Kapitel 28

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In einem unscheinbaren, hellen Siebensitzer der dringend gewaschen werden müsste, kam die spanische Luna an.
Ein Krieger, um die 25, stieg als Fahrer aus, Frederika stieg hinten aus. Offensichtlich hatte sie ihrer ältesten Tochter den Beifahrersitz überlassen.
„So Kinder sofort raus und ab in die Wohnung. Lasst euch das Badezimmer zeigen, wenn ihr so dringend müsst", wies Rika die drei an. Alle samt waren unter neun, die jüngste fünf Jahre alt, aber scheinbar ebenso selbstständig wie die Älteren. Gähnend traten sie sofort ins Haus und begrüßten Rafael und Ivaine mit einem sehr undeutlichen ‚Hallo'. Der Krieger, der im Wohnzimmerlicht Emilio erstaunlich ähnlich sah nickte ihnen zur Begrüßung zu, nur Rika machte sich die Mühe und umarmte Ivaine fest. „Schön dich wieder zu sehen", hauchte sie, ungewöhnlich leise. Sie trug eine blau bestickte Stoffhose mit hohem Bund, sowie eine langärmlige Bluse in passender Farbe. Beides erschien Ivaine etwas dick für das Land, aus dem sie kam, aber sie fragte nicht weiter nach, sondern nickte lächelnd. „Ich freue mich auch", das tat sie wirklich. Valentina sollte nie an sie herankommen.
Im Rudelhaus aßen alle zusammen zu Abend, in der Zwischenzeit wurde ihr Gepäck nach oben zur Skihütte gebracht und die Wache bereits organisiert. Rafael hatte so viele Krieger, wie er konnte abkommandiert. Die meisten hielten Wache am Fuß des Berges. Die Steinwüste grenzt nur an einer sehr steilen und sehr hohen Felswand am Berg, unmöglich zu erklimmen, versicherte sowohl Rafael als auch Aaron mehrmals. Das Kadra- Rudel sind Verbündete, trotzdem stünden zwei Krieger auch an der Westseite des Berges. „An der Hütte haben wir keine Krieger abkommandiert, weil wir die Sicherung des Bergs für ausreichend halten und du so etwas Privatsphäre hättest, aber wenn du dich sicherer fühlst, wenn da auch noch welche sind, lässt sich das einrichten"
„Nein, nein, ich bin euch schon dankbar. In der Mitte dieses Rudels mit nur einem Krieger zu sein lässt meine innere Wölfin ausflippen, ich glaube ich könnte nicht schlafen, wenn ich euren Geruch überall spüre" Rafael nickte verständnisvoll, anscheinend war das ein bekanntes Phänomen. Mal wieder merkte Ivaine wie wenig sie eigentlich ihre innere Wölfin kannte.
Du stellst mir ja auch nie Fragen
Du antwortest noch seltener als nie
Gab Ivaine bloß zurück, ehe sie sich entschieden erhob, um die leeren Teller aufzuräumen.
Ivaine hatte sich freiwillig gemeldet Rika zur Hütte zur begleiten. Diplomatisch war es das Beste, ein Krieger sähe aus, als würden sie Rika misstrauen, Rafael selbst wirkte zu bedrohlich und formell und ein gewöhnliches Rudelmitglied wie Sarah könnte als respektlos aufgefasst werden – selbst wenn Ivaine nicht davon ausging.
Schweigend setzen sich die von der Fahrt erschöpften Kinder in einen Schlitten mit hölzerner Lehne und der Krieger zog sie in Wolfsform nach oben. Ivaine und Rika flankierten den Schlitten, ebenfalls verwandelt, doch die drei Mädchen schienen dran gewöhnt und hielten sich bereits eisern, aber furchtlos auf den Sitzen. Oben angekommen verabschiedete sich der Krieger zuerst, Rika brachte die Mädels wieder scherzend und lächelnd schnell ins Bett. Über das Abendessen hinweg war Rika wieder aufgetaut, hatte wie gewohnt gelacht und erzählt, Ivaine war es vorgekommen als hätten sie sich nie verabschiedet, nach ihrer Ernennung.
