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Am nächsten Morgen verschlafe ich zunächst, oder besser bleibe ich einfach absichtlich länger liegen, bis Paddy mich zum zweiten Mal von den Schlafenden weckt, oder auch besser: wachrüttelt. Mit zehn Minuten Verspätung würge ich also schnell mein Frühstück herunter und hetze anschließend quer durchs Haus, bis ich die Zeit endlich wieder eingeholt habe. Pünktlich verlasse ich das Haus und verabschiede mich noch schnell von Paddy, bevor die Tür hinter mir ins Schloss fällt. Das er mir einen schönen Tag wünscht höre ich nur noch gedämpft, als ich die Stufen der Veranda herabsteige und mich anschließend auf den Weg über die Wiese mache. Ich bin froh, dass heute bereits Freitag ist und ich dann zwei Tage erstmal nicht in die Schule muss. Zum einen, weil in letzter Zeit sich einfach ziemlich viel stapelt und so schnell geht, dass ich kaum eine Minute freie Zeit habe, um über die ganze Situation überhaupt nachdenken zu können, und zum anderen, weil ich dann gestern spät Abends doch noch Durst bekommen habe, als ich schon längst im Bett lag und es so dazu kam, dass ich noch locker über eine Stunde an Paddys Seite mit Joelle telefoniert habe. Wir verstehen uns inzwischen richtig gut und ich kann es kaum erwarten, sie endlich kennenzulernen. Und gegen meine Befürchtungen, dass sie mich nicht mögen würde, da ich schließlich das Kind einer anderen Frau, aber doch das ihres Mannes bin, scheint sie sich eher über eine weitere Person in ihrem Haushalt zu freuen und ich fühle mich richtig wohl bei ihr. Oder zumindest in den fünf Minuten, wo ich allein mit ihr quatschen konnte, da Paddy dringend auf die Toilette musste. Ich laufe nun schon zum wiederholten Mal durch die kleinen Gassen des Dorfes und muss mich tatsächlich wundern, dass ich mich bis jetzt mich noch nicht verlaufen hatte. Auch wenn es schwierig war, sich hier zu verirren habe ich dennoch ein gewisses Talent dafür. Ich bin froh, als ich endlich den Dorfplatz erreiche und überquere ihn flott, vorbei an dem noch geschlossenen Cafe und der Kirche, deren Turmspitze über mir in den Himmel ragt. Auf der anderen Seite befindet sich endlich die Bushaltestelle und da ich mir mehr Zeit gelassen habe wie gestern, kommt der Bus bereits in einigen Minuten. Schon während ich  über das Kopfsteinpflaster gehe, kann ich von weitem den selben Mann wie gestern erkennen, aber auch ein Mädchen in meinem Alter. Sie trägt eine dünne Jacke und ihre fast schwarzen Haare fallen ihr ins Gesicht, während sie auf ihr Handy sieht. Als sie aufblickt und mich entdeckt, nimmt sie schnell die Kopfhörer aus den Ohren und steckt ihr Handy in die Tasche.

"Hey, du bist bestimmt Jessica, oder?", hält sie mir direkt ihre Hand zur Begrüßung entgegen und lächelt breit an. 

"Ja, Sophia, richtig?", erwidere ich die Begrüßung, mit der Hoffnung, dass ich mir ihren Namen richtig gemerkt habe und nicht mit jemand anderen verwechsele. Noch so eine Sache, wo ich absolut kein Talent drinnen habe.

"Genau. Chia und Finn haben schon viel von dir erzählt!", antwortet sie nun, als der Bus auch schon um die Ecke biegt und wir nacheinander einsteigen. 


Während der Fahrt tauschen Sophia und ich uns über alle möglichen Dinge aus und sie fügt mich in den Klassenchat und eine Gruppe namens "Die drei Musketiere" hinzu, welche kurzer Hand in "Die vier Musketiere" umbenannt wird. Ich speichere daraufhin ihre und auch Chiaras und Finns Nummer ein, bis wir beide auch schon aus dem Bus springen und uns auf den Weg in Richtung Schule machen. Sophia läuft voraus und als ich mich gerade auf den Weg zur Eingangstür des Schulgebäudes machen will, biegt sie zu den Fahrradständern ab, wo sie sich auf eine Bank fallen lässt. Ich folge ihrem Beispiel und setze mich anschließend neben sie. 

"Ich warte hier jeden Morgen auf Chia und Finn mit ihren Fahrrädern. Dann gehen wir immer gemeinsam zum Unterricht. Ich bin so froh jetzt nicht mehr alleine warten zu müssen!", gibt sie mir überglücklich preis, woraufhin auch schon Finn und Chiara neben die Bank rollen und von ihren Rädern steigen. 

"Guten Morgen!", begrüßen uns die beiden fröhlich, bevor sie uns kurz umarmen und danach ihre Fahrräder anschließen. Mit einem Blick auf die Uhr eilen wir auch schon in den Unterricht, der langsam, aber trotzdem sicher, vorübergeht.

Bigger Life || Michael Patrick Kelly | ✔Where stories live. Discover now