Kapitel 1

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Das Tal vor dem Schloss war mit dichtem Nebel gefüllt und lies nicht zu, das man die Stadt auf der anderen Seite sah. Die Sonne ging hinter dem Hügel auf, wenn man auf die andere Seite sehen würde, könnte man beobachten, wie der Vollmond langsam verschwand. Mein Blick huschte zwischen die Bäume des Waldes, der mit so vielen Fallen gespickt war, wie alle Anhänger des Königs mit ihrer schwachen Magie errichten konnten. Nur wer genug Macht besaß, um die Fallen zu zerstören, konnte ungesehen zum Schloss gelangen, ohne dass er durch das große Tor musste, das im Westen dafür sorget, das niemand das Gelände des Schlosses betrat. Natürlich gab es auch im Osten, Süden und Norden Tore, aber das westliche war das größte. Schon oft hatte ich mir überlegt, wie es wohl da draußen wäre, ohne Mauern und Wachen, die einem ständig hinterher liefen. Im Gegensatz zu meinem Stiefvater und König Santoas war ich mir sehr bewusst, warum sich ständig neue Wachen freiwillig meldeten. Und das könnte ich ausnutzen. Ich war immer ein liebes und zurückhaltendes Mädchen gewesen, denn sobald ich irgendetwas tat, was Rolfe nicht in Ordnung fand, wurde ich auf die unterschiedlichsten Arten bestraft. Doch ich hatte auch eine Seite, die, wenn man es so sagen wollte, dunkler war. Ich hasste es, eingesperrt zu sein, seit fast zwei Jahren hatte ich mich nicht mehr frei bewegen und mich auch nicht verwandeln können. Für einen Wolf war es das schlimmste, eingesperrt zu sein. Und für einen Wolfswandler war es das Leben ohne Freiheit.

Wie immer, wenn ich mich gerade einem gedanklichen Fluchtplan näherte, klopfte es an meiner Türe. Besuch, wie schön. Am Morgen war ich darüber immer besonders erfreut.

„Ja?" Meine Stimme war nicht sonderlich freundlich. Aber wer um diese Uhrzeit etwas von mir wollte, musste sich damit abfinden. Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung an der Türe wahr und wirbelte herum. Ich musste mich kurz an das schwache Licht im Zimmer gewöhnen, trotzdem fauchte ich den Eindringling an: „Wer hat dir erlaubt hier rein zu kommen?"

„Prinzessin. Krieg dich weder ein. Ich habe angeklopft und du hast mich hereingebeten. Seit wann bist du eigentlich so respektlos?" Er betonte das 'du' besonders. Ich knurrte. Laurin schien sichtlich amüsiert über meine verbale Attacke zu sein. Meine wölfische Seite wollte ihn angreifen, obwohl er fast wie ein Bruder für mich war. Naja, fast. Mein Gespür für Gefühle und Gedanken von anderen Personen war durch meine viele freie Zeit ziemlich gut geworden und hatte meine Vermutung, das Laurin inzwischen zu einem der Idioten geworden war, die mir hinterherliefen, bestätigt. Aber er war trotzdem anders, denn er verhielt sich noch fast genauso wie früher. Nur manchmal warf er mir Blicke zu, mit denen er sonst niemanden ansah. Meine Strategie war einfach: Ich ignorierte ihn. Und das akzeptierte er auch.

„Was willst du? Gibt's Frühstück?" Ich hatte verdammten Hunger. Aber mein Bruderherz schüttelte nur den Kopf. „Nein. Ich soll dich so schnell wie möglich ins Südlager bringen. Befehl von Vater. Rolfe hat es beantragt. Soul wird dich dort abholen. Hier ist es für ihn nicht sicher, es gab schon Angriffe auf seine Boten. Was mit dem Prinzen von Silhalf passieren würde, will keiner wissen." Oh, da irrt er sich gewaltig. Ich hätte nichts dagegen, wenn er früh von uns gehen würde, weil ich mit den menschlichen Schweinen, die sich eine Frau aussuchen und die nicht mal fragen, überhaupt nicht kann. Er ist so ein Idiot. Und ich bin die Verlobte, die ihn noch nicht einmal kennt. Toll, oder? Und jetzt soll ich ihm noch entgegenreiten, als würde ich mich auf ihn freuen? Nein danke.

Einschlagende Nachrichten überraschten mich auch überhaupt nicht mehr, das war schon an der Tagesordnung hier. Doch es gab etwas, was mich irritierte. „Laurin? Das Südlager liegt doch genau dort, wo sich die Grenzen kreuzen, oder? Zwischen Nema und der Grenze zu Feraven. Wir müsste über eine tote Fläche, wenn wir keinen Umweg machen wollen." Laguara's Thronfolger runzelte die Stirn, bevor sich ein Grinsen über sein Gesicht ausbreitete. „Immerhin weiß ich jetzt, womit du deine Zeit verbringst. Ja, wir müssen durch eine der toten Zonen. Und ich weiß, dass dir das nicht wirklich gefällt, aber Soul besteht darauf, die persönlich über die Grenze in deine neue Heimat zu bringen. Pack genug Sachen ein, wir sind lange unterwegs." Damit drehte er sich um und ließ mich allein. Und ich knurrte leise hinter ihm her. Ich hatte höchsten Respekt vor den toten Flächen. Orte, an denen früher Wälder wuchsen und Vögel sangen. Orte, die der Grausamen Hand der Humicane zum Opfer gefallen waren. Orte, die ohne Grund zerstört worden waren. Orte, an denen kein Leben mehr existierte.

Es war die Nilmae-Ebene, die wir queren müssten, eine tote Fläche, die anders war. Jedenfalls wurde sie in den Büchern als Feuerwüste beschrieben.

Ich drehte mich um, ein schmaler Lichtstrahl fiel durch das Fenster und beleuchtete meine Kommode. Doch so schön ich Licht am Morgen fand, ich musste packen. Hastig warf ich ein paar meiner Kleider auf einen Haufen, nicht weil ich sie schön fand (das war nämlich absolut nicht der Fall), sondern weil Rolfe meine Sachen durchschauen würde und auf sogenannte „Ordentliche Kleidung" bestand.

Aber wenn Soul wirklich ein vernünftiger Mensch war, woran ich stark zweifelte, würde er mir neue Kleider besorgen lassen. Aber es gab noch etwas, was unbedingt mitkommen musste und mir niemand wegnehmen konnte. Denn auch wenn ich meine Mutter nie wirklich gekannt hatte und ich auch nie bewaffnet herumlaufen durfte, weil es sich für eine Dame nicht gehörte, bedeutete mir der kleine Dolch, den mir Laurin heimlich übergeben hatte (nachdem ihn Rolfe gegen den Wunsch meiner Mutter in die Waffenkammer bringen hat lassen), sehr viel.

Nachdem ich die Waffe sorgfältig verstaut hatte, sah ich mich noch einmal um. Die Sonne stand nun gelb am Himmel und ihre goldenen Strahlen erleuchteten das Zimmer. Ein viel zu schöner Morgen, um zu gehen. Doch ich wusste, dass es das letzte Mal sein würde, dass ich hier war.

Ein neuer Käfig wartete auf mich. Ein weiterer goldener Käfig, dem man nicht entfliehen konnte.


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Erstes Kapitel von diesem Buch. Der Prolog wird noch folgen, wenn ich ihn irgendwann in den alten Collegeblöcken wieder finden sollte xD

Der Titel ist nur übergangsweise und auch ein Cover wird noch entstehen.

Hoffe, euch gefällt das Kapitel!


LG


Damri - Gefangene der 4 ReicheWhere stories live. Discover now