Eine neue Bedrohung

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Etwas mehr als einhundert Jahre später ...




Asi Draugurson.
Jung, gut gebaut und ein bisschen erinnerte er Loki an Thor; halblange, blonde Haare, feine aber markante Gesichtszüge. Nur die glühend roten Wangen, die sein Gesicht zierten, während der Einherjar sich hastig anzog, unterschieden ihn deutlich von Thors forscher, selbstbewusster Art.
Schmunzelnd setzte Loki sich in den zerwühlten Laken auf, betrachtete den jungen Mann ausgiebig. Er hatte schon lange bemerkt, dass Asi ein Auge auf ihn geworfen hatte, und als dieser ihn an dem heutigen Festabend angesprochen hatte, hatte Loki beschlossen, ihn nach Dienstschluss einfach mit in seine Gemächer zu nehmen. Wieso auch nicht? Es war nett, mal nicht alleine zu sein. Mit jemandem Zeit zu verbringen, der zumindest ein bisschen aussah, wie Thor.

Die letzten hundert Jahre waren nämlich eine lange Geschichte und Loki versuchte sich zu erinnern, wann die Dinge sich so entwickelt hatten, wie sie heute waren. Mit Thor hatte er viel Zeit verbracht, doch über ein paar heiße Küsse und ein bisschen Fummeln waren sie nie hinausgekommen. Thors Zeit war immer rarer geworden, mehr und mehr Pflichten hatten ihn an seine Aufgabe als Kronprinz gefesselt, dazu kam die Verlobung und Heirat mit Sif. 

Nach nur wenigen Jahren waren sie sich kaum mehr als alte Bekannte begegnet, auch wenn Loki zugegeben noch immer das Kribbeln im Bauch spürte, wenn der Donnergott in seiner Nähe war. Doch dem Prinzen schien es schon seit Ewigkeiten nicht mehr so zu gehen und wenn doch, ließ er sich absolut nichts anmerken – stets war er mit den Warriors Three unterwegs, während Loki es vorzog , die genannte Gesellschaft lieber zu meiden, einfach weil sie ihn nicht mochten und er sie auch nicht. Selbst Thor konnte keine vermittelnde Brücke zwischen ihnen schlagen und so hatte Loki sich nach und nach zurückgezogen.


Lautlos pirschte Loki aus dem Bett und legte von hinten beide Arme an Asis Schultern, der nahezu schuldbewusst zusammenzuckte. "Die anderen werden es nicht gerne sehen, wenn ein Einherjar seine Pflichten verletzt. Odin könnte dich entlassen oder Schlimmeres", gab er mit einem leeren Lächeln zu bedenken, doch Asi fuhr herum und erstickte jeden Protest in einem langen Kuss.

Seit geraumer Zeit schon hatte Loki begriffen, dass er mit Frauen nichts anzufangen wusste. Weder reizten ihn die üppigen Kurven, noch die allgemeine Art des anderen Geschlechts und nachdem er bei Thor nie zum Zug gekommen war, hatte er sich andere Männer gesucht, die seine Vorliebe teilten. So wie Asi. Der sich als äußerst anhänglich erwies.
„Kann ich ... wieder kommen?", wollte der Einherjar schließlich wissen, während er sich abwandte und die letzten Lederriemen seiner Gurte zurechtzupfte. Loki sah ihm zu, dankte dem Universum dafür, dass Asi neben der sexuellen Anziehung  keinerlei andere Gefühle zu hegen schien, was ihre Treffen ungemein unkompliziert gestaltete.
„Du weißt wo du mich findest", schnurrte Loki ihm leise ins Ohr, als Asi plötzlich herumfuhr, beide Hände nach ihm ausstreckte und ihn rücklings in das Bett drückte. Dann ließ er sich auf ihn fallen.


