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Leise summend saß ich an meinem Schreibtisch und klopfte mit meinem Stift passend zum Takt auf das dunkle Holz. In Gedanken ging ich immer wieder den Stoff durch, den ich bis morgen für Geschichte können musste durch.

Rebellion der Bauern, Abdankung des Kaisers....

Ich seufzte. Irgendwie würde ich das schon schaffen.
Und wenn nicht, dann würde es auch nichts bringen, wenn ich jetzt noch weiter lernte.
Also schloss ich meinen Ordner und griff nach meinem Handy.
Ein verpasster Videoanruf um 20.17 Uhr. Vor gerade mal zwei Minuten.
Ich runzelte die Stirn, als ich sah, wer mich angerufen hatte.
War er nicht im Moment schon wieder sauer auf mich?
Langsam verlor ich echt den Überblick.
Egal, selbst wenn er es nicht war, sollte ich ihn vermutlich schnell zurückrufen, sonst würde er sich wieder beschweren, dass ich ihn ignorierte.

Na toll, ich hatte eigentlich überhaupt gar keine Lust, mir schon wieder seine Anschuldigungen anzuhören.
Aber was solls, früher oder später würde ich sowieso wieder mit ihm reden müssen und je länger ich es vor mir her schob, desto schlimmer würde es letztendlich werden.

Als ich gerade seinen Kontakt auf meinem Handy antippen wollte, rief er mich erneut an.
Wieder ein Videoanruf.
Anscheinend war es wirklich dringend.
Mit einem letzten tiefen Atemzug nahm ich den Anruf entgegen und zwang mich zu einem Lächeln.

"Hey, was gib...." "Ist die Aussicht nicht toll?", unterbrach mich seine Stimme emotionslos.
Er hatte seine vordere Kamera eingeschaltet, weshalb ich statt seines Gesichts nur die nächtlichen Lichter der Stadt sehen konnte, die sich vor ihm erstreckten.

Ich war mir nicht sicher, was er jetzt von mir erwartete, also nickte ich einfach nur.
"Ja, es sieht wirklich schön aus. Wieso hast du eigentlich angerufen?"

Er schwieg.

Dann, als ich schon fast verzweifelt nach etwas suchte, das ich sagen könnte, meinte er, ohne auf meine vorherige Frage einzugehen: "Ich hätte nicht gedacht, dass du rangehen würdest."
"Wieso sollte ich nicht rangehen?"
Der Bildauschnitt, den sein Handy aufnahm, wackelte kurz, als würde er mit den Schultern zucken.
"Naja, schließlich hasst du mich."

Ich schüttelte meinen Kopf, ohne verhindern zu können, dass man mir meine leichte Genervtheit ansah.
Ich hatte ihm jetzt schon so oft gesagt, dass ich ihn nicht hasste, konnte dass nicht langsam mal in seinen Dickschädel hinein?
Ich versuchte den Ärger aus meiner Stimme zu verbannen und sagte: "Ich hasse dich nicht."
"Aber du bist schon wieder genervt von mir, auch wenn ich gar nichts gemacht habe, das heißt du hasst mich."
"Ich bin nicht genervt von dir, ich bin nur grad ein bisschen fertig, weil wir morgen Geschichte schreiben und ich komplett verkacken werde. Ehrlich."

Das entlockte ihm ein Lachen. Dieses raue spöttische Lachen, das man schon fast als Schnauben bezeichnen konnte.

"Weißt du was?" Ich runzelte die Stirn. Irgendwie war es schwierig, mit ihm zu reden, wenn er die ganze Zeit einfach irgendetwas anderes sagte.
"Was denn?"
"Tote Mädchen lügen nicht."
"Okay...?" Was wollte er mir denn damit jetzt sagen? Meinte er etwa das Buch?

"Aber", sprach er nach einer längeren Pause weiter, "Du bist nicht tot, also lügst du."

Ich schnaubte. "Dein Ernst? Du hast mich jetzt zwei Mal angerufen, nur um mir das zu sagen?"
"Nein." Wieder schwieg er.
"Und wieso dann?", inzwischen konnte man mir deutlich anhören, wie wenig Lust ich auf dieses Gespräch hatte.

"Ich werde gleich sterben."

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⏰ Last updated: Feb 05, 2020 ⏰

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