Kapitel 1

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Das arme Schwein hatte sich auf dem Boden zusammengekrümmt, die Hände schützend über dem Kopf zusammengeschlagen, während er von einer Gruppe Schlägertypen der übelsten Art umzingelt wurde. Im trüben Licht der Straßenlaterne sah ich, dass sich das Wasser, das sich in einem der unzähligen Schlaglöcher angesammelt hatte langsam rot färbte. Der Wind trug den strengen Geruch von Bier, Zigaretten und Gras, vermischt mit beißendem Männerschweiß in meine Richtung und mir lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Ich hasste besoffene Männer wie die Pest. Ich wusste genau mit welchen Kalibern ich es zu tun hatte, auch wenn ich diese Bande hier noch nie zuvor gesehen hatte. Im X hatte ich tagtäglich mit besoffenen, ungewaschenen Schlägern zu tun.

Instinktiv wanderte meine Hand zu dem Klappmesser in der Tasche meines Parkas, das ich immer bei mir trug. Zwar war ich bis jetzt noch nie angegriffen worden, doch ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis einer der Besoffenen handgreiflich wurde. Und dann würde ich diesen Sack vernichten.

Meine Schuhsohlen schleiften über den aufgeplatzten Asphalt, der fast vollständig mit der Nacht verschmolz und es schwierig machte nicht zu stolpern. Doch ich war diese Straße oft genug gelaufen, um den tiefsten Schlaglöchern auszuweichen, ohne dabei die Augen von der wilden Szene abwenden zu müssen. Der glatte, kühle Griff des Messers verlieh mir genügend Mut, um nicht auf der Stelle umzudrehen und mich wie ein Feigling in einer schmalen Gasse zu verstecken. Stattdessen befahl ich mir den Kopf gerade zu halten, die Schultern zu straffen, die Lippen fest auf einander zu pressen, so dass sie unter keinen Umständen zu zittern beginnen konnten, und am aller wichtigsten: keine Angst zu haben. Niemals. Angst war hier der größte Feind. Gefürchtet von allen, die abends allein durch das Viertel mussten. Der östliche Teil von New Blaide war ein gefährlicher Ort und ich hatte in den letzten Monaten so ziemlich alles erlebt, was man erleben konnte. Die Schlägerei gehörte für mich also zum Alltag. Trotzdem spürte ich mein Herz hart in meiner Brust schlagen. Entschlossen strich ich mir eine dunkelgrüne Haarsträhne aus dem Gesicht.

Ich war noch knapp fünf Meter von der Gruppe entfernt, als ich hörte wie der Typ am Boden ein gequältes Stöhnen von sich gab, während die Tritte der anderen weiter und weiter unbarmherzig auf seinen Körper niederregneten.

Das war hier so normal wie in anderen Teilen der Stadt den Briefträger am Morgen zu grüßen. Ich war die Gewalt gewohnt.

Ohne den Blick von der Gruppe abzuwenden, ging ich an ihnen vorbei, die Hand immer noch an meinem Messer.

Niemand beachtete mich.

Plötzlich nahm ich aus dem Augenwinkel einen für diese Gegend äußerst ungewöhnlichen Gegenstand war. Ich kniff die Augen zusammen um in der Dunkelheit besser sehen zu können. Es war ein Gitarrenkoffer.

Er lag neben dem Kopf des Typen am Boden und sah viel zu neu und viel zu gepflegt aus, als dass er aus diesem Viertel kommen konnte. Scheiße!

Ich blieb stehen und drehte mich um.

Ein weiteres Stöhnen -

Ich strengte mich an in dem roten Licht der Reklameschrift einer Bar Details erkennen zu können. Der Junge am Boden konnte nicht viel älter als ich sein, trug einen dunklen Pulli und Jeans und war seinen fünf Gegnern hilflos ausgeliefert. Ich konzentrierte mich auf die Angreifer und stellte fest, dass die Jugendlichen höchstens 16 waren. Vorhin hatte ich sie für Mitte zwanzig gehalten.