***



„Du bist spät", brummte Thor, als Loki endlich das königliche Beratungszimmer betrat und sich übertrieben tief verbeugte.
„Verzeiht Eure Majestät, ich wurde aufgehalten."
„Lass das, Loki." Missmutig ließ Thor die blauen Augen über ihn schweifen, als suchte er nach Indizien, irgendetwas, dass ihm verriet, wieso er in letzter Zeit so spät kam. Schließlich deutete Thor auf den zerknautschten Kragen seiner Robe. „Ist es das, was ich denke? Wir planen einen Aufklärungstrupp gegen vanische Rebellen und du wühlst dich durch fremde Laken?"
„Genaugenommen waren es meine Laken. Und eigentlich  war es ..."
„Loki!", mahnte Thor ihn laut und merkte viel zu spät, dass Loki auf diese Reaktion abgezielt hatte. Grummelnd erhob der Donnergott sich von seinem Stuhl, Mjöllnir vom Boden aufhebend. „Richte deine Kleidung."
„Wie bitte?" Lokis provokantes Grinsen brachte Thor zum Brodeln, aber er wusste, dass er keine Ruhe bekam, bis es ausgesprochen war. „Richte deine Kleidung. Bitte. So kann ich mir wenigstens eine nachvollziehbare Ausrede ausdenken, warum wir wieder mal zu spät sind."
„Selbstverständlich." Mit einer spöttelnden Verbeugung gehorchte Loki, den Blick in Thors Augen gerichtet und jedes Mal wieder lag etwas von dem immerwährenden Schmerz darin, den Loki nicht einordnen konnte. Thor schien es kaum mehr zu bemerken und lief auffordernd voran. „Los, gehen wir."


Ganz auf Arbeit eingestellt schritten sie durch den Palast, durchquerten die königlichen Gemächer und auch wenn beide den ganzen Weg über schwiegen, genoss Loki die wenigen ruhigen Minuten, die sie hin und wieder auf diese Art miteinander verbrachten.
„Hier", meinte der Donnergott schließlich und reichte Loki einen Brief, den dieser mit wenigen geschickten Handgriffen öffnete.
„Mal sehen. Unruhen, Brandstiftung, Vergewaltigung ... das alles nur, weil Frey  auf dem Thron sitzt? Die Vanen müssen ihn wirklich hassen. Ich meine, noch mehr hassen, als ich es tue und das ist verdammt schwer."
Thor brummte irgendwas, ehe er gen Brief nickte. „Kannst du etwas über den Verfasser herausfinden?"
„Ich denke schon."
„Gut."

Schweigend setzten sie ihren Gang fort, bis Thor die Türen zu einer größeren Empfangshalle aufstieß, die als Kriegsberatungsstelle eingerichtet worden war. Bücher zu allen möglichen Auseinandersetzungen standen in unzählbar vielen Regalen, dazu Bände über komplizierte diplomatische Verbindungen, für die sicher der ein oder andere Spion sein Leben hatte lassen müssen. Um einen großen runden Tisch standen ein paar abgesandte Vanaheims versammelt, darunter auch Freys Schwester Freya, die ihren Bruder in dieser Sache zu vertreten schien und unweigerlich schlich sich ein spöttelndes Schmunzeln auf Lokis Lippen. Ihre Kleidung war kriegerisch aber offenherzig, derselbe Kram, in dem Sif immer zu glänzen versuchte, nur, dass Freya darin nicht lächerlich, sondern wie die Verkörperung einer Kriegsgöttin wirkte.

Die perfekte Frau für Thor.

„Du solltest Sif gegen sie eintauschen", stichelte Loki leise und kassierte einen tödlichen, kalten Blick von dem Kronprinzen, doch eine Erwiderung blieb aus. Stattdessen trat der Donnergott zu den bereits Versammelten, womit das allgemeine Gemurmel augenblicklich verstummte.

„Na, endlich." Freya verschränkte die Arme vor der Brust und Loki musste zugeben, dass sie in dieser Pose nicht weniger gefährlich wirkte, als jeder asische Kämpfer. Auch bei den Vanen konnten Frauen zu Kriegern werden und nach dem zu urteilen, was er so gehört hatte, war Freya ein wahrer Bluthund, schön und äußerst tödlich zugleich.
„Verzeih die Verspätung, Freya, Loki wollte vorher noch ein paar Nachforschungen anstellen", gab der Donnergott routiniert von sich und war es langsam sichtlich leid, ihn ständig entschuldigen zu müssen. Doch er respektierte ihn auch, irgendwo, und hatte sich bis zum heutigen Tag nicht dazu durchringen können, jemand anderen als seinen Berater einzusetzen. 

