schreib um dein leben

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Der Wind weht sanft um uns herum, lässt meine langen Haare einen kleinen Tanz aufführen und die raschelnden Blätter eine leise Melodie summen. Der Fluss wenige Meter neben uns plätschert ruhig vor sich hin, unterstreicht die herrschende Stille. Ich schließe meine Augen, genieße den Moment, denn es wird der letzte dieser Art sein. Der letzte mit ihm.

Meine kleine, kalte Hand berührt während dem Gehen immer wieder seine große, warme und verursacht das nur allzu bekannte Kribbeln in mir. Es ist immer noch wie am ersten Tag, als ich das erste Mal in seine atemberaubenden Augen sah. Als er mich das erste Mal berührte und die Welt für mich stehen blieb. Und das alles allein durch eine winzige Berührung. Durch eine winzige Berührung, die doch so viel verursacht. Aber auch die schönsten Augenblicke nehmen irgendwann ein Ende.

Meine Gedanken schweben zu unseren gemeinsamen Abenden, wie wir eng einander gekuschelt auf der Couch in unserer gemeinsamen Wohnung saßen und zum tausendsten Mal meinen Lieblingsfilm schauten, was er nur mir zu liebe tat. Wie er mir tief in die Augen sah, mir versicherte wie sehr er mich liebte und ich ihm sagte, dass ich ihn mehr liebe. Und all das soll jetzt enden. Es soll einfach so enden.

Wenig entfernt erscheint ein großer Kirschbaum, der mitten in seiner Blüte steht. Einzelne der Blütenblätter werden vom Wind abgelöst und fliegen friedlich in der Luft umher, bis sie schließlich auf dem Boden aufkommen. Ich bleibe stehen, will bei diesem Anblick etwas länger verharren, seine Anwesenheit noch länger spüren.

Irgendwann wird dieser Baum keine Blüten mehr tragen, irgendwann werden sie alle zu Boden fallen und verrotten. Doch danach wird er Kirschen tragen, rote saftige Kirschen und das jedes Jahr, denn selbst wenn man denkt, es wäre vorbei, beginnt es ganz neu, vielleicht sogar besser. Und wenn der Baum keine Blätter mehr trägt und tot scheint, ist es doch gewiss, dass der Neuanfang nicht weit ist.

,,Du bist so schön." Ich spüre seinen intensiven Blick auf mir, seine braunen Augen, die sich in mich brennen und ein Brandmal hinterlassen. Seine Stimme lässt Gänsehaut auf meinen Armen enstehen, ich liebe ihren rauen Klang. Die Art und Weise wie er die Worte betont, die wie Balsam für meine Seele sind. Ich liebe einfach alles an ihm.

,,Meinst du?", ich drehe mich unsicher zu ihm herum, obwohl ich ganz genau weiß, dass er mich niemals anlügen würde. Dass er die Wahrheit sagt, aber ich will es noch einmal hören. Will es noch einmal hören, bevor es zu spät ist. Bevor er gehen muss und ich zurück bleibe.

Unsere Wege werden sich trennen müssen, doch ich bin so unglaublich dankbar für die gemeinsame Zeit, die wir hatten. Für die Zeit, in der ich mich sein nennen durfte.

,,Schön und klar; von Innen sowie Außen." Meine Knie werden immer weicher, während mir das Blut ins Gesicht schießt, weswegen ich meine Wangen mit den Händen bedecke und versuche mein Gesicht vor ihm zu verstecken. So lief es schon als er mir erstmals ein Kompliment machte und so läuft es auch heute noch.

,,Du übertreibst!" Er hat es mir schon so unendlich oft gesagt, doch ich werde mich wohl nie daran gewöhnen können. Ich werde mich nie an seine liebevollen Blicke und Bemerkungen, an seine Berührungen und an den Gedanken gewöhnen können, dass der wunderbarste Mensch der Welt ausgerechnet mit mir zusammen ist. Oder bald zusammen war.

Er legt seine Hände auf meine, umschlingt sie und nimmt sie vorsichtig von meinem Gesicht, allerdings lässt er sie nicht los. Seine Augen wandern über meine Lippen, zu meiner kleinen Stupsnase bis hin zu meinen Augen, während diese über sein Gesicht wandern.

Über die Lippen, die ich schon so oft geküsst habe. Über seine kantigen Wangenknochen, die leichten Bartstoppeln und das kleine Muttermal unter seinem linken Auge, das ich so sehr mag. Über seine braunen Augen, die mir mit so viel Liebe und Sehnsucht entgegen strahlen und über die kleinen Grübchen, die sich immer bilden, wenn er lächelt. Sein schiefes Lächeln, das ich so so sehr liebe und es macht mich zum glücklichsten Menschen der Welt der Grund für dieses zu sein.

,,Das würde ich nie." Seine rechte Hand streicht zärtlich über meine Wange bis zu meinen Haaren, aus denen er ein rosanes Blütenblatt zieht, das sich wohl dort verfangen hat. Ich will den Moment nicht zerstören, doch ich muss es fragen. Muss wissen wie lange wir noch haben. Wie lange ich noch an seiner Seite weilen, seine raue Haut auf meiner weichen und seine Lippen auf meinen spüren darf.

