Stromausfall

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Ich atme tief durch und stelle meine Tasche auf den großen Eichenholztisch. Für meinen Geschmack viel zu altmodisch. Normalerweise mag ich Holz ja, aber dieser Tisch war anders, einfach alt und nicht richtig instand gehalten. Ich wäre sowieso nicht lange hier, das Haus gehörte meiner Großtante, die gerade langsam die Treppe heruntergestiegen kam. Sie war nicht mehr die jüngste, was genau der Grund war, warum ich hier überhaupt sein musste. Nach etlichen Jahren die sie in diesem Haus, nein in dieser Villa, verbracht hatte, war es nun Zeit in ein Altersheim zu ziehen. Nur gut. Nicht weil ich auf das Haus aus war, überhaupt nicht. Es war riesig und nur mithilfe von Angestellten überhaupt möglich sauber zu halten. Meine Mutter hatte mir gesagt, dass wir nach dem Tod meiner Großtante, die mittlerweile auch alleine hier wohnte, die Villa verkaufen wollen und damit mein Studium finanzieren wollen. Etwas schlecht fühle ich mich schon, doch wir brauchen das Geld wirklich. Ich war jetzt nur noch hier, um meine Großtante in das Heim zu begleiten.

Mittlerweile ist meine Großtante die riesige Treppe hinuntergekommen und umarmt mich mehr oder weniger herzlich. Wir hatten nicht wirklich eine innige Beziehung gehabt, aber Familie ist nunmal Familie. Sie ist ungewöhnlich kühl. Meine Großtante nimmt etwas Abstand und mustert mich mit einem undurchdringlichen Blick.

"Groß bist du geworden", murmelt sie, mehr zu sich selbst als zu mir.

Ich lache schüchtern. "Es ist ja jetzt schon einige Zeit her, seit dem wir uns gesehen haben. Sollen wir dann fahren?"

Sie schaut mir in die Augen und lächelt schwach. "Aber es ist doch schon sehr spät. Bleibe doch noch eine Nacht."

Ich muss schlucken. Tatsächlich ist es schon dunkel draußen, aber ich will wirklich keine Nacht hier verbringen. Bevor ich auch nur ein Wort des Widerspruchs sagen kann, gehen plötzlich alle Lichter aus. Ich zucke kurz zusammen.

"Ach mach dir keine Sorgen, das passiert hier schon mal", höre ich die Stimme meiner Großtante sagen. "Der Sicherungskasten ist am anderen Ende des Raumes, kannst du kurz hingehen und das Licht anschalten? Die Techniker haben ihn extra in Reichweite eingebaut, weil ich ja nicht mehr die Jüngste bin."

Ich lasse ein "Ja" verlauten, ziehe mein Handy aus meiner Hosentasche und mache die Taschenlampe an. Das blendet aber, verdammt! Nachdem ich mich ein wenig daran gewöhnt habe, leuchte ich in die Richtung aus der die Stimme meiner Großtante gekommen war.

Zu meiner Überraschung war aber dort niemand. Verwirrt leuchte ich in dem Raum umher, aber es ist niemand zu sehen. Eine Gänsehaut bildet sich auf meinem gesamten Körper. Was ist hier los? Vielleicht ist sie ja nur schnell in einen Nebenraum gegangen.

Mithilfe des Lichtes mache ich den Sicherungskasten aus und bewege mich vorsichtig dorthin. Jetzt sieht das alles noch gruseliger aus, aber ich versuche einfach nicht hinzuschauen. Endlich am Sicherungskasten angekommen mache ich ihn auf und suche den Schalter. Zuhause habe ich das schon so oft gemacht, da kann das hier doch nicht so schwer sein.

Gerade als ich den passenden Schalter gefunden habe und ihn umlegen will, spüre ich eine kühle Hand auf meiner Schulter. Ich bin wie erstarrt. Das ist doch nicht echt, oder? Schnell löse ich mich aus meiner Starre und lege den Schalter um. Alles ist wieder hell. Blitzschnell drehe ich mich um. Doch da ist niemand. Das ist mir jetzt echt zu viel! Ich laufe schnell zu meiner Tasche, packe sie und gehe mit schnellen Schritten ins Foyer nebenan. Auch dort ist niemand. Wo ist meine Großtante hin? Vielleicht in ihr Zimmer?

Früher haben meine Geschwister und ich oft hier gespielt und ich kann mich noch schwach daran erinnern wo ihr Zimmer ist. Seit dem Tod ihres Mannes vor 10 Jahren oder so waren wir aber nicht mehr hier. Trotzdem gehe ich in Richtung des Zimmers, wo ich sie vermute.

Ich mache die Tür auf und es ist komplett still und verdammt kalt. Das Fenster ist laut dem Luftzug weit auf und nicht einmal das Licht ist an. Um meine Großtante nicht zu erschrecken, mache ich das Licht diesmal nicht an und lasse meine Augen sich an das Dunkle gewöhnen.

Nach ein paar Sekunden frage ich sanft nach meiner Großtante. Keine Antwort. Vielleicht ist sie doch nicht hier? Meine Augen haben sich zwar mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, aber trotzdem will ich so schnell wie möglich hier raus. Es fühlt sich einfach falsch an, hier zu sein. Ich kann gerade so das Himmelbett meiner Großtante erkennen. Bevor ich gehe, werfe ich noch einen letzten Blick darauf. Doch als ich das tue, wird mir sofort schlecht.

Da liegt meine Großtante, mit aufgeschlitzten Pulsadern.

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⏰ Last updated: Mar 25, 2020 ⏰

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