Mein Gott, wussten diese bescheuerten Deppen nicht, dass man sich auf keinen Fall mit einem von der anderen Seite der Stadt anlegen sollte? Spätestens morgen würden hier wahrscheinlich wieder die Polizeiautos vorfahren und die Lokale nach Drogen absuchen. Der Typ hatte wahrscheinlich drei Anwälte, die natürlich gar nicht begeistert sein werden, wenn ihr Klient mit Gehirnerschütterung und gebrochenen Rippen nach Hause kommt.

Wie aus dem Nichts ertönte ein spitzer Schrei.

„Nein! Nicht die Gitarre, lasst meine Gitarre in Ruhe."

„SCHNAUZE!", brüllte einer der anderen und trat dem Junge in den Bauch. Ein anderer schnappte sich den schwarzen Gitarrenkoffer.

„NEIN, bitte, tut das nicht", flehte er.

Irgendwo in meinem Körper machte es Klick.

„HEY!", rief ich laut und trat mitten in den Kreis der Jugendlichen, „Haut ab, aber ganz schnell!" Wütend blitzte ich jeden einzelnen der Jugendlichen angriffslustig an.

„Wer bist du denn?", lallte derjenige, der den Gitarrenkoffer umklammerte und machte natürlich keinerlei Anstalten die Straße zu räumen.

„Ich bin diejenige, mit der ihr keinen Ärger haben wollt", sagte ich ruhig, „und jetzt haut ab. Lasst ihn in Ruhe."

„Hast du sie noch alle, Mädel?", fragte einer und machte einen bedrohlichen Schritt in meine Richtung, „du kleine Schlampe sagst uns gar nichts!"

„Wenn du mich noch einmal Mädel oder Schlampe nennst, kannst du dich darauf verlassen, dass du die längste Zeit deines Lebens mit fünf hübschen Fingern rumgelaufen bist und außerdem sag ich es nicht noch einmal. Entweder ihr verpisst euch jetzt, oder ihr habt ein Problem."

Ich konnte buchstäblich die Gehirne der Typen rattern hören, doch ich wusste längst, was sie tun würden.

Diese Art von Gangs waren kein Problem. Nach außen hin, stellten sie sich als unantastbar und knallhart dar, doch in Wirklichkeit lagen sie nachts alle noch bei Mami im Bett.

Der Junge am Boden hatte die Augen geschlossen und aus seiner Nase kam ein stetiges Rinnsal Blut. Nichts Lebensgefährliches, doch ich konnte mir vorstellen, dass es einen ganz schönen Schock für seine Familie darstellen würde, ihren Sohn so zu sehen.

„Du hast einen ganz großen Fehler gemacht", schnarrte einer der Angreifer und hob seine Bierflasche an die Lippen, „das wirst du uns büßen kleine Schlampe."

Bevor ich auch nur reagieren konnte, schleuderte er die Bierflasche in meine Richtung und sie traf mich mitten auf der Brust. Ich keuchte, als mir mit brutaler Wucht die Luft aus den Lungenflügeln gepresst wurde. Schon spürte ich einen Schlag gegen meine Kniekehlen und ich ging zu Boden. Schmerz flammte auf, als meine Knie auf den harten Asphalt prallten. Ein Schlag gegen meinen Kopf und ich sah Sternchen.

„Lasst sie in Ruhe!" Der Typ am Boden hatte sich aufgerappelt und stand nun schwankend und immer noch blutend vor mir, die Fäuste gehoben. Die Angreifer begannen johlend zu lachen. „Ach, nun spielst du also Beschützer für die kleine Hure. Wie süß", spottete derjenige mit dem Gitarrenkoffer. „Ist das deine Freundin."

„Lasst uns in Ruhe!", sagte der Junge mit fester Stimme, doch ich konnte genau sehen, dass seine Beine zitterten. Während die Jugendlichen mit dem Typ beschäftigt waren, tastete ich nach meinem Messer, öffnete es mit geübtem Griff und zog es aus der Tasche. Langsam erhob ich mich und positionierte mich mit gezücktem Messer neben meinem Beschützer.


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⏰ Last updated: Sep 03, 2019 ⏰

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