Frederika schien aber auch immer einfach wie eine unbesorgte Frau.
Natürlich hatte auch sie es hart von Zeit zu Zeit, sie war noch immer eine Luna, doch sie liebte ihren Mann, ihr Mann schien sie zu lieben, ihr Territorium grenzte ans Meer und lag in der Nähe der Berge, Angriffe waren demensprechend selten.
Diese Bedrohung müsste sie nicht aus der Bahn bringen, eigentlich nicht, vielleicht unterschätzte Ivaine aber auch einfach die Sorgen einer Mutter.
„Ivaine, um Lunas Willen, ich habe dir so sehr zu danken", schluchzte sie, sobald ihre drei Kinder sich einen Raum ausgesucht hatten. Die Alphatöchter waren still und ängstlich gewesen, es hatte eine Stunde gedauert bis auch die jüngste bereit war ihre Mutter aus dem Raum gehen zu lassen. Die Tür war kaum zu gegangen, da liefen Rika schon die Tränen über die Wange.
„Du hast nichts zu danken, Valentina muss verrückt geworden sein! Stimmt... stimmt das wirklich? Mit ihrem Sohn?"
Rika ließ sich auf einen Sessel in der Nähe des Kamins nieder und seufzte tief. „Ja, ja ist es. Er war zwei Jahre alt Ivaine, stellt dir das vor! Meine Camila ist fünf" Camila war die jüngste der Mädchen, älter als Valentinas Sohn und dazu nicht mal ihr eigenes Kind. Aber warum standen ihr Mädchen im Weg? Die Frage hatte sie ihrem Rudel nicht gestellt, keiner sollte Zweifel daran hegen, dass sie Rika helfen würden, egal wie unbegründet ihre Angst war. Jetzt erschien es Ivaine aber fast tröstlich so zu denken. „Ich verstehe was du meinst, aber sie sind Mädchen. Im Grunde stehen sie Valetina nicht wirklich im Weg"
Widererwartend schnaubte Fredrika verzweifelt. „Wie schön das wäre Teuereste! Leider könnten sie ihr mal im Weg stehen. Hat dir niemand... Niemand von dem Phänomen erzählt?" Verwirrt blinzelte Ivaine uns ließ sich Frederika gegenüber in einen Sessel nieder. „Bei Luna, Ivaine, wie denkst du ist Quinn im Kadra Rudel die Luna geworden? Als Mann kann er natürlich keine Kinder gebären. Als Mädchen können meine Mädels auch kein Alpha werden. Außer ihr innerer Wolf wird männlich. Bei Quinn ist es genauso, seine innere Wölfin ist eine Wölfin. Er kann verwandelt schwanger werden", sie wischte sich eine Träne von der Wange, ihre Mundwinkel zuckten aber amüsiert, „Du bist so goldig Ivaine, ich schulde dir sehr viel, aber meine Töchter sind in Gefahr." Ivaine war sich bewusst, dass das nur eine theoretische Befürchtung war. Allerdings war ein Mann als Luna, bevor Quinn auftauchte, auch nur etwas theoretisches.
„Aber zu welchem Zweck tut Valetina das alles? Und warum funktioniert es?"
„Das kann dir nur Luna persönlich beantworten" Rika war offensichtlich müde, wollte wahrscheinlich einfach schlafen, Ivaine dagegen war voller Tatendrang und Fragen. Alles ergab keinen Sinn, sie war wieder unwissend. Aber diesmal hielt niemand etwas vor ihr geheim, sie saßen alle im Dunkeln und hofften irgendwann einen Lichtschalter zu finden, der funktionierte.