Freya schnaubte und sah Loki direkt an, schamlos musterte sie ihn voller Unverständnis. „Dass du dich immer noch mit diesem Herumtreiber abgibst. Nichts als Unfug im Kopf, dabei sollte man meinen, das Alter treffe jeden früher oder später."
Loki lächelte nur zuckersüß. „Dasselbe könnte ich von Weisheit und Weitsicht behaupten, nur das diese Dinge leider nicht jeden treffen."
„Genug!", fuhr Thor erneut dazwischen, sichtlich wütend. „Es reicht mir langsam, wir haben etwas Wichtiges zu tun. Der nächste der einen Streit anfängt, darf in einer Privataudienz bei mir vorsprechen." Kaum merklich schlossen sich Thors Finger fester um Mjöllnir und als völlige Stille einkehrte, fuhr er fort. „Loki ist und bleibt mein Ratgeber, wer damit ein Problem hat, darf diesen Kreis gerne verlassen. Nur seid euch dessen gewiss, dass es keine Rückkehr gibt, wenn ihr durch diese Tür geht!"
Wie zu erwarten blieb es still, keiner rührte sich. Dann fuhr Thor endlich fort, nachdem er einen Blick in die Runde geworfen hatte. „Unsere Kundschafter haben einen Brief abgefangen, südlich des Bergpasses, hier auf der Karte ..."

Während Thor alles erklärte, kam Loki nicht umhin, sich schlecht zu fühlen. Er war oftmals mit purer Absicht gemein zu Thor, er reizte ihn und trieb ihn zur Weißglut, sein persönlicher, kleiner Rachefeldzug für die Ewigkeit. Weil Thor ihn im Stich gelassen hatte.
Vielleicht weil er dich nie geliebt hat, so wie du ihn, klang seine innere Stimme unverhohlen zynisch in seinem Kopf. Weil du für ihn nur ein netter Zeitvertreib warst. Loki versuchte die Gedanken abzuschütteln. Hatte Thor nicht gerade für ihn eingestanden? Hatte er nicht der Vanenprinzessin die Stirn geboten, nur wegen ihm?

„Loki?"

Irritiert sah Loki auf, hatte nicht zugehört, aber anhand der erwartungsvollen Gesichter im Raum und der Tatsache, dass er noch immer den Brief hielt, ahnte er, dass seine Person gefragt war. Langsam und deutlich las er die geschwungene Schrift vor und als er geendet hatte zog Freya verwundert beide Brauen hoch.
„Das ist alles?", wollte sie skeptisch wissen und warf ihm einen herablassenden Blick zu.
„Für gewöhnliche Wesen ist das alles", erwiderte Loki denselben arroganten Ausdruck offenherzig, während er zu dem Tisch schlenderte und das Papier in der Mitte ablegte. „Für die wenigen Begabten unter uns, ist es ein Code." Mit wenigen Handzeichen verschwamm die Schrift und eine vollkommen neue Botschaft ergab sich auf dem Papier: Seestadt wird brennen. Am dritten Tage des abnehmenden Mondes.

Loki überließ es den anderen, den neuen Brief zu lesen und stand etwas abseits, wobei Thor staunend neben ihn trat. „Woher wusstest du das? Nicht einmal ich hätte es geahnt."
„Der Verfasser war ein gerissener Mistkerl, aber auch solche machen Fehler. Ich schätze, ich bin einfach der größere Mistkerl", lächelte Loki eine Spur versöhnlicher als sonst und spürte Thors Hand in seinem Nacken und stolz in den blauen Augen.
„Danke. Ich weiß das sehr zu schätzen."
Loki nickte leichtfertig, aber eine Erwiderung blieb ihm förmlich im Halse stecken. Seine Stimmbänder fühlten sich trocken und unnütz an, vielleicht weil es der erste, etwas intimere Moment seit Ewigkeiten war, den er mit Thor teilte. Keine Sekunde später war wieder alles beim Alten: Thor wuselte zwischen den Vanen hin und her, plante eine Defensive hier, einen Unterstützertrupp da.

Völlig vergessen wandte Loki sich mit einem schurkischen Schmunzeln ab, während er den originalen Brief unbemerkt in seinen Ärmel steckte und das Besprechungszimmer lautlos durch die Tür verließ.


Herz über Kopf #2Where stories live. Discover now