Kapitel 9 - Zehn Zettel

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Ächzend rekelte ich mich langsam. Wie schön es doch war, ausschlafen zu können. Wie unschön es allerdings war, von der Sonne geblendet zu werden, weil sie schon zu hoch stand.

Missmutig kniff ich meine Augen zusammen und blinzelte vorsichtig. Ich erhaschte einen Blick auf meine Uhr und sah, dass es bereits halb zehn war. Ich war gestern viel zu lange wach geblieben, ich hatte 'Tausend und eine Nacht' nochmals gelesen und hatte es einfach nicht weglegen können.

Genervt seufzte ich und ließ mich wieder in das Kissen fallen. Ich sollte mir das sofort abgewöhnen, ich war überhaupt nicht produktiv gewesen und hätte den Freitagabend effizienter nutzen können. Ich sollte nicht noch mehr Zeit vertrödeln, nächste Woche hatten wir einen Vokabeltest in Englisch und ich hatte noch nicht gelernt.

Müde rieb ich mir über mein Gesicht, bevor ich mich endlich dazu aufraffen wollte, aufzustehen. Ich griff die Kante meines Nachttisches, mit dem ich mich immer aufrichtete, doch verharrte bei dem knisternden Geräusch und dem seltsamen Gefühl.

Augenblicklich schoss ich hoch und starrte geschockt auf den leicht zerknitterten Zettel auf meinem Nachttisch. Sofort spannte ich mich an mit einer Mischung aus Nervosität und genervt sein an. Der Zettel lag einfach da und wartete nur darauf, dass ich ihn nehmen würde.

Langsam atmete ich tief durch und gab mir einen Ruck. Ich lehnte mich nach vorne und nahm den Zettel.


Du ignorierst mich, Süße.


Ich spürte das sinkende Gefühl in meinem Bauch und mein Atem wurde etwas flacher. Der Zettel machte mir zum ersten Mal seit einiger Zeit wieder mehr Angst.

War das eine Drohung? Ich hatte wirklich jeden ignoriert. Eigentlich gab es nicht einmal viel zu ignorieren, die meisten ignorierten ja mich und nicht anders herum. Ich hatte bei den restlichen einfach vermieden, mit ihnen irgendwie zu reden.

Doch dann weiteten sich plötzlich meine Augen. Mit Kjell hatte ich immer noch nicht geredet. Er hatte gestern tatsächlich nach Erdkunde den Vorwand genutzt, mit Herr Gernmat zu sprechen, um mich noch abzufangen. Ich war ihm aber entwischt und hatte zu schnell das Klassenzimmer verlassen.

Sprach das jetzt für ihn? Gesprochen hatte ich trotzdem mit sonst auch keinem, ich war besonders Felix und seinen Freunden aus dem Weg gegangen.

War Alex leicht eifersüchtig? Die Situation mit Kjell machte am meisten Sinn. Aber das widersprach irgendwie dem Zettel mit der Konkurrenz und damit war damals doch Kjell gemeint. Oder?

Ich seufzte nachdenklich. Ich hatte noch zu viele Lücken und würde auf mehr Hinweise warten müssen. Ansonsten konnte ich weiterhin nichts anderes tun, als zu versuchen, Alex nicht zu provozieren, auch wenn mir der Gedanke mehr und mehr Angst machte.

Seine Präsenz wurde mir immer mehr bewusst. Am Anfang hatte ich Angst gehabt, sehr sogar. Aber irgendwie war er durch den Alltag in den Hintergrund gerückt. Er war einfach ein Typ, der mir immer wieder Zettel schrieb, die recht leicht untergingen.

Aber so langsam fing ich an, zu realisieren, dass Alex trotzdem da war und nicht verschwand, nur weil ich von meinem Alltag eingenommen war. Ich konnte ihn nicht ewig vergessen. Aber für den Moment hatte ich keine andere Wahl, als abzuwarten.

Mit klopfendem Herzen öffnete ich die oberste Schublade in meinem Nachttisch, wo ich alle Zettel aufbewahrte, und wollte den Zettel hineinlegen. Doch dann bemerkte ich, dass ich vielleicht doch nicht so lange würde warten müssen.

Zehn Zettel. Das hier jetzt gerade war der zehnte. Stockend betrachtete ich ungläubig die zehn Zettel, alle der Reihenfolge nach geordnet lagen sie bedrohlich in der Schublade.

Enslaved I - For EternityWhere stories live. Discover now