Abwesend ließ Ivaine den Blick über Rika hinweg zur Fensterfront schweifen. In der Hütte war es natürlich heller, als draußen sodass ihr anstelle des Abhangs und des Waldes nur ihr eignes Spiegelbild entgegenblickte.
Eine fast-achtzehnjährige die wohl jetzt erst mit der echten Welt konfrontiert wurde.
„Wir müssen mit ihr reden", beschloss sie plötzlich. Rika hob verblüfft die Augenbrauen. „Du sprichst doch nicht etwa von Valentina, Schatz? Unsere Gefährten haben ihr bereits Boten geschickt, die eine Verhandlung vorschlagen, aber noch keiner ist zurückgekehrt" Ivaine machte eine wegwischende Bewegung mit der Hand. Wahrscheinlich Ausreden. Das spanische Innenland war groß, die Werwölfe klug genug unverwandelt zu bleiben. Diese Boten haben sie wahrscheinlich noch gar nicht gefunden oder machen sich gerade einen netten Urlaub in der Hitze. „Du kennst Valentina besser als jeder unserer Boten, wir sind per Eid und Definition Schwestern, nicht wahr?"
Jetzt schien Rika zu überlegen. Müde lehnte sie ihren Kopf in die Handfläche, ihr Blick huschte auf den Boden hin und her. „Die Lunas gelten offiziell als eine Einheit ja, aber es wäre naiv zu sagen, dass wir deswegen eine sind. Wir sind auch Lebenwesen mit Gefühlen wie Sympahtie, Hass und Rache"
„Wir haben die Macht bekommen, die wir haben, um Frieden zu schaffen. Warum sollte uns Luna diese Macht lassen, wenn wir nicht unsere Aufgaben erfüllen!?", In Ivaines Augen war das eine plausible Frage. Alphas die ihr Rudel nicht unter Kontrolle hielten blieben meistens auch nicht lange der Alpha. Rika schien davon nichts zu halten. „Du bist jung Teuerste, mit der Zeit wirst du diese Rollenbilder begreifen", Frust machte sich in Ivaine breit. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und am liebsten hätte sie geknurrt. Sie war kein Kind mehr, sie hatte es satt von allen unterschätz und unterdrückt zu werden.
Ivaine sprang auf, die Augen wahrscheinlich schon glühend, da traf sie plötzlich ein fremder Geruch wie eine Wand. Es war der abgestandene, schmutzige Geruch von Rudellosen. Aber hier oben konnten keine sein, Rafael hatte gesagt, dass in der Steinwüste keine mehr waren.
Jetzt sprang auch Rika auf und blickte angsterfüllt zur Glasfront. „Warteten nicht eure Krieger am Fuß des Berges?"
Doch das taten sie, Vivian, Noah und Arran flankierten den Berg.
„Sie müssen bereits auf den Weg nach oben sein", jedenfalls hoffte Ivaine das. Der Geruch wurde intensiver, als sie die Ohren spitze hörte sie Pfoten, die auf den Waldboden donnerte, vier, acht, sechzehn, es wurden immer mehr, Ivaine musste von einer Gruppe von mindestens ein Dutzend Wölfe ausgehen.
Rika schien eine ähnliche Einschätzung gemacht zu haben. Mit blanker Angst im Gesicht rannte sie du den Schlafzimmern, zu den Fluren, während Ivaine zur Eingangstür eilte. Jeder Wolf konnte sie einschlagen, ob sie offen oder geschlossen war machte gerade keinen Unterschied. Die kühle Luft des Berges blies ihr entgegen, peitschte ihr die Haare aus dem Gesicht und vertrieb den Geruch der fremden Wölfe. Sie kamen gegen den Wind, wahrscheinlich waren sie noch viel näher als erwartet.
