Notfall

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"Boah Axl, mach die Tür auf!" Mit geballter Faust hämmere ich gegen die Tür, ungeachtet der Gefahr, dass diese deswegen bald aus den Angeln fliegen könnte. Genervt stampfe ich mit dem Fuß auf und seufze dann. Da war ich schon über eine Stunde später los als vereinbart und Axl war scheinbar immer noch nicht wach. Wahrscheinlich ist er erst im Morgengrauen von irgendeinem Gig heimgekommen und schläft noch seinen Rausch aus. Zum dritten mal klingele ich nun Sturm, als von drinnen Gepolter zu hören ist.
"Na endlich", brumme ich und nehme schon einmal eine beleidigte und genervte Pose ein: Arme verschränkt, Augenbrauen nach oben, einen Fuß ungeduldig auf dem Boden tippend.
"Komme jaaa!", kommt es von drinnen und ich beiße mir auf die Lippen, um ein Grinsen zu unterdrücken bei der Vorstellung, dass sich Axl gerade noch höchstwahrscheinlich ein Shirt und Boxershortts zusammensucht.
Endlich öffnet sich die Tür und Axl kneift wegen des Sonnenlichts erst einmal die Augen zusammen.
"Wir waren verabredet?", fragt er, offensichtlich noch immer verschlafen. Ich nichte. "Schon vor über einer Stunde."
"Sorry, Jul, willst du reinkommen?" "Das ist das mindeste", entgegne ich und will an ihm vorbei in die Wohnung schreiten. Doch Axl zieht mich zu sich, um mich zu umarmen. "Du stinkst", sage ich bloß, als er mich wieder loslässt und grinse dabei. "Ich geh ja schon duschen", lacht der Sänger und verzieht sich ins Bad.
Währenddessen beschließe ich, in seiner Wohnung mal durchzulüften und Licht hereinzulassen. als ich mich umblicke, wird mir schnell klar, warum es hier normalerweise so dunkel ist. In die Küche werfe ich nur von außen einen Blick und entscheide, diese gar nicht erst zu betreten. Stattdessen setze ich mich auf die heruntergekommene, löchrige Couch und betrachte in Ruhe den Saustall.
Kurz darauf kommt Axl frisch geduscht und umgezogen aus dem Bad und setzt sich zu mir.
"Lange Nacht gehabt?" "Oh ja.!" Axl streckt sich und grinst. "Aber war geil. Der Raum war so klein, dass sich Duff ständig den Kopf gestoßen hat, Slash hätte mich bei seinem Solo fast mit der Gitarre geköpft und Izzy hätte fast eine Prügelei mit dem Barkeeper begonnen." "Oh, warum das?", will ich neugierig wissen und setze mich etwas auf.
"Naja, also Slash übertreibt bei seinen Solos ja eh immer und wenn er dann..." "Nicht das mit Slash, du Idiot", unterbreche ich ihn, "das mit Izzy."
Da grinst mich Axl breit an und ich laufe etwas rot an. "Aaaaalsooo", holt er aus und wird in seiner dramatischen Sprechpause von mir in die Seite geboxt, "Ich glaube, der Barkeeper hatte seinen Lieblingswhiskey nicht mehr da oder so und das hat Izzy nicht gepasst." Axl zuckt mit den Schultern und ich nicke.
Ich ignoriere seinen bohrenden Blick und betrachte meine Fingernägel. Ich kenne Axl schon seit der High School und wir sind seitdem beste Freunde. Und seitdem weiß Axl auch, dass ich in Izzy verknallt bin. Izzy kenne ich ebenfalls seit der High School, doch sobald er vor mir steht, stammele ich nur noch dämliches Zeug vor mich hin. Axl fand da schon immer sehr amüsant und zieht mich gerne damit auf. Ich habe mich bis jetzt auch fast immer erfolgreich davor drücken können, mir eine ihrer Shows anzusehen.
Axl erzählt mir auf meine Nachfrage hin nun von noch mehr Auftritten, wobei es mich nicht wundert, dass nicht wenige in Prügeleien oder Tumulten enden. Manche auch scheinbar für eine Nacht im Knast. Ich schüttele den Kopf.
"Wenn's Spaß macht." "Natürlich", versichert mir der Rothaarige und beugt sich plötzlich vor. "Wir spielen heute Abend.Lust, vorbeizukommen?" Er blickt mich ernst an, kannes allerdings nur für eine halbe Sekunde halten, ehe er grinsen und lachen muss. "Nein!" "Keine Lust, Izzy zu sehen, hmm?", neckt er mich und ich zeige ihm den Mittelfinger.
Axl lacht laut und ich greife nach dem nächstbesten Kissen, um es  ihm ins Geischt zu pfeffern. Abwehrend hebt Axl die Hände, während ich ihn mit dem Kissen schlage. Dies war jedoch keine so gute Idee, da das Kissen ziemlich staubt und wir nur noch husten können für eine Weile.
"Jetzt aber ehrlich, keinen Bock?" "Nein", seufze ich, "ich hab meiner Mum versprochen, ihr heute  Abend beim Kochen zu helfen und anschließend muss ich noch was für meine Oma erledigen." Skeptisch hebt Axl seine Augenbraue. "Sicher?" "Ja, verdammt." "Schon gut", lächelt er dann, irgendwann krieg ich dich dazu." "Träum weiter", entgegne ich und bin froh, dass meine Ausrede nicht einmal gelogen ist.
Ich verbringe noch eine Weile bei Axl, bis es für ihn Zeit wird, sich für heute Abend fertig zu machen und er mich mit der Bitte, das nächste Mal mit Essen aufzutauchen, aus seiner Wohung wirft.

