Ein ehrliches Hindiwort befreit

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Kapitel 25 Ein ehrliches Hindiwort befreit

Raphaels Worte hallen in meinem Kopf nach. Vor allem das leise Flüstern meines Namens. Es brennt. Doch auch der Rest folgt. Echot und hallt. Seine Worte treffen mich wieder und wieder, wie stechende Nadeln. Mit jedem Atemzug bohren sie sich tiefer. Verzweifelt halte ich die Luft an, doch es wird nicht besser. Unaufhörlich dringen sie tiefer. Ich bleibe auf dem Parkplatz der Schule stehen und sehe mich um. Hilflos. Verletzt. Ich verzweifele mit Raphaels Feigheit. Nicht, dass ich mich je zu der mutigen Sorte gezählt habe, aber die gnadenlose Gewissheit zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Ich brauche Halt. Jemanden, der mich mit seiner bloßen Anwesenheit beruhigt und liebevoll wiegt.

Shari.

Ich denke nicht weiter darüber nach, steige in den Bus und stehe wenige Minuten später vor ihrem Haus. Es dämmert bereits. In jedem Fenster brennt Licht. Ich kann ihre Mutter durch das Fenster hindurch in der Küche stehen sehen. Ihre langen, schwarzen Haare sind lässig zusammengebunden und der rote Punkt auf ihrer Stirn leuchtet in ihrem freundlichen und gemütlichen Gesicht. Ihr lächelnder Mund ist der Inbegriff von Mütterlichkeit und mich durchströmt selbst hier draußen noch Wärme.

Wieder verspüre ich ein heftiges Stechen in meiner Brust, als Raphaels Worte durch meinen Kopf hallen. Trotz des lähmenden Schmerzes atme ich tief ein und ziehe mit klammen Fingern mein Handy hervor. Ich lasse es klingeln und nach schier unendlichen Minuten geht Shari endlich ran.

„Namasté, mein Bester", kommt es wie gewohnt fröhlich. Für einen Augenblick zucken meine Mundwinkel. Doch ich kriege kein Wort heraus, nur den Hauch eines Heys. Normalerweise erwidere ich mit meinen sonderbaren Begrüßungen, höre dann ihr Lachen oder ein fragendes Geräusch, doch diesmal ist mein Hals wie zugeschnürt.

„Mark? Alles okay?", fragt sie irritiert und fürsorglich, als ich nicht antworte. Ich atme ein und streiche mir mit zitternden Fingern über die Lippen.

„Ja. Nein, eigentlich nicht", gebe ich leise von mir und schließe die Augen.

„Ist etwas passiert?" Ihre weiche Stimme ist liebevoll und unendlich besorgt. Ich schweige, weil ich nur schwer meine Tränen zurückhalten kann. Dumpf dringt die Stimme ihres Vaters durchs Telefon, trotzdem scheint sie zu hallen. Shari antwortet etwas auf Hindi.

„Mark, du stehst vor dem Haus?", fragt sie verdutzt und ich höre ein Rascheln. Wahrscheinlich ist sie von ihrem Bett aufgestanden und im nächsten Moment geht auch schon die Haustür auf.

Ihr Vater wirkt noch größer, als ich es in meiner Erinnerung habe. Meine schleichende Angst formt ihn in meiner Fantasie noch monströser und furchteinflößender, als er wirklich ist. Sein Gesicht, ein Füllhorn an grimmiger Mimik und entsetzlicher Blicke. Mein Puls geht nach oben, als er seine Arme vor der gigantischen Brust verschränkt. Bilder aus meinen Träumen scheinen mit einmal unglaublich real und sehe mich schon im currygewürzten Sud meiner Eingeweide schmoren, bis ich gar bin. Ich atme tief ein und mache einen Schritt auf ihn zu.

„Guten Abend, Mister Ambani." Meine Stimme zittert ungewöhnlich.

„Was willst du hier?" Sein Tonfall ist neutral, doch das leise Brummen im Untergrund wirkt irgendwie bedrohlich. Vielleicht auch nur, weil mein Nervenkleid gerade nicht das stärkste ist. Mir fällt keine Erwiderung ein und bevor ich etwas antworte, steht Shari hinter ihm, zieht ihn zurück. Sie sagt etwas auf Hindi und es entbrennt eine hitzige Diskussion, bei der auch hin und wieder Worte fallen, die ich verstehe. Unruhestifter. Ärgerbringer. Mann. Ihr Vater ist wirklich kreativ. Mit einem lauten, tiefen Seufzen drückt sie sich an ihm vorbei und kommt auf mich zu. Ich sehe dabei zu, wie ihre langen schwarzen Haare hin und her wiegen. Ihre Lippen tragen ein sorgenvolles Lächeln.

Doors of my Mind - Der Freund meiner SchwesterWhere stories live. Discover now