1. | Mitten im Nirgendwo

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Ich schlug meine Augen auf und blickte einem bewölktem Himmel entgegen. Die Baumwipfel wehten im leichten Wind, ich befand mich also in einem Wald. Aber ich hatte keine Erinnerung daran, wie ich hierhergekommen war. Überhaupt erinnerte ich mich an nichts. Nicht mal an meinen Namen. Nichts, in meinem Gehirn befand sich nur Leere. Was war passiert?

Als ich mich abtastete und an mir herunter sah, weiteten sich meine Augen überrascht. Ich trug ein weißes Kleid wie bei einer Hochzeit, die eigentlich voller Frieden ablaufen sollte. Aber das Kleid war bedeckt mit Erde und Tannennadeln, woraus ich schloss, dass ich hier schon länger gelegen hatte. Aber das seltsamste an dem Kleid waren die Blutflecken, die das Kleidungsstück von oben bis unten zierten. Obwohl man das nicht wirklich als Verschönerung bezeichnen konnte. Aber woher kam das Blut? Und wieso erinnerte ich mich an nichts?

Ich ballte meine Hände zu Fäusten und versuchte mich zu beruhigen. Bestimmt war alles nur ein Traum und ich würde gleich aufwachen. Ich kniff mir in den Arm und schrie sogleich auf. Es war auf jeden Fall echt, wieso also befand ich mich in einem Wald ohne Erinnerungen? Als ich bemerkte, was ich soeben getan hatte, schlug ich mir erschrocken die Hand vor den Mund, obwohl ich meinen Schrei nicht einfach zurücknehmen konnte. Ich hatte kurzsichtig gedacht, leichtsinnig gehandelt und das brachte mich in eine verzwickte Lage. Ich hoffte einfach, dass mich niemand gehört hatte, denn das mit den Blutflecken sah ziemlich verdächtig aus und wenn ich dann sagen würde, ich hätte mein Gedächtnis verloren, würde mir das wohl niemand mehr glauben.

Ich rappelte mich auf, wobei sich meine Gelenke ziemlich eingerostet anfühlten. Stolpernd lief ich die ersten Schritte, meine Muskeln waren wohl doch länger als gedacht nicht bewegt worden. Aber wieso hatte ich dann keinen Hunger und keinen Durst? Zur Sicherheit, falls das nur vorübergehend war und es mich gleich nach Wasser gelüsten würde, machte ich mich auf die Suche nach einem See. Zuerst ging es noch etwas holprig voran, dann kam ich aber wieder in meine wahrscheinlich alten Gewohnheiten hinein und lief in einem schnellen Tempo durch den Wald.
Kurze Zeit später fand ich einen kleinen Tümpel, zog schnell meine Turnschuhe aus, die so gar nicht zum Kleid passten, und watete ins kühle Nass. Dort spritzte ich mir Wasser ins Gesicht und trank ein paar kleine Schlucke. Wechselklamotten wären natürlich nützlich gewesen, dann könnte ich mich jetzt umziehen. Eine Flasche oder ein ähnliches Gefäß, in welchem ich Wasser mitnehmen könnte, wäre auch ganz praktisch, denn ich glaubte nicht, immer so viel Glück zu haben und eine Wasserquelle zu finden. Wegen dem Essen müsste ich mich wohl mit Beeren begnügen, denn erstens hatte ich keine Waffe um Jagen zu gehen und zweitens hatte ich auch nicht besonders viel Lust dazu Tiere auseinanderzunehmen. Vielleicht sollte ich aber erst eine Zivilisation ausfindig machen. Wieso wusste ich so viel, ner nichts über mich? Ich wüsste, wie ich ein Tier häuten konnte, an meinen Namen erinnerte ich mich aber nicht?

Dann schaute ich mein verschwommenes Spiegelbild im Wasser an. Ich hatte dunkelblonde, bis zur Brust reichende, zerzauste Haare und graublaue Augen. Meine Hautfarbe war etwas dunkler, insgesamt würde ich mich auf Mitte Zwanzig schätzen. Eigentlich war mein Aussehen nichts besonderes, ich würde mich als durchschnittlich bezeichnen, wären da nicht meine Augenbrauen. Dunkle, buschige Augenbrauen, die meine Augen hervorstechen ließen und meinem Aussehen etwas besonderes verliehen. Nachdem ich noch einen kleinen Schluck Wasser getrunken hatte machte ich mich wieder auf den Weg in Richtung Westen, ich hatte mir den Lauf der Sonne angeschaut, damit ich nicht im Kreis lief. Woher wusste ich das alles?

Ich sah einen Hasen nicht weit entfernt über die Wiese hoppeln und hörte dem Vogelgezwitscher zu. Doch irgendetwas störte mich in dieser friedlichen Idylle, ich kam nur nicht darauf was. Es war eben eine willkommene Abwechslung zu den Städten und dem ganzen Lärm. Das wars! Wieso wusste ich, dass ich davor in einer Stadt gelebt hatte?

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