9 ~ Skye

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Auf einen Schlag wurde das geräumige Wohnzimmer in komplette Dunkelheit getaucht. Es war, als hätte man den Sicherungsschalter umgelegt oder den Stecker sämtlicher Lampen gezogen, denn bis auf das matte Mondlicht, das durch die Glastüre in den Raum fiel und einige schemenhafte Umrisse erkennen ließ, waren sämtliche Lichter erloschen. Umso intensiver nahm ich die Kälte wahr, die sich über die hektischen Bewegungen der Partygäste wie ein sanfter, geräuschloser Schleier legte.

Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Mein leerer Blick war in die Menge gerichtet, dorthin, wo die ersten Taschenlampen aufleuchteten, deren Lichtkegel in Sekundenschnelle in der schwarzen Masse verschwand. Doch das war es nicht, was meine Aufmerksamkeit wie ein Magnet auf sich zog. Im Gegenteil, ich war nur auf eine einzige Person fokussiert. Nur ein blasser Schatten, der sich kaum von den anderen Konturen abhob, und doch auf seine eigene Art und Weise hervorstach. Vielleicht lag es an der absoluten Schwärze, die ihn umgab, oder an den dunklen, grünen Augen – jedenfalls konnte ich gar nicht anders, als meinen Kopf leicht nach rechts zu neigen, in Richtung der gläsernen Schiebetüre, die einen Spaltbreit geöffnet war. 

Der dahinterliegende Pool verbreitete ein bläuliches Leuchten, gerade ausreichend, um den dunkel gekleideten Typen von der ihn umgebenden Finsternis abzugrenzen. Die Kapuze seines weiten Hoodies war ihm tief ins Gesicht gerutscht, sodass sich unsere Blicke nicht kreuzten, doch auch so spürte ich seine Anwesenheit stärker als alles andere. Ich nahm ich das Weiß seiner Fingerknöchel wahr, die er krampfhaft gegen das Holz des Türrahmens presste. Sah, wie verbissen er seine Füße in den Boden stemmte, wie zwanghaft er auf den Boden starrte. Sein ganzer Körper drückte nichts als Anspannung aus, die ihn so greifbar umgab, dass ich mich augenblicklich fragte, was der Auslöser dafür war. Die Dunkelheit? Die Enge? Oder spürte er wie ich diese Kälte, die einem in alle Glieder zu kriechen schien?

Ich wollte gerade einen Schritt nach vorne wagen, als er mich bemerkte. Eigentlich hätte er genauso gut jeden anderen im Raum meinen können, doch seine eiskalten Augen ließen mich sicher sein, dass seine Worte an mich gerichtet waren.

"Nein..." 

Als würde ihn seine eigene Stimme quälen, senkte er mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf, während er vorsichtig einen Schritt in meine Richtung machte. Auch wenn uns noch fast die gesamte Breite des Wohnzimmers voneinander trennte, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Mit jedem Meter, den er mir näher kam, verstärkte sich die Gänsehaut auf meinen Armen. Ich versuchte, wenigstens ein paar bekannte Umrisse unter der Menschenmenge um mich herum auszumachen, doch wohin auch immer ich meinen Blick richtete, begegneten mir nur leere Gesichter, aus denen sämtliche Farbe gewichen war. Die Dunkelheit hatte die Personen überwiegend verschluckt, doch diejenigen, die sich noch in meinem Blickfeld befanden, ließen mich den Atem anhalten. Sie waren erstarrt, als hätte jemand im Film auf 'Pause' gedrückt. 

Selbst die Schritte meines Gegenübers schienen mit jeder Sekunde schwächer zu werden, bis sie schließlich verstummten. Für einen Moment meinte ich sogar, seine Füße würden ein paar Zentimeter über dem Boden schweben, als wäre sein Körper nur die leblose Hülle eines Geistes. Tatsächlich ließ mich das Bild, das sich mir bot, zunehmend glauben, ich säße in einem 3D-Kinofilm. Nur mit dem Unterschied, dass der in dunklem Grün schimmernde Umriss vor mir nicht nur auf eine riesige, realistisch wirkende Leinwand projiziert wurde. 

"Nur dieses eine Mal...bitte." Mit dem leisen, bedrohlichen Flüstern machte sich der Schatten erneut bemerkbar und erinnerte mich so daran, dass ich nicht alleine in einem leeren Saal saß oder das alles ein einfacher Alptraum war, aus dem ich jederzeit aufwachen konnte. Im Gegenteil, es schien ihm fast schon zu gefallen, wie ängstlich ich an der Wand kauerte. Auf seinen Lippen lag ein sanftes Lächeln, das sich verstärkte, je näher er mir kam. Uns trennten vielleicht noch ein paar Meter, die sich mit jeder Sekunde zu verkürzen schienen. 

Seelenhüter (pausiert)Donde viven las historias. Descúbrelo ahora