,,Wie lange bleibst du noch bei mir?"

Der Schmerz und die Zerbrechlichkeit in meiner Stimme sind kaum zu überhören. Es fühlt sich an als würde mein Herz mit jeder Minute, die vergeht und der Abschied näher kommt ein kleines bisschen mehr zerrissen werden. Als würde ein Teil von mir verloren gehen.

,,Bis morgen. Dann muss ich zum Flieger", seine Züge verziehen sich gequält, während sich seine Augenbrauen nachdenklich zusammen ziehen. ,,Zumindest eigentlich. Es kam etwas dazwischen und ich muss schon heute weg. Gleich."

Mein Herz setzt aus und einen kurzen Moment wünsche ich mir, dass es auch nicht wieder zu schlagen beginnen sollte. Ich wollte den Schmerz nicht alles andere übertönen lassen, jedoch kann man seine Gefühle nicht lenken, was vollkommen in Ordnung ist. Zumindest versuche ich mir einzureden, dass es in Ordnung sein wird, dass die Wunden heilen werden.

,,Vergiss mich nicht", meine Stimme ist nun nichts mehr als ein Hauchen, während mir eine heiße Träne die Wange hinunter läuft, die ich zu unterdrücken versuchte und die nun eine ätzende Spur hinterlässt. Er fängt sie mit seiner Fingerkuppe auf und wischt sie fort, lässt all die negativen Gefühle in den Hintergrund treten. Auch seine Augen glänzen verdächtig, jedoch weiß ich, dass er stark bleiben will. Für mich. Damit wir beide leichter loslassen können, denn uns wird nichts anderes übrig bleiben.

,,Wie könnte ich das?" Ich spüre seinen Atem auf meinen Lippen, die nur noch wenige Millimeter von seinen entfernt sind und lege sie schließlich auf diese.

Dieser Kuss ist Ausdruck all unserer Gefühle, der unausgesprochenen Worte und dem unendlich scheinenden Schmerz. Ausdruck unserer Liebe zueinander und ich weiß fest in meinem Herzen, dass er immer ein Teil von mir bleiben wird. Dass ein Teil meines Herzens immer ihm gehören wird. Worte sind ein bloßer Versuch der Menschen ihren Gefühlen und Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen, doch oft sagen Handlungen so viel mehr. Sind so viel aussagekräftiger.

,,Ich liebe dich." Ich liebe ihn wirklich, mehr als es irgendetwas je ausdrücken könnte, aber er weiß ist. Wir brauchen keine Worte, um den anderen zu verstehen. Ich brauche lediglich ihn. Ich werde ihn immer brauchen, nur muss ich jetzt lernen ohne ihn zu leben. Abschied zu nehmen.

,,Ich liebe dich auch." Wir schauen uns ein letztes Mal tief in die Augen, ich streiche sanft über die Konturen seines Gesichts und wünsche mir so unglaublich heute Nacht wieder neben ihm einzuschlafen und morgen neben ihm aufzuwachen. Und das jeden Tag, allerdings können manche Wünsche nicht erfüllt werden. Zumindest nicht zu gewissen Zeitpunkten.

,,Wir werden uns eines Tages wiedersehen. Versprochen." Er lässt meine Hände los, läuft einige Schritte zu mir gewandt rückwärts, bis er sich schließlich abwendet und geht. Bis er einfach so mein Leben verlassen muss. Das Rauschen des Flusses kommt mir mittlerweile unangenehm laut vor, verdeutlicht mir den Verlust und die nun herrschende, ungewollte Stille nur noch viel mehr.

Ich wünsche mir, dass er glücklich wird. Dass sich all seine Träume erfüllen, denn er hat nicht weniger verdient. Er verdient die Welt. Es fühlt sich an als würde ich innerlich sterben, aber wenn es zu seinem Glück verhilft sterbe ich gerne.

Ich würde alles für ihn tun, egal wie nah oder entfernt er ist.

Das Summen der Blätter verklingt allmählich, als ich erkenne, dass sie ein Abschiedslied summten. Dass nun auch ich meinen Weg gehen muss und es auch für mich Zeit ist, zu gehen.

Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder, vielleicht ist es vorgesehen, dass sich unsere Wege wieder kreuzen. Er hat es versprochen und er bricht nie versprechen. Bis dahin werde ich unsere Erinnerungen im Herzen tragen und sein Bild in den Sternen sehen, unter denen wir doch immer noch vereint sind.

Das ist mein Beitrag für den Schreibwettbewerb von Sprachparadoxon :)
Schaut unbedingt bei dem Wettbewerb vorbei, die Aufgabenstellungen sind unheimlich interessant und kreativ und Jenny ist eine tolle Person, die wirklich Ahnung vom Schreiben hat! Ich hatte sehr viel Spaß mit dieser Aufgabe und vielleicht will der ein oder andere bei der nächsten ja mitmachen, denn man kann jederzeit einsteigen !
Ich wünsche euch noch eine schöne Woche und bleibt gesund <3

ARTEMWhere stories live. Discover now