16 - Wunden von Magie geschlagen

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Willehad hätte wahrscheinlich vor Isidoras Tür umgedreht, wenn sie nicht einen Spalt breit offen gestanden hätte und Licht zu ihm herausgefallen wäre. Es war eigentlich eine dumme Idee gewesen – er war zuerst in der Bibliothek geblieben, aber zum ersten Mal seit langer Zeit machten ihn die stummen Reihen der Bücher nur nervöser, anstatt ihn zu beruhigen. Die Kälte ließ ihn an warme Kaminfeuer denken und von den Kaminfeuern kam er unausweichlich auf Drachenfeuer, und mit Drachenfeuer echoten nur wieder die Worte in seinem Kopf wieder, die König Maddeo ihm und Elwa vorgelesen hatte.

Er wusste nicht, was er dachte. Taubheit hatte sich über seine Gedanken gelegt, er war niemand, der in einer solchen Situation einen kühlen Kopf bewahren konnte. Er war niemand, der Entscheidungen treffen würde, er wusste ja nicht einmal, was jetzt die nächsten Möglichkeiten waren. Gerne hätte er Prinzessin Elwa beigestanden, der die Nachricht des missglückten Abenteuers am meisten zu schaffen machen schien, aber sie war zu schnell fort gewesen und er hatte nicht gewagt, einen Diener darum zu bitten, ihn zu ihren Gemächern zu führen. Lorelei hatte er in der Krankenstation aufsuchen und von den Neuigkeiten unterrichten wollen und hatte sich dann erinnert, dass Yusuf ebenfalls noch nicht Bescheid wusste und war rasch wieder umgedreht, bevor er sich ihm gegenüber auf die wahrscheinlich ungeschickteste Art verriet. Ein kühler Kopf, ermutigende Worte ... er konnte nicht mit jemandem sprechen, den der Verlust persönlich betraf.

Deswegen erst die Bücher. Und deswegen jetzt die Idee, Isidora zu besuchen, die mit ihnen mitgefiebert hatte, aber weder den Wanderprinzen noch seine verlorenen Begleiter kennengelernt hatte. Es war naheliegend gewesen, weil er den versteckten Gang von der Bibliothek zu ihr hin kannte und weil sie ihm mehr als einmal gesagt hatte, dass sie sich über die Gesellschaft freute. Erst auf den letzten Schritten vor ihrer Tür kam ihm der Gedanke, wie spät es eigentlich geworden war und dass ihm selbst mit seinen üblichen wenigen Kenntnissen im Umgang mit dem schönen Geschlecht hätte bewusst sein sollen, dass sich ein so später, so versteckter Besuch kein bisschen schickte.

Und ja, wenn die Tür nicht offen gestanden wäre, hätte er wahrscheinlich wieder umgedreht. Aber so gab es diesen kurzen Moment des Mutes, in dem er sich nicht darum kümmerte, seine Möglichkeiten alle genau abzuwiegen und das vernünftigste zu tun, sondern seinem Instinkt folgte.

Er stupste die Tür an und sie schwang mit einem leisen Quietschen weiter auf.

„Isidora?", fragte er halblaut. „Seid Ihr hier?"

Alle Laternen waren entzündet, auf dem breiten Flur, ihren angrenzenden Schlafgemächern, dem Empfangszimmer und dem Studierzimmer. Er schluckte, als sie ihm dennoch keine Antwort gab – nicht einmal Felice oder Agnesia, von denen sie meistens nur einen mitnahm, wenn sie einen der seltenen Ausflüge in die Gänge außerhalb ihrer Gemächer machte. Etwas stimmte nicht. Isidora herrschte über ihr kleines Untergrundreich wie eine Königin, hielt alles angemessen und in bester Ordnung. Er entdeckte ein fertig bereitetes Tablett mit Gebäck und lauwarmem Tee in der kleinen Nische, wo Agnesia die Mahlzeiten anrichtete und auf dem Schreibtisch war eines der Bücher aufgeschlagen, die sie beim letzten Mal aus der Bibliothek mitgenommen hatte. Sie hatte wenn, dann nicht lange fortbleiben wollen.

„Isidora!", rief er erneut. Im Empfangszimmer sah er zuerst nach, im Flur, dann im Studierzimmer. Vor ihren persönlichen Schlafgemächern scheute er sich und wagte nur einen kurzen Blick, aber dort drinnen war es ohnehin still, das Bett glatt gestrichen und leer. Seit der Nachricht über Samirs Mission fühlte er sich schon nervös und fahrig an, aber jetzt nahm das Kribbeln in seinen Gliedern überhand. Der Wanderprinz scheiterte und jetzt war seine einzige neue Freundin in diesem Schloss spurlos verschwunden, und er hatte keine Ahnung, wo er mit der Suche nach ihr anfangen könnte ...

Plötzlich hörte er ein lautes Krachen und Klirren, als hätte jemand einen Tisch umgestoßen. Sein Herz pochte laut in seinen Ohren und sein erster Instinkt war es, augenblicklich die Flucht zu ergreifen, allein schon, damit er sich nicht erklären müsste. Es kam aus dem Studierzimmer ganz am Ende des Ganges, durch den er mit dem anderen Eingang gekommen war, er konnte sofort wieder draußen sein.

Dornen - Das Königreich in FlammenWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu