Zwölf

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Die Arme weit von mir gestreckt lässt Casper mich an seine Brust lehnen, während mein Bein wieder geschient wird. Der andere Typ hält meine Waden fest, als Casper mich hochhebt und aus dem Schutt trägt. Ich will nicht hinsehen und doch ist der Blick auf meine Hände so anziehend. Ich werde sie alle verlieren. Alle. Jeden einzelnen. Was ist falsch mit dieser Welt?

„Es wird alles...“ - „Scheiße Casper, sag nicht, dass alles gut wird!“ Und dann passiert etwas, dass noch nie passiert ist. Er ist komplett und überhaupt total ratlos. Ich sitze auf seinem Schoß und er auf der Couch und der andere Kerl hält immer noch meine Beine hoch. Casper sagt nichts, er sagt nichts, ich heule.

„Und...und wenn wir uns stellen?“ Mein Herzschlag setzt für gefühlte Stunden aus, das hat Casper gerade nicht wirklich gesagt.

„Ist dir auch ein Regal auf den Kopf geknallt oder was ist los?“, faucht sein Kumpel schon fast.

„Sieh sie dir doch an.“

„Sieh uns an, verdammte Kacke. Wir wandern beide in den Knast, wegen ihr.“

„Wegen mir, Lejs.“ Er starrt mich an. Sein Blick durchbohrt meinen und ich kann nicht wegsehen. Er meint es vollkommen ernst. Es ist ekelhaft, dass alles in mir kribbelt, sollte man meinen, aber es ist wie es ist. Ich könnte mir jetzt sonst was einreden, aber im Endeffekt bringt mich das auch nicht weiter und irrelevant ist es ohnehin. Casper gesteht sich gerade selbst und vor allem anderen seine Schuld ein. Ich bin nicht weiterhin die dumme Schlampe, die zu blöd war wegzulaufen, sondern ich habe Pech gehabt. Warum auch immer sie mich entführt haben, ob geplant oder nicht, das lag nicht in meiner Verantwortung.

„Junge, mach jetzt keinen Scheiß. Egal ob du Held spielst oder was auch immer das werden soll – ich werde da mit reingezogen.“ Casper wendet seinen Blick ab und sieht jetzt Lejs an. Er mustert ihn sehr lange und eindringlich, bis er antwortet.

„Und dich habe ich für meinen Freund gehalten.“ Lejs lässt meine Beine los und ich kann einen Schrei nicht unterdrücken.

„Ich will uns nur den Arsch retten“, ignoriert er meinen Schmerz.

„Du willst vor allem deinen Arsch retten.“ Caspers Daumen streicht dort, wo er meine Kniekehlen hält beruhigend über meine Haut. Ich kann mich nicht zusammenreißen, dafür tut es zu sehr weh.

„Jetzt halt doch endlich dein Maul“, fährt Lejs mich an.

„Sieh zu, dass du von hier verschwindest, bevor die Bullen kommen und ich noch dafür verantwortlich gemacht werde, dass du eingebuchtet wirst“, entgegnet Casper nur kühl und steht auf. Er dreht sich um und setzt mich auf der Couch ab. Mit einer einfachen Kopfbewegung bedeutet er mir, zu warten.

„Du bist immer noch da“, sagt er und spricht mit Lejs, ohne sich umzudrehen. Mit seinem Oberkörper und dem breiten Kreuz versperrt er mir die Sicht auf den besagten. Casper will sich aufrichten und seine Hand gleitet zur Hosentasche. Wahrscheinlich verstaut er dort sein Handy. Doch er kommt nicht dazu, es heraus zu holen, denn Lejs reagiert schneller als ich und schneller als Casper begreifen kann, was geschieht. Er legt seinen Arm mit einem Ruck um Caspers Kehle und zieht ihn nach hinten. Es ist zu spät ihn zu warnen, denn da ist er schon gute zwei Meter von mir entfernt.

„Im Ernst, man, aber das würdest du bereuen. Früher oder später.“ Casper ist immer noch in seinem Griff und mir bleibt der Atem weg. Ich will laut aufschreien, aber wer würde uns hören?

„Scheiße, lass mich los!“, ächzt Casper und wird allmählich rot im Gesicht.

„Ich bring uns alle weg von hier, ich versprech' s. Ich lass dich nicht im Stich man.“ Mittlerweile brülle ich doch, ich schreie ihn an, Casper loszulassen, doch das kümmert ihn herzlich wenig. Ich kann nichts tun, gar nichts und das kotzt mich an. Planlos sehe ich mich in meinem Radius um, aber finde nichts, mit dem ich sie abwerfen und Caspers nahende Bewusstlosigkeit verhindern könnte. Es ist seltsam, aber Casper ist wie eine Sanduhr. Er läuft vor mir ab und dann erschlafft er. Das Glas bricht, der Sand stürzt heraus und Lejs lässt ihn auf die Erde sinken. Bis dahin hat er mich nicht einmal angesehen, seit dem aussichtslosen Widerstand meiner einzigen Rettung. Er atmet schwer, als hätte er jemanden ermordet, aber Casper atmet noch. Er liegt seitlich auf dem Boden und regt sich kaum.

„Tja Babe, dann bist jetzt wohl du dran.“ Und jetzt bin ich an diesem gewissen Punkt angelangt. Ich kann weder laufen, noch meine Hände einsetzen. Lejs grinst mich an und geht zur Kücheninsel. Er reißt mehrere Schränke auf, findet aber nicht, was er sucht.

„Warte hier.“ Wow, der war schlecht. Er verschwindet und ich sehe zu Casper.

„Wach auf. Bitte, bitte wach auf“, kommt es nur gepresst aus meiner Kehle. Doch er wacht nicht auf. Zumindest nicht sofort, denn Lejs ist wieder da. Klebeband zwischen Daumen und Zeigefinger. Er lässt es um sie herum kreisen, als wäre das hier ein Spiel. Doch er widmet sich zuerst Casper, dem Jungen, mit dem ich auf unerklärliche Weise so verbunden bin. Er macht ihn wehrlos und greift ihm dann unter die Arme. Er hat damit zu kämpfen, aber schafft es, Casper rauszuschleifen. Und ich warte nur darauf, dass er auch mich holt.

„Pack mich nicht an“, murmele ich nur noch wenig eindrucksvoll, was ihn zum lachen bringt. Er zieht meine Arme zusammen und fixiert sie an den Ellbogen. Fast schon schadenfroh.

„Letzte Worte?“, fragt er und zieht die Augenbrauen fordernd hoch.

„Das hier wird dir noch unglaublich leidtun“, murmele ich unter Tränen, bevor er ein großes Stück Klebeband auf meine Lippen drückt. Ich ekele mich vor seinen Händen und kann nur noch erstickte Laute von mir geben, als er mich hochhebt.

„Du warst ja mal ganz süß. Als wir dich mitgenommen haben, da warst du noch echt süß und jetzt mal unter uns – ich hätte dich unter anderen Umständen gefickt. Und wenn man mal von dem ganzen Blut und Dreck absieht, bist du ja immer noch annehmbar. Aber jetzt mal im Ernst, du solltest echt lernen, die Klappe zu halten. Das nervt unglaublich.“ Er weiß wohl nicht, dass Erik mich entjungpfert hat. Dass er mich zwei Mal vergewaltigt hat. Oder er ist einfach so dreist und macht wissend diese Bemerkungen. Er trägt mich nach draußen und es ist nicht sonderlich warm. Ich habe nicht wirklich was an. Keine gute Kombination. Die Autos parken nicht in der Garage. Sie stehen schief, einfach nur abgestellt vor der riesigen Villa. Caspers Bentley und Lejs' robuster Citroen. Er steuert auf seinen Wagen zu und ich frage mich, wo er Casper hingeschafft hat. Er ist nicht so dumm, ihn hier zu lassen. Er weiß, dass Casper sich befreien und die Polizei verständigen würde.

„Er ist im Kofferraum, keine Sorge. Bis ich dich abgegeben habe, lasse ich ihn nicht aus den Augen“, klärt Lejs mich auf. Er schiebt mich auf die Rückbank und ich merke schnell, dass er getönte Scheiben hat. Perfektes Auto für den Scheiß hier. Als ob er ihn sich extra dafür gekauft hat. Er hat gesagt, er wird mich abgeben. Und ich will gar nicht wissen, was das bedeutet.

„Du wirst zwar 'ne ziemlich verkrüppelte Hure sein, aber da, wo ich geboren wurde, nehmen die Bordelle sogar Invalidennutten.“ Da, wo er herkommt. Lejs. Ist das russisch? Oder Polnisch? Ich habe echt keine Ahnung. Er setzt sich und dann fährt er los. Es rumpelt und ich kann mich nicht konzentrieren. Wenn ich die Chance bekomme, werde ich den Typen mit Benzin übergießen und anzünden. Tankstellen gibt’s doch überall. Nur gesunde Hände leider nicht im Angebot. Das wäre mal eine innovative Idee. Wenn man zwei kauft, bekommt man Rabatt. Und Füße sind teurer, weil sie gefragter sind. Was, wenn wir Seelen anbieten?

StockholmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt