Für Gondor

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Herbst 1939 D.Z.

Ondoher stand vornüber gebeugt an seinem Schreibtisch. Gedanken jagten in seinem Kopf umher. Er stand nun schon lange so da und dachte über seine vertrackte Situation nach. Doch wie er es auch drehte und wendete, ihm fiel keine andere Lösung ein. Tatsächlich war das Angebot, das auf dem Pergament vor ihm geschrieben stand, die beste Lösung. Seufzend blickte er auf die feine, gestochen scharfe Handschrift. Wieder und wieder las er die Zeilen.

Schließlich setzte er sich und nahm eine Feder zur Hand. Dann begann er, eine Antwort zu notieren. Einer der Schreiber würde sie auf ein offizielles Schreiben übertragen. Nach ein paar Minuten war er fertig und lehnte sich zurück. Er war nicht glücklich darüber und vor allem würde seine Tochter nicht glücklich sein, ganz im Gegenteil. Aber welche Wahl hatte er denn? Ein König denkt an das Wohl seines Volkes, nicht an seine eigenen persönlichen Bequemlichkeiten oder die seiner Familie, ermahnte er sich.

Gondor befand sich in einer Krise. Ein Volk an der Ostgrenze, dass von den Gondorern als Wagenfahrer bezeichnet wurde, griff schon seit Jahren immer wieder die Grenzen an. Ondohers Vater selbst, Calimethar, hatte sie bereits bekämpft und zurück geschlagen. Doch vor wenigen Jahren hatten die Wagenfahrer wieder angefangen anzugreifen. Sie schienen viel stärker geworden zu sein, und tollkühner. In viel kürzerer Zeit als Ondoher es für möglich gehalten hatte, hatten sie sich neu formiert und drangen nun viel tiefer in das Landesinnere vor. Ondoher hatte seine Soldatenanzahl verdoppelt. Er sandte berittene Streifen in das ganze Land aus und wurde der immer bedrohlicher werdenden Lage doch nicht Herr.

Vor zwei Jahren nun hatte er erfahren, dass auch Arthedain, das hoch im Norden Mittelerdes lag, wieder häufiger Opfer von Angriffen wurde. Der König von Arthedain, Arvedui, Sohn Araphants, konnte sich noch gut den Angriffen zur Wehr setzen. Im Gegensatz zu Ondoher verfügte er noch über genug Männer. Doch lange hatten beide Reiche ihre eigenen Kämpfe ausgefochten. Zwar entstammten Ondoher und Arvedui beide der gleichen Linie, denn ihr Vorfahr war Elendil, aber mit der Zeit waren die Kontakte der beiden Länder zum Versiegen gekommen. Man kümmerte sich mehr um die eigenen dringenderen Angelegenheiten, anstatt Kontakte zu einem Land zu pflegen, das eine Reise von acht Monaten entfernt lag.

Doch mit einem Brief Ondohers an Arvedui vor einem Jahr hatte sich das geändert. Ondohers Männer hatten einen Krieger der Wagenfahrer gefangen genommen und ihn zum Verhör nach Minas Anor gebracht. Was Ondoher dabei erfahren hatte, hatte seine schlimmsten Vermutungen bestätigt und ihn davon überzeugt, dass die beiden alten Reiche wieder näher zusammen rücken mussten. In Gedanken durchlebte er seine Begegnung mit dem Wagenfahrer noch einmal.


Ondoher saß auf seinem Thron und lauschte den Ausführungen eines Edelmannes vor ihm. Der Mann beschrieb, wie eine Bande Wagenfahrer in sein Fürstentum im nördlichen Ithilien eingefallen waren. Mit insgesamt zehn Streitwägen hatten sie seine Bauernhöfe angegriffen. Ein Dutzend Männer und Frauen waren blutig abgeschlachtet worden, ihre Gehöfte in Brand gesetzt und ihre Felder verwüstet. Bevor die Soldaten, die er zu den Höfen geschickt hatte, dort angekommen waren, waren die Wagenfahrer bereits verschwunden. Nichts als verbrannte Erde und verzweifelte Menschen hatten sie zurück gelassen.

Händeringend beschrieb der Fürst Ondoher, wie viel Vorräte ihnen nun im Winter fehlen würden. Seine Untertanen würden Hunger leiden und er fürchtete Aufstände. Nicht nur, dass es ihm an Geld zum Wiederaufbau der Höfe mangelte, auch die nötigen Männer fehlten ihm.

Ondoher sah mit gerunzelter Stirn den Mann vor ihm an. Es war bei weitem nicht der erste Bericht dieser Art, der ihm zu Ohren kam. Und es würde wohl nicht der Letzte bleiben. Regelmäßig erhielt er Bericht über die Nöte der Fürstentümer und Gehöfte an den Grenzen zum Gebiet der Wagenfahrer. Seine Augen schweiften in dem Saal umher. Außer dem Bittsteller waren noch zahlreiche andere Edelleute anwesend. Teilweise hatten sie selbst Bitten vorzutragen, teilweise waren sie einfach nur hier, um zu sehen, wie Ondoher auf die verschiedenen Bitten reagierte.

Die letzte KöniginWhere stories live. Discover now