nicht allein war, und Harry fühlte sich nicht mehr so kraftlos wie noch vor einer Stunde. 

Und sobald die drei letztendlich auf der Beerdigung ankamen und zu den restlichen Trauergästen stießen, war die Vorstellung, Lennart nun endgültig verabschieden zu müssen, zwar nach wie vor furchtbar, aber ein klitzekleines Bisschen erträglicher geworden - immerhin saßen sie in der Kapelle nebeneinander, Schulter an Schulter, und warfen sich gegenseitig immer wieder aufmunternde Blicke zu. 

Außerdem tapste kurz vor Beginn der Zeremonie Freddie zu ihnen - er hatte bis eben bei seiner Mutter auf dem Schoß gesessen, die einige Reihen hinter ihnen Platz gefunden hatte. Nun allerdings zog er sich an Louis' Knien hoch auf dessen Oberschenkel und brabbelte gegen das Jackett seines Vaters, was diesen unwillkürlich zum Schmunzeln brachte. 

"Ich liebe dich, kleiner Mann", wisperte Louis liebevoll und plötzlich, da in der kleinen Friedhofskapelle, wo sich die Menschen ein letztes Mal um Lennarts Mitte zusammenfanden, erhielt ein Hauch junges Leben Einzug. Lana und Harry überkam ein leichtes Lächeln, das sie daran erinnerte, dass sie atmeten, Zug für Zug ebendieses Leben inhalierten - und es trotz der Schwere noch nicht vorbei war.

zuhause - larry stylinsonWhere stories live. Discover now