1 - Von Weiberhelden, Kniestrümpfen und Verträgen

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Aaron

Man sollte meinen, dass ein Kerl mit einem Körper wie ein junger Gott, einem Gesicht, das Frauen lieben und einer Persönlichkeit, die ihresgleichen sucht, ein verdammt gutes Leben führen würde. Oder?

Okay ja, es ist auch nicht so, als hätte er viel, über das er sich beschweren könnte. Dank der Tatsache, dass er verdammt gut Football spielt – und schon immer gespielt hat – hat er ein Vollstipendium für die Ohio State University erhalten, eines der besten Colleges in den ganzen verdammten Vereinigten Staaten. Er hat seine eigene kleine Wohnung in der Nähe des Campus, die er sich leisten kann, da seine ätzend reiche Tante vor ein paar Jahren gestorben ist und ihr gesamtes Vermögen ihren einzigen lebenden Verwandten hinterlassen hat – ihm und seiner kleinen Schwester. Und dann wäre da noch der bereits erwähnte Adoniskörper, für den er nicht einmal wirklich arbeiten muss, sein verdammt attraktives Gesicht und seine verfickt charmante Art und Weise mit dem Leben im allgemeinen und Frauen im Besonderen umzugehen. Wie hatte das Mädel, das er neulich nachts abgeschleppt hatte ihn noch mal beschrieben? Genau – sie meinte, er hätte einen Charakter wie Schleifpapier – zuerst hart und aufreibend, unnachgiebig, und dann, wenn man eine Weile die härteren Schichten abgearbeitet hat, ist alles glatt und anschmiegsam. Die Alte hatte zwar eine völlige Meise (und ihr IQ stand leider im krassen Gegensatz zu ihrem Brustumfang), aber er nimmt die Metapher gerne an. Denn mit einem hatte Clasey (Casey? Clara? Claire? Egal...) einfach Recht: Aaron Swartz ist auf diesem Campus eine echte Legende. Der Footballstar aller Footballstars, der Frauenheld aller Frauenhelden. Frauen wollen ihn in ihrem Bett, Männer wollen so sein wie er. So ist das eben.

Das heißt aber nicht, dass sein gesamtes Leben immer so einfach war. Seine Kindheit war ein verdammtes Desaster, dank seines Vaters, der sich wie das letzte Arschloch aus dem Staub gemacht hat, als Aaron neun Jahre alt war. Vier Jahre lang lebte er im Nachbarort mit seiner perfekten neuen Familie, in seinem perfekten neuen Haus, bevor er sich betrunken ins Auto setzte und gegen den nächsten Baum fuhr. Aaron hat ihm keine Träne hinterhergeweint; nicht als er ging, nicht als er starb. Anders seine Mutter und seine kleine Schwester. Es ist nicht einfach, wenn man neun Jahre alt ist und seiner Mom jede Nacht dabei zuhören muss, wie sie sich in den Schlaf weint. Irgendwann wurde es besser, klar, aber da war der Großteil seiner Kindheit schon (schief-)gelaufen. Nicht nur Aarons Familienleben hatte gelitten, sondern auch seine schulischen Leistungen. Eigentlich war die High School etwas, das er auf einer Arschbacke abritt, bis ... na ja, bis zu seinem letzten Jahr vor dem Abschluss, als er feststellte, dass er in jedem gottverdammten Fach meilenweit hinterherhinkte. Er musste sich den Arsch aufreißen, um überhaupt seinen Abschluss zu schaffen und sein Stipendium nicht zu verlieren.

Nach seinem Abschluss konnte er es kaum erwarten, das Kuhdorf namens Hope Valley, Ohio, in dem er aufgewachsen war, hinter sich zu lassen. Seiner Ansicht nach, waren diejenigen, die nach der High School in Hope Valley blieben die letzten Looser, die keine Aussichten auf ein besseres Leben hatten. Das passte nicht zu Aaron. Er war besser als das Dorf in der Einöde, in der jeder jeden kannte, und war es schon immer gewesen.

Jetzt ist er also einundzwanzig Jahre alt, ein Junior im College, hat gerade mit seinem Team die State-Meisterschaften gewonnen und alles könnte eigentlich verdammt noch mal perfekt sein. Wenn ... ja, wenn da nicht seine Mutter wäre. Seine verrückte, durchgeknallte, vollkommen abgedrehte Mom, die ihm das Leben schwerer macht, als es wirklich sein müsste. Warum? Einfach. Weil sie ihn am liebsten noch heute vor dem Traualtar stehen sehen würde.

What. The. Fuck.

Er ist einundzwanzig, verdammt. Einundzwanzig! Und seine verdrehte (wenn auch liebenswürdige), streng-gläubige, jüdische Mom hat den lieben langen Tag nichts besseres zu tun, als ihm in den Ohren zu liegen mit Themen, die Aaron weiß Gott nicht weniger interessieren könnten: Rachel Goldstein von nebenan – du erinnerst dich doch sicher an sie? Sie war immer so ein schönes Mädchen! Und so höflich! – lebt wieder in Hope Valley. Ist das nicht wunderbar? Wenn du nächstes Mal zu Besuch kommst, werde ich sie dir vorstellen. Oder: Ich habe heute in der Bäckerei so ein liebenswürdiges Mädchen getroffen. Sie heißt Esther Blumenthal und ich habe ihr deine Telefonnummer gegeben, Aaron. Du wirst sie mögen! Es ist doch endlich an der Zeit, dass du ein angemessenes Mädchen kennenlernst und eine Familie gründest. Weißt du, ich werde nicht ewig leben, junger Mann. Und ich hätte gerne noch in diesem Leben Enkelkinder!

His Little LiesOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz