Austausch

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Drei Tage später war ich wieder größtenteils auf den Beinen. Ich war mir nicht sicher, was mir Leif alles für Medikamente in den Rachen drückte, doch ich war ihm dafür dankbar. Die vergangen Tage waren in meiner Erinnerung fast non-existent, weshalb ich sehr hoffte, dass „sich nicht an Dinge erinnern" nicht mein Thema für das Jahr wurde.

Da mir mein Handy schon sehr abging, bat ich Leif irgendwann seines nutzten zu dürfen.
„Wofür brauchst du es?", wollte er wissen.
„Ich hätte gerne meins zurück und dunkel erinnere ich mich daran, dass dein Bruder irgendetwas von Tausch gesagt hatte."
Leif hob eine Augenbraue, entsperrte aber sein Handy und reichte es mir. Ich suchte unseren Chat heraus, was schwierig genug war, da er mich nicht unter meinem Namen, sondern unter „Kuschelkissen" eingespeichert hatte – ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich das sah. Stumm schrieb ich mir selbst eine Nachricht und hoffte sehr, dass wo auch immer mein Handy war, es Strom hatte, eingeschaltet war und bemerkt werden würde.
„Was schreibst du genau?", fragte Leif nach einigen Momenten.
„Hey, sorry, wenn ich störe, aber ich bin die Besitzerin dieses Telefons und ich wäre, wem auch immer das liest, sehr verbunden, wenn du es mir zurückbringen könntest. Ich zweifle daran, dass allzu viel damit etwas anfangen kannst, außer du verkaufst es. Da ich aber auch noch dein Handy habe und du es glaub ich genauso sehr zurückhaben willst, wie ich meins, würde ich vorschlagen, du kommst vorbei und wir tauschen. Hier ist die Adresse:", las ich vor, sendete die Nachricht ab und gab Leif sein Handy zurück. Leifs Gesichtszüge waren ihm entglitten und er las noch einmal die Nachricht durch, bevor er aufgebracht rief: „Du bist doch verrückt!"
Er blickte mich aus ungläubigen Augen an: „Du hast nicht allen Ernstes dem Typen, der dich hätte erfrieren lassen, gerade unsere Adresse gegeben und ihn hierher eingeladen!"
Als Leif es formulierte, fühlte ich mich plötzlich schlecht. Sehr schlecht.
„Was erwartest du? Ein nettes Gespräch an der Tür über das Mal, als du fast gestorben wärst? Und der Austausch von den Handys bei einer Tasse Kaffee?!"
Ich war mir nicht sicher, was ich sagen sollte und so blickte ich Leif nur unsicher und mit offenem Mund an.
„Bist du dir sicher, dass nicht all deine Gehirnzellen erfroren sind?", fragte er laut und ich fühlte mir, als hätte er mich geschlagen.
„Dann lösch die Nachricht wieder und mach es besser", meinte ich geknickt und auch etwas wütend, bevor ich zurück in mein Zimmer ging, wo ich meine Tür zuschmiss. Er hatte irgendwie Recht, doch seine Worte waren trotzdem zu harsch gewesen, als dass sie mich nicht hätten treffen können.

Sekunden später drang Leifs Stimme durch meine Tür: „Sumi, es tut mir leid!" Er klopfte, doch ich gab keine Antwort.
„Ich mach mir nur Sorgen – das weißt du doch!", rief er und ich vergrub mein Gesicht in meinem Kissen. Vor mir sah ich den Moment, in dem er mich wütend an die Wand gedrückt hatte und fühlte mich schuldig, dass ich nicht so starke Gefühle für ihn hatte.
„Sumi, bitte", er klopfte erneut. Stumm schüttelte ich den Kopf in meinem Kissen und musste unwillkürlich lächeln: Kuschelkissen. Ich bemerkte, dass ich Tränen in den Augen hatte, die ich mir nicht erklären konnte.
Leif klopfte noch einmal – weiterhin antwortete ich ihm nicht. Ein letztes Mal versuchte er es und schlug dann mit der Faust gegen die Tür, doch es kam mir nicht wie ein Schlag der Wut vor, sondern eher wie einer der Verzweiflung. Ich hörte, wie Leif seine Hand von der Tür nahm und vermutete, dass er wegging, doch ich blieb auf meinem Bett liegen. All die Gefühle, die er fühlte; die ich fühlte, sie verwirrten mich. Sie waren mir alle so fremd – und doch nicht. Hatte ich sie nicht hunderte Male in Büchern gelesen? Selbst hatte ich sie aber noch nie. Und meine Gefühle kamen mit unvollständig vor. Ich rieb mir den Mittelfinger der rechten Hand, an dem manche asexuelle Personen – und ich war mir inzwischen sicher, dass ich zu ihnen gehörten – einen schwarzen Ring als Erkennungszeichen trugen und wieder wurde ich von diesem Gefühl der tiefen Trauer übermannt. Gawain hatte Recht und Unrecht gehabt: Leif und ich gehörten nicht zusammen, aber nicht weil ich zu gut für ihn war, sondern weil er besseres verdient hatte.

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