7 - Alte Wunden

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Aron

''Weil er nicht mehr da ist...'' Ihre Augenlider flattern noch ein paar Mal bis sie einschläft. Leise und regelmäßige Atemzüge sind neben dem Geplapper des Fernsehers das einzige Geräusch. So wie es aussieht, werde ich die heutige Nacht im Sessel sitzend verbringen und mich morgen verfluchen, weil ich sie nicht hinausgeschmissen habe. Mein Rücken wird bestimmt nicht sehr dankbar sein, aber wenn ich die Fremde so friedlich hier liegen sehe, bringe ich es nicht übers Herz, sie zu wecken und in ihr eigenes Zimmer zu schicken. Wer weiß schon, was passiert wäre, wenn sie sich bei sich betrunken hätte und dann in die Arme der beiden Arschlöcher von der Rezeption gelaufen wäre. Ziemlich sicher, wäre sie nicht so glimpflich davon gekommen.

Ihre dunklen, langen Haare sind um ihren Kopf ausgebreitet wie ein Heiligenschein. Mit einem Engel scheint sie allerdings nicht viel gemein zu haben, nachdem sie säuft wie ein Bauarbeiter an seinen besten Tagen. Der schmuddelige Pullover hat schon bessere Zeiten erlebt und ihre Jacke ist ihr bestimmt fünf Nummern zu groß. Für ihr Alter, und ich bin mir sicher, dass sie nicht allzu viel jünger, als ich es bin, wirkt sie viel zu traurig. Als hätte sich ein Schleier der Trauer um sie gelegt, der sie einfach nicht atmen lässt. Selbst im Schlaf erkenne ich ihren Schmerz und ich bin weiß Gott kein Mann, der sich viel um die Gefühle anderer schert. Nicht mehr jedenfalls ...

''Jessy ... Komm zurück'', murmelt sie immer und immer wieder. Anfangs habe ich nichts verstanden, doch je öfter sie es sagte, desto näher rücke ich an sie heran. Mit zugekniffenen Augen versuche ich angestrengt, ihren Traum zu verfolgen. Ist das krank? Vermutlich schon. Allerdings hat sie meinen Alkohol getrunken und schläft in meinem Bett. Dann darf ich auch hören, was sie von sich gibt. Immer wieder fällt ein Name: Jessy. Wer ist dieser Jessy? Ihr Freund oder Mann? Verheiratet scheint sie nicht zu sein, denn ein Ring steckt nicht an ihrem Finger. Spätestens als sie an ihrer Jeans rumgefummelt hat, hätte ich es bemerkt. Vielleicht wurde sie von ihm verlassen, hat sie aus dem Haus geschmissen, ihr das gemeinsame Konto gesperrt und den Wagen einkassiert. Viel weiß ich über diese traurige Frau nicht, nur das bisschen, dass sie mir im Suff anvertraut hat.

Kein Haus, kein Geld, Streit mit der Freundin und ein kaputtes Auto. Die besten Voraussetzungen, um sich in einem Motel niederzulassen und die Minibar zu plündern. Ich frage mich, ob sie sich morgen noch daran erinnern wird, was wir gesprochen haben. Ich werde sie jedenfalls nicht darauf ansprechen. Warum ich sie überhaupt mit in mein Zimmer genommen habe, ist mir immer noch ein Rätsel, denn das ist nichts, was ich gewöhnlich mache.

Ich bleibe gerne für mich, so ist es nun mal. Mit Smalltalk habe ich nicht viel am Hut, was Scarlett bereits festgestellt hat, auch wenn ich dachte, dass ich das gut überspielt habe. Wenn sie wüsste, dass ich wirklich Forstarbeiter bin, würde sie sich vermutlich auf die Schulter klopfen und Habe ich es nicht gesagt? schreien. Einen Grund gibt es allerdings nicht, warum ich ihr das auf die Nase binden hätte sollen, geht sie schließlich nichts an.

Seit ich vor fünf Jahren aus der Provinz geflüchtet und mein eigenes Haus in der Wildnis des Bitterroot National Forest gebaut habe, habe ich jegliches Interesse an der Menschheit verloren. Von der kleinen Vorstadt, in der jeder von jedem alles wusste, bis zum Einsiedlerhaus im Nirgendwo scheint sich eine neue Welt für mich aufgetan zu haben. Ich musste mir endlich nicht mehr die dummen Sprüche von Miss Wheeler anhören, die mir jeden Sonntag mit ihren dummen Kommentaren in den Ohren gelegen ist. Die bösen Blicke der Frauen im Ort vermisse ich bis heute kein bisschen und die hetzerischen Kommentare der Barbesucher können mir auch gestohlen bleiben. Manche sagen mir vermutlich jetzt noch schlimme Dinge nach und viele verfluchen mich dafür, dass ich aus deren Städtchen geflohen bin, denn den schwarzen Peter muss nach meinem Abgang schließlich jemand anderes bekommen. Und alle hoffen still und heimlich, dass sie es nicht selbst trifft. So sind die Menschen eben. Teilen kräftig aus und können dafür nichts einstecken und wenn man mich fragt, ob ich es bereue, abgehauen zu sein, würde ich ihm ins Gesicht lachen.

Light up my LifeWhere stories live. Discover now