Wenn Liebe in dir ist

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„Ich möchte mit dir...reden", sagte der Mann, schüttelte sich das lange, dunkle Haar aus dem Gesicht und ging mit schwingenden Hüften und langen Schritten auf ihn zu.

Louis holte tief Luft und wäre am Liebsten wieder rückwärts aus dem Raum gegangen, doch seine Beine wollten sich nicht bewegen. Er stand da, wie angewurzelt, das kleine Buch mit Gedichten an die Brust gepresst und starrte den Mann an.

„Vater ist ganz beeindruckt von dir, weißt du?", sagte der Mann und legte den Kopf schief.

„So? Ist er das?"

„Oh ja. Es kommen selten junge Männer her und ich bin seeehr viel allein. Sicher ist mein Vater der Meinung, dass wir beide uns gut die Zeit miteinander vertreiben könnten. Ich bin Harold. Aber du kannst mich auch Harry nennen", sagte er und grinste schief.

Louis schluckte und biss sich auf die Lippe.

Ihm war eiskalt.

„Du meine Güte", entfuhr es dem Mann plötzlich und er machte einen besorgten Schritt auf ihn zu. „Du bist ja ganz bleich...wie ein Bettlaken...bist du krank?"

„Nein...gewiss nicht. Mir geht es gut, danke."

Harry hob beide Hände und rückte die Fliege an Louis' Hals zurecht. Dabei streiften seine kalten Finger die Haut an seinem Hals.

„Die Haut ist ganz erhitzt. Du hast Fieber, mein Freund", säuselte er, legte ihm die Hände auf die Schultern und besah ihn mit ernsthafter Besorgnis im Blick.

„Du solltest im Bett sein, dann würde es dir rasch besser gehen. Du zitterst ja, Mon Chérie", sagte er und legte Louis eine Hand auf die Wange. Die Nähe zum Sohn des Grafen, war Louis überhaupt nicht angenehm. Er kannte es nicht, dass man einem anderen Mann so nahe kam. Das gehörte sich überhaupt nicht. Er war ein anständiger Bursche und machte rasch einen Schritt zurück.

„Ich zittere nie", versuchte er sich zu verteidigten, doch er spürte regelrecht, wie sein Körper bebte. Dieser Mann machte ihn unbehaglich.

„Oh doch, das tust du. Du bist ängstlich. Dabei gibt es doch gar keinen Grund dazu." Harrys Stimme war samtig weich, doch der Ton, den er anschlug passte so gar nicht zum Umgang mit einem anderen Mann. Wenn er mit einer Frau so gesprochen hätte, wäre das nachvollziehbar gewesen, aber so...

„Ist heute nicht ein Ball hier im Schloss?", fragte Louis, um von seinem Rückzug abzulenken und Harry legte den Kopf schief: „In der Tat. Woher weißt du das?"

„Ich habs einfach so geraten...", stammelte Louis und schluckte. Harrys Blick blieb auf seiner Kehle hängen und er lächelte.

„Wie schlau du bist. Nicht nur schön, sondern auch ein kluger Kopf...wie wundervoll. Ja, heut Nacht findet hier ein Ball statt. Ich lade dich ein. Es wird ganz wundervoll. Viele Gäste werden kommen, es gibt Rotwein, Musik und Tanz. Es wird mit dir an meiner Seite sicherlich unvergesslich werden." Harry huschte einmal um ihn herum, griff dann seine Hand und zog ihn in seine Arme.

Louis hatte noch nie getanzt und schon gar nicht mit einem Mann. Harry war ihm viel zu nah und hatte einen so festen Griff, dass er sich ihm nicht entziehen konnte.

„Und tanzen kannst du ja auch", stellte der Grafensohn fest und wirbelte Louis im Kreis, der kaum wusste, wie ihm geschah. Erst, als er vor einem Spiegel zum stehen kam musste er erkennen, dass nur er selbst ihm entgegen blickte.

Harry hatte kein Spiegelbild!

Das war das erste, was ihm Professor Payne beigebracht hatte.

Vampire hatten kein Spiegelbild!

Ehe Louis den Gedanken fassen und die Flucht ergreifen konnte, stand der Vampir direkt hinter ihm und zwickte ihm in den Po.

„Was für ein schöner Po", sagte er genüsslich und Louis riss die Augen auf. Das hier ging in die falscheste Richtung, die es überhaupt geben konnte. Er musste dringend hier weg!

Harry drehte ihn wieder in seine Arme, dann senkte er den Blick auf das Buch, das Louis noch immer in den Händen hielt und nahm es ihm sachte aus der Hand.

„Zeig mir, was du liest...", sagte er, legte ihm den Arm um die Schulter und führte ihn zum Bett, das im Nebenzimmer stand.

Es war ein prächtiges Himmelbett, mit mottenzerfressenen Vorhängen und einigen Spinnweben im Balldachin.

„Ein Buch..."

„Gedichte...und dann auch noch über die Liebe", sagte Harry und schlug das Buch wahllos auf.

„Um seiner Herzdame die Ehre zu erweisen, muss man ihr den Arm um die Schulter legen und die Hand sachte, wie ein Vögelchen auf der Schulter platzieren", las er und befolgte sogleich die Anweisung. Seine große Hand legte sich auf Louis Schulter und krallte sich regelrecht in den Samtstoff seiner Jacke. Sachte war anders. „Du bist scheinbar verliebt, sonst würdest du nicht ein solches Buch lesen, nicht wahr?", fragte er und sah ihn aufmerksam an.

Louis sagte nichts. Er hatte den Eindruck, als wäre es keine gute Idee, dem Vampir zu sagen, dass er sich in die Frau verliebt hatte, die sein Vater heute Nacht zu essen gedachte.

„Ich bin auch verliebt, weißt du? Und zwar in dich. Es hat mich getroffen wie ein Blitz, in den ganzen 400 Jahren, in denen ich lebe, ist mir das noch nicht passiert", sagte Harry langsam, reichte ihm das Buch und tippte mit dem Zeigefinger gegen Louis' Halsschlagader.

Sie pulsierte heftig unter seiner Haut.

„Wenn ich verliebt bin, dann kann ich kaum widerstehen...", hauchte Harry und neigte den Kopf ganz langsam. Louis konnte den Atem des Vampirs auf seiner Haut spüren und erstarrte.

Er musste etwas tun. Er musste sich wehren!

Nur wie?

Mit einem leisen Seufzen wollte der Vampir die letzte Distanz zwischen ihnen überbrücken, doch Louis rammte ihm das Gedichtbuch zwischen die Zähne und die langen Fänge gruben sich in den Einband.

Der Vampir schreckte zurück und zerrte an dem Buch in seinem Mund. Louis sprang auf, plötzlich wieder Leben in seinen Füßen und rannte aus dem Zimmer, so schnell ihn seine Beine tragen konnten.

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Teil 4

Wenn Liebe in dir ist...OSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt