Kapitel 1

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In dreihundert Jahren,
der Spross des Bösen

Ein Schritt.

Geheimnis wird wahren,
das Rätsel wird lösen.

Zwei Schritte.

In dreihundert Jahren,
der Spross des Bösen

Gleich waren sie an der Tür; wieder zu Hause.

Sein Wissen wird wahren,
von Qualen erlösen.

Endlich Ruhe.

In dreihundert Jahren,
der Spross des Bösen

Das Gedicht konnte er mittlerweile auswendig,
auch darum musste er sich keine Sorgen mehr machen.

Die Mächte wird wahren,
die Mächte des Bösen.

Kein Druck mehr, einfach ausruhen. Das Gedicht auswendig zu lernen hatte er hinter sich, was gut war, denn er wollte an diesem Abend keinen Schuldruck mehr haben. Als sein Vater Thomas die Tür zum Haus aufschloss, legte er, Tom, sich direkt im Wohnzimmer aufs Sofa. Seine Schwester Lena verschwand direkt auf ihr Zimmer, und seine Mutter Ina ging in die Küche, sich etwas zu Trinken zu holen. Doch gerade, als Tom sich hingelegt hatte, fiel sein Blick auf den leblosen Körper, der am anderen Ende des Raumes neben eine Teetasse auf den Tisch gekippt war.
„Oh. Mein. Gott."

Eigentlich war die Familie Schäfer eine ganz normale Familie der Mittelschicht, komplett ohne interessante Vorkommnisse, die irgendwie unerwartet kommen würden. Ein stinknormales Leben, in dem nichts passierte, was einen total aus der Bahn werfen würde.
Doch dieser Sonntagabend war anders.
Sie waren gerade von ihrem Tagesausflug zurückgekehrt, während welchem die Oma auf den Hund der Schäfers aufgepasst hatte. Der Hund war blond, süß und hieß Charlie. Die Oma war alt, nicht blond und hieß Gertrud, und statt blond zu sein, hatte sie weiße Haare. Doch wie sie da so lag, sah nicht besonders gesund aus.
„Gertrud?", fragte Ina ihre Schwiegermutter, als sie mit ihrem Getränk ins Wohnzimmer kam – sie wohnten in einem quietschgrün angestrichenen Haus an einer T-Kreuzung, welches Toms Mutter von ihren verstorbenen Eltern geerbt hatte, wobei sie eigentlich nie über ihre Vergangenheit redete. Mit dem Satz „Meine Eltern starben bei einem Autounfall als ich noch ganz klein war" war immer alles getan. Das Haus war ein eigentlich normales Einfamilienhaus, mit Keller, Dachboden, Garten und – im Gegensatz zu den meisten Häusern – zusätzlich zum Erdgeschoss gleich noch zwei Obergeschossen. Im ersten Obergeschoss waren Badezimmer und Schlafzimmer der Eltern, und im zweiten Obergeschoss waren Toms Zimmer und das seiner älteren Schwester Lena.

Als Ina merkte, dass ihre Schwiegermutter nicht antwortete, wurde sie unruhig. „Gertrud, geht es dir gut?" Doch noch immer reagierte sie nicht. Nun wurde auch Thomas, Toms und Lenas Vater, unruhig. „Mama?" Was war passiert? Warum antwortete sie nicht? Irgendwas stimmte da doch nicht. Thomas fühlte ihren Puls - sie lebte, aber nur noch sehr knapp. „Ina, ruf die 112, schnell!"

Der Angst stand allen noch ins Gesicht geschrieben, als Thomas, ein großer, kräftiger Mann mit dunkelbraunem, von hunderten vom Alter grauen Strähnen durchzogenem Haar und blaugrauen Augen zur Tür ging, um dem Notarzt die Tür zu öffnen. „Eure Oma war doch heute Morgen noch topfit!", meinte er zu den Kindern, welche Tom, der dreizehn, und Lena, die vierzehn Jahre alt war waren. „Ich weiß nicht was da passiert ist, aber normal war das nicht. Und sie ist auch vollkommen kalt." Ina bestätigte dies, während Thomas dem Arzt die Situation erklärte. „Stimmt genau. Gertrud hat am Samstag noch gegen mich in One-Two-Switch beim Boxen gewonnen." Sie war ebenfalls groß, und nicht gerade dick. Doch im Gegensatz zu ihrem Mann hatte sie orangerotes Haar, das ihr bis zur Gürtellinie hing, sodass sie es nur selten offen trug. Doch an den Kindern konnte man die Eltern nicht erkennen, denn sie waren ihren Eltern ganz und gar nicht „Wie aus dem Gesicht geschnitten". Wenn man sie nicht kannte, hätte man sie für adoptierte Zwillinge halten können, doch sie waren beides nicht: Beide waren blond und beide waren von der Höhe her irgendwo zwischen durchschnittlich groß und überdurchschnittlich groß, wobei Lena allerdings ein wenig größer war als Tom, woran man vielleicht auch den Altersunterschied der Beiden, der ein Jahr betrug, erkennen konnte. Sie hatten auch beide blaugrüne Augen, wobei sie das Grün von ihrer Mutter hatten. Allerdings hatte Lena, anders als Tom, lange Haare. Genau so lang wie die des Notarztes, der mittlerweile mit seinen Untersuchungen fertig war. „Es ist sehr verwirrend", meint er. „Ihre Mutter müsste eigentlich tot sein – sie hat weder Puls noch Atmung. Und trotzdem hat sie sich gerade bewegt." Der Arzt machte eine kurze Pause, während welcher Tom bemerkte, wie angsteinflößend die hellblauen Augen des Arztes in Kombination mit seiner tiefen Stimme wahren. Sicher nicht optimal als Arzt. „Ich werde sie zu weiteren Untersuchungen mit ins Krankenhaus nehmen. Vorher aber noch ein Paar Routinefragen fürs Protokoll: War irgendjemand in der Nähe, als sie gestorben ist? Haben Sie irgendetwas Auffälliges bemerkt? Könnte sie sich vielleicht irgendwelche Nahrungsmittel genommen haben, die ihr nicht bekommen sind?" Thomas überlegte eine Weile. Schließlich sagte er: „In der Nähe war niemand, neben ihr stand eine halb volle Teetasse, und sie nimmt keine Medikamente, allerdings weiß ich weder, wovon meine Mutter alles meint, es würde im Tee gut schmecken, noch worauf sie allergisch ist." Jetzt, wo sein Vater von Gertud in der Gegenwart sprach, merkte Tom, dass der Arzt in der Vergangenheit von Gertrud gesprochen hatte – direkt nachdem er gesagt hatte, dass sie am Leben war? Und, warum wollte er sie zu Untersuchungszwecken mitnehmen, statt zur Reanimation? Kurz darauf war der Arzt jedoch bereits abgefahren.

Lost Times - Gestohlene Nacht (Leseprobe)Место, где живут истории. Откройте их для себя