"Also Mama, ich geh dann das Zeug für Oma erledigen!", rufe ich vom Flur aus ins Wohnzimmer, während ich mir meine Schuhe anziehe.
"Alles klar, Schatz. Pass auf dich auf!"
"Ja-ha." Ich will gerade gehen, als das Telefon klingelt. Ich seufze und hebe ab, in der Hoffnung, dass es Oma ist, die nun doch nicht meine Hilfe braucht.
"Hallo?"
"Oh ein Glück, du bist es, Jul!" Ich blinzele verwirrt. "...Axl?" Mich überrascht es, dass er überhaupt meine Telefonnummer kennt.
"Was ist?", frage ich. "Du musst sofort herkommen, es ist ein Notfall! Izzy hat sich mit ein paar Leuten geschlägert und muss ins Krankenhaus, kannst du uns abholen, schnell, wenn's geht!"
Axl lingt panisch. "Die haben die Kneipe halb zerlegt und ich will Izzy wegbringen, bevor die Bullen kommen!", ergänzt er.
"Öh ja, ich komm sofort, wo genau seid ihr?" Axl gibt mir die Adresse durch, während ich, den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt, hektisch nach dem Autoschlüssel krame.
"Ich bin auf dem Weg." "Beeil dich!" Ich lege auf und hetze aus dem Haus zum Auto.
Draußen ist es bereits dunkel, aber noch angenehm warm. Um die Straßenlaternen, schwirren Motten und Falter und in den meisten Häusern brennt noch irgendwo Licht.
Während der Fahrt bereite ich mir im Kopf den besten weg zum Krankenhaus vor. Ich hoffe inständig, noch vor der Polizei dazusein. Zum Glück ist gerade wenig Verkehr und ich komme recht gut voran, auch wenn ich bei jeder roten Ampel ungeduldig mit meinen Fingern gegen das Lenkrad trommele.

Kurze Zeit später bin ich da und parke an einer Ecke. Von weiter sehe ich Axl schon auf mich zurennen. Schnell steige ich aus. "Beeil dich!" Axl packt mich am Handgelenk und elit voraus. "Wo ist Izzy?", frage ich nach Luft schnappend, während ich hinter Axl die Straße entlang renne. "Noch im Club. Steven und Slash kümmern sich um ihn, Duff versucht, etwas zu schlichten." Unvermittelt bremst Axl ab und ich hätte ihn fast umgerannt. Mein Herz rast, in meinem Kopf male ich mir aus, wie schlimm wohl alles aussieht, als Axl die Tür aufreißt und mich hineinschiebt. Sofort blicke ich mich nach Izzy um, doch meine Augen müssen sich erst an das gedimmte Licht gewöhnen und es dauert einige Momente, bis mein Gehirn registriert, dass es offensichtlich keine Schlägerei gegeben hat.
Ich wirbele herum. Axl steht breit grinsend im Türrahmen. "Viel Spaß bei deinem Date. Ich hatte es satt, dass ihr mich beide vollheult." Er winkt zum Abschied, salutiert und schließt dann zufrieden grinsend, dass sein Plan aufgegangen ist, die Tür.
Ich drehe mich um und entdecke Izzy an einem der Tische sitzen. Ich unterdrücke das Verlangen, Axl hinterherzurennen und ihn nun krankenhausreif zu prügeln und verfluche ihn stattdessen innerlich. Izzy ist derweil aufgestanden und steht nun vor mir.
"Hey Jul", lächelt er, "willst du dich nicht setzen, anstattt verwirrt im Raum zu stehen?" "Äh ja", antworte ich automatisch, während mich sein Lächeln schon etwas weiche Knie bekommen lässt und folge ihm zu dem Tisch.
Ich brauche noch einige Momente, um wieder einen etwas klareren Kopf zu bekommen. "Ich frag erst gar nicht, was Axl dir erzählt hat, damit du herkommst, denn du sahst ziemlich panisch aus. Entspann dich erst mal." Er schiebt mir sein Bier rüber, aus welchem ich mehr als gerne trinke.

Rückblickend bin ich ziemlich froh, dass Axl sich nur alles ausgedacht hat. Nicht nur, weil Izzy in Wirklichkeit nicht verletzt war, sondern auch, weil Axls Plan am Ende ziemlich gut aufgegangen ist.

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