Ein Schatten, den sie auf die Schnelle für einen Busch gehalten hatte, schlich plötzlich an einen Baumstamm vorbei. In ihrem Augenwinkel sah sie glühende Augen, die um die Hausecke spähten und als sie ihr Kinn trotz ihres rasenden Herzens hob legte sich der Wind für einen Augenblick. Sie waren überall, wahrscheinlich bereits um die ganze Hütte aufgestellt. Der Schatten zwischen den Stämmen musste Ivaine die Erkenntnis angesehen haben, denn noch bevor sie sich auch nur verwandeln konnte sprang der dunkle Wolf mit dem verfilzten Fell und dem stinkenden Atem hervor, riss Ivaine von den Füßen und blieb mit gebläkten Zähnen über sie gebeugt.

Ivaine würde gerne behaupten, es sei ein erbitterter Kampf gewesen, doch in Wirklichkeit war sie einfach ohnmächtig geworden. Ganz als hätten die Monate nichts genutzt, als sei das Training mit Gregor reine Zeitverschwendung gewesen, als hätte Ivaine aus der Szene mit Luke nichts gelernt- wurde sie ohnmächtig. Die Schreie von Rikas Kinder hallten in ihrem Ohr nach.
Wach wurde sie in einem abgedunkelten Raum. Schwaches, warmes Licht erleuchtete Ivaines Sichtfeld. Instinktiv wollte sie ihre Augen mit der Hand abschirmen, da ihr selbst jenes Licht zu hell erschien, da wurde ihre Hand zurück gerissen. Ein Seil zog sich schramm um ihr Handgelenk, erlaubte diesem kaum sich von der Stuhllehne zu lösen.
Meda in ihr kochte, knurrte, schrie danach die Führung zu übernehmen. Ivaine hätte sie sofort überlassen. Der übergroße Wolf konnte sie Schlingen einfach zerreißen, einen Fluchtweg suchen - da verstummte Meda. So endgültig, wie Ivaine es nur einmal erlebt hatte.
„Entschuldige Ivaine, aber ich glaube noch muss das sein"
Eine altbekannte Stimme erklang, Schritte schlürften über den alten Holzboden, aber Ivaine brauchte sich nicht umzudrehen, den blonden Kopf, die schlanke Gestalt nicht mustern.
Ihr Geruch reichte und Ivaine erstarrte. „Valentina?", hauchte sie. Warum konnte sie Andromeda unterdrücken? Rafael hatte Ivaine erzählt, dass nur Alphas diese Fähigkeit hatten.
Mild lächelnd erschien die junge Luna in ihrem Sichtfeld. Sie war noch immer schlank, doch ihre Eleganz schien wie abgefallen. Ihre Schultern waren breiter, ihre bloßen Arme definiert. Ihre Haltung war noch immer einwandfrei und auch ihr Gesicht war noch hübsch anzusehen, doch statt Eleganz strahlte sie Macht aus. Macht und Sicherheit.
Wieder rüttelte Ivaine an ihren Fesseln, doch das Seil war dick und widerstandsfähig, der Stuhl aus massivem Holze. „Hallo mein kleiner Stern", lächelte Valentina seelenruhig. Ivaine gegenüber stand ein großer Schreibtisch, ganz als sei das sonst ein Büro, allerdings wies bis auf den Schreibtisch nichts darauf hin.
Unbewusst schaute sich Ivaine weiter um. Rika war im Raum, auch an einen Stuhl gefesselt, allerdings mit verheultem Gesicht, sichtlich bemüht nicht nochmal zu schluchzen. „Die Mädchen. Wo sind die Mädchen?", knurrte Ivaine förmlich.
Da lachte Valentina auf. Schallend und vergnügt lachte Valentina über ihre Sorgen. „Rika, ist das kein Jammer? Zuerst denkt sie an deine Töchter", ein wölfisches Grinsen blieb auf ihrem Gesicht zurück, „Sie sind in Sicherheit Ivaine. Du auch.
Aber dein Rafael bald nicht mehr."

Lichter am hellen HimmelWhere stories live. Discover now