4. Fast wie Zwillinge

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"People are more than just the way they look." - Madeleine L'Engle

„Mum, wieso ist der Garten abgesperrt?" Ich half meiner Mutter gerade dabei, den Esstisch zu decken, als Dari diese Frage stellte und sich seine Jacke auszog, gerade von außen zurückkam, wo er ein wenig auf Erkundungstour gewesen war.

„Deine Großeltern finden, man kann sich zu sehr verlaufen und verletzen, also bleibt er besser verschlossen", antwortete sie ihm und richtete das Besteck.

„Wie kann ein Garten schon gefährlich sein?", fragte er, als ergebe das keinen Sinn und ich selbst hatte mir schon versucht vorzustellen, wie schlimm es dort sein konnte, dass er verschlossen blieb, doch seit ich wusste, dass in dieser Familie, wenn es um die Natur ging, vieles nicht ganz mit rechten Dingen vor sich ging, wollte ich es mir nicht ausmalen müssen. Ich war sowieso zu aufgewühlt von meiner eigenen Erkundungstour in der Nachbarschaft. Reed ging mir nur schwer aus dem Kopf. Was nur sein Problem mit alles und jedem war?

„Es hat eben seine Gründe, Dari, und nun hör auf mit den Fragen und wasch dir die Hände, es gibt gleich Essen."

„Oh man", murrte er und verschwand auch schon zur Treppe.

„Mit der Wahrheit lebt es sich leichter, das versuche ich Henry schon seit Jahren zu erklären", mischte sich Großmutter da ein, die in die Küche trat und weiter ihr Werk beim Kochen vollbrachte, das bereits herrlich roch und meinen hungrigen Magen rebellieren ließ.

„Ja, ich sage Henry nicht viel anderes, aber manche Dinge sind nicht für die Ohren mancher Kinder bestimmt", seufzte meine Mutter und irritiert sah ich sie an. „Was denn bitte?", fragte ich, wurde in dem Gespräch nur leider nicht wirklich beachtet.

„So ein Schwachsinn aber auch. Ich habe meinen Kindern von klein auf die Wahrheit gesagt und es hat keinen geschadet." Ich wusste wirklich nicht, welche Wahrheit hier gemeint war, doch wenn ich an meinen Onkel Charles dachte, der glaubte wieder 20 zu sein und nun in Europa herumreiste, an Tante Lilien, die eine hochnäsige Nervensäge war, oder meinen Vater, der sich gerne zu sehr in Dinge stresste und manchmal zu sanft für diese Welt war, dann zweifelte ich daran, dass bei den Kindern meiner Großmutter alles richtig verlaufen war, doch gut, ich würde lieber tot umfallen, als das laut auszusprechen. Den Ärger, den ich dafür kriege, wäre nur unermesslich.

„Mutter, das Thema hatten wir schon und sollten es außerdem nicht vor Alice weiter diskutieren", sagte da mein Vater, der das Esszimmer betrat und sich an den nun fertig gedeckten Tisch setzte.

„Ja, vergessen wir mal alle, dass ich kein Kind mehr bin und mit meinen 18 Jahren wohl erwachsen genug bin, um nicht mehr aus diesen Gesprächen herausgehalten zu werden", murrte ich, nur was dachten die denn alle, wie alt