Fremde

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Er war schon in der Bar, lange bevor er Minou dorthin abholen sollte. Er hatte zwar kurz überlegt, es einfach nicht zu tun, wusste aber nicht, wohin er sonst gehen sollte. Für ihn gab es nicht viele Orte. Und er wollte Minou auch nicht versetzen. Er wollte verschleiern, was geschehen war. Dass dies nicht einfach werden würde, war schon auf dem Weg zur Bar deutlich geworden. Die Blicke, die man ihm zuwarf, waren abschätzig oder neugierig. Eine junge Frau mit Kinderwagen hatte sogar die Straßenseite gewechselt. Doch es war nicht die Wange, vom Schlag verfärbt, oder die Lippe, beim Fall gegen den Tisch aufgeplatzt. Noch waren es die tiefen Ringe unter seinen Augen oder die ungewaschenen Haare. Es war nicht das dreckige Shirt. Für einen kurzen Moment war Cadmiel stehen geblieben und hatte sein Spiegelbild in einer Fensterscheibe besehen. Es war das alles zusammen.

Langsam ließ er einen weiteren Schluck des brennenden Alkohols seinen Rachen hinunterlaufen. Es musste doch möglich sein, die Gedanken zu benebeln. So lange war es sein Ziel gewesen, in die Hölle zu gelangen und nun da es soweit war, nun da er ihn zu sich holen wollte, waren da Zweifel. Er wollte zu ihm, jedoch nicht von ihm vereinnahmt werden. Er wollte die Entscheidung treffen und den Schritt machen. Doch Tradiaboli hatte den Teufel in ihn getrieben.

Und natürlich dachte er an Minou. Er sah auf die Uhr. Es war Zeit. Cadmiel stand auf und legte einen Schein auf den Tisch. Dass dieser den Wert seines Getränkes bei Weitem überstieg, konnte er nicht wissen. Das Geld zu besorgen, war einfach. Die Menschen waren unvorsichtig. Und als die erste Geldbörse geleert war, war es bei der nächsten nur noch einfacher. Cadmiel empfand keine Schuld. Für ihn hatten die Scheine keinen Wert.

Minou hatte sich zurechtgemacht. Für ihn. Sie war schön, doch Cadmiel konnte ihrer Schönheit in diesem Moment kein Auge schenken. Er suchte in ihrem Gesicht nach der Wahrheit. Nach einer Antwort für das Geschehene.

„Cad, oh Gott, was ist passiert?" Sie hatte die Tür mit einem Lächeln geöffnet, doch bei dem Anblick seines Gesichtes war es augenblicklich verschwunden.

„Frag nicht", er bemühte sich, ihrem Blick auszuweichen. „Du siehst toll aus."

„Danke...", vorsichtig streckte sie ihre Hand nach seiner Wange aus. „Ich wünschte, ich könnte das Gleiche über dich sagen."

„Nicht", er umfasste ihre Hand, bevor sie ihn berühren konnte. „Lass uns gehen." Ihre Hand ließ er nicht los.

Minou gab sich große Mühe, die Wunden in Cads Gesicht nicht zu sehen. Als sie nebeneinander zur Bar liefen, konnte sie ihre Augen kaum von ihnen nehmen. Wenn er doch wenigstens reden würde. Aber das tat er nicht. Stattdessen bemerkte Minou immer wieder, wie er sie aus den Augenwinkeln beobachtete. Er hielt ihre Hand, aber es fühlte sich falsch an. Locker lag ihre in der seinen als würden sie nicht wirklich zusammengehören. Minou wollte fragen, was geschehen war, doch gleichzeitig die Grenzen respektieren. Sie hatte das sichere Gefühl, dass die Nacht noch lang werden würde. Und sie sollte recht behalten.

„Schon wieder da?", grüßte der Barkeeper Cad mit einem Zwinkern. Er hatte das großzügige Trinkgeld nicht vergessen. „Muss ja ein harter Tag gewesen sein."

Cadmiel ignorierte ihn und führte Minou zu einem der wenigen freien Tische. Die Bar war gut gefüllt. Sie saßen sich gegenüber. Noch immer keine Regung in seinem Gesicht.

Minou seufzte entnervt. „Cad... Bitte sag doch etwas."

„Ich hole uns mal eben was zu trinken."

Fassungslos sah Minou ihm nach. Wie ein anderer Mensch. Entschlossen erhob sie sich und folgte ihm. Für Gleichgültigkeit war es längt zu spät.

„Du hast vergessen, zu fragen, was du mir bringen darfst", sie lehnte sich neben ihn an den Tresen.

Wenn Engel fallenWhere stories live. Discover now