Kapitel 3

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Ich stehe angeschlagen auf. Oh Mann, konnte es nicht nur beim Schnupfen bleiben? Gestern ging es ja noch mit dem Schnupfen. Isabel und Emma haben mir Nasenspray und andere Medikamente gezeigt, während sie mich zu Diyar ausgefragt haben. Beide befinden sich gerade an ihrer Hochschule. Für mich geht es erst um 10:00 Uhr los und ich bin eine gute Stunde früher wach. Ich bleibe noch etwas liegen, berichte Diyar von meiner aktuellen gesundheitlichen Lage und beschließe zehn Minuten später, etwas zu essen. Dadurch, dass meine Nase zu ist, schmecke ich die Mandarinen nur halb so stark. Soll ich heute wieder Kniestrümpfe anziehen? Heute scheint sogar die Sonne. Doch, ich zieh sie an. Ich liebe Kniestrümpfe zu sehr, um sie nicht an einem sonnigen - wenn auch kalten - Tag anzuziehen. Nach der dritten Mandarine fühle ich mich schon viel besser. Ich bin oft so eingestellt, dass ich lieber auf Alternativen statt auf Pharmaprodukte zugreife, wenn es möglich ist. Ein bisschen mehr Obst und langsam geht es wieder. Meiner Mutter berichte ich von meiner Erkältung und antworte dann Diyar, der fragt, ob er zu mir kommen soll. Ich weiß nicht wieso, aber ich muss deshalb lächeln. Ich mag es, Diyar bei mir zu haben. Deshalb schreibe ich ihm, dass er sich auf den Weg machen soll. In der Zwischenzeit ziehe ich mich um, mache ich im Badezimmer frisch und lasse ihn dann herein.

"Das ist also die WG, von der du mir erzählt hast. Gibt es auch ein Zimmer für mich?" Schelmisch wackelt er mit seinen Augenbrauen. "Ja, das letzte Zimmer." Ich schubse ihn schmunzelnd durch den Flur. "Willst du etwas essen?" "Würdest du extra für mich kochen?", stellt er mir amüsiert die Gegenfrage. "Du fährst mich, ich koche für dich." Um zu zeigen, wie nahe es ihn geht, legt er seine Hand auf seine Brust. "Ich fühle mich geehrt, aber danke, gefrühstückt habe ich schon." Er lässt sich auf mein Bett nieder, schaut nach links, wo er meinen Taschentuchberg sieht. "Hattest du eine einsame Nacht?", grinst er. Ich lege den Kopf schief. "Ich hab doch Schnupfen." Und schon bemerke ich, dass meine Nase wieder läuft. "Ach, schon gut. Hier, ein Taschentuch für dich." Er reicht mir eins aus der Taschentuchbox, welches ich schmunzelnd annehme. "Danke, was wäre ich nur ohne dich?" "Ein Popelmonster." Ich setze mich zu ihm aufs Bett, als er sich dann klatschend die Hände reibt. "Was ziehst du heute an?" Ich zeige verwirrt auf meinen langen, weinroten Pullover und die schwarzen Kniestrümpfe. Ich habe vorsichtshalber doch eine Strumpfhose drunter angezogen, auch wenn es heute 10 Grad sind. "Und vielleicht noch dunkelroten Lippenstift." "Das kommt gut auf Partys." Warte, wie? Ich lege fragend den Kopf schief. "Was für eine Party? Den Lippenstift trage ich für die Uni." Jetzt heben sich seine Augenbrauen.

"Ach so, ups. Ja, bei den Professoren kommt das auch gut an." Er räuspert sich, weil er an etwas anderes als ich gedacht hat. Ich muss bei seinem unterdrückten, dümmlichen Lächeln lachen. "Diese Uniparty ist heute?" "Ja, du wolltest es dir doch überlegen." "Ich bin dann alleine dort", murre ich, woraufhin Diyar empört auf sich zeigt. "Dein Bodyguard und Begleiter steht hier. Wenn es dir nicht gefällt, fahre ich dich nach Hause. Komm schon, was hältst du davon?" Ich weiß nicht so recht. "Vielleicht. Wenn ich nicht mehr so angeschlagen bin, dann komme ich hoffentlich mit." "Und kommst du dann auch so oder willst du dir was anderes anziehen?" Ich schaue zu mir runter, richte meinen Gürtel, ehe ich ihn gespielt beleidigt ansehe. "Sieht das etwa komisch aus oder wie?" Plötzlich nimmt Diyar meine Hand. "Du siehst wunderbar aus, mi amor", gibt er mit einem spanischen Akzent von sich. Zufrieden lächele ich. "Übrigens bist du wirklich gefährlich. Ich habe mitbekommen, dass du Arian in der Garage geschubst hast." Ach ja. Ich pruste gleichzeitig mit ihm. "Ich hatte totale Panik. Ich habe den Lichtschalter nicht gefunden, dann höre ich Geräusche, spüre eine Hand und als das Licht dann anging, steht er plötzlich vor mir. Chillt er immer im Dunkeln in der Garage oder wie soll ich das verstehen?" "Nein", lacht Diyar. Kopfschüttelnd lächelt er mich an. "Der Arme kam von seinem Physiologie Praktikum wieder." "Oh." Das erklärt so einiges. Oh. Verlegen kratze ich mir den Kopf.

"Er hätte trotzdem nicht so nahkommen müssen." "Ich kann mir schon vorstellen, wie du mit aufgerissenen Augen geguckt hast und ihn dann geschubst hast. Oh Gott, hätte ich das doch nur gesehen." Das Geschehene scheint ihn wohl sehr zu amüsieren, dass er wieder zu lachen beginnt. "Du Kante, du." Ich spanne meine Oberarme an, was ihn nur dazu veranlasst, noch stärker zu lachen. "Hör auf zu lachen!" Ich schlage ihn lachend mit meinem Kissen. "Oh Gott, Zahnstocher!", lacht er. Dass ich ihn mit meinem Kissen schlagen will, bringt nichts. Er lässt es an sich abprallen. Nach einigen Neckereien und weiteren Unterhaltungen sitzen wir in der Vorlesung zu Forschungsmethoden. Man unterscheidet also Alltagspsychologie von der wissenschaftlichen Psychologie. Die Alltagspsychologie impliziert Wahres und Falsches, widersprüchliche Aussagen, Vorurteile und teils veraltete und längst überholte Theorien mittels Berufungen auf Autoritäten, subjektive Überzeugungen und Anführungen aneinandergereihter Beispiele. Die - wissenschaftliche - Psychologie jedoch ist eine empirische Wissenschaft, welche permanent bemüht ist, Wahrheit und Falschheit ihrer Behauptungen zu überprüfen. Das lässt sich auch sicherlich auf andere Gebiete beziehen - die Medizin zum Beispiel. Man könnte dort doch sicherlich auch zwischen empirischer Medizin und sogenannter Alltagsmedizin - vielleicht auch Amateurmedizin - unterscheiden. Dabei ist die Alltagsmedizin einfach nur das Einnehmen von Dinge und Ablehnen dieser, die auf subjektiver Überzeugung ruhen oder sich auf Autoritäten - der Mutter zum Beispiel - berufen.

Der Mann im Schatten *Leseprobe*Where stories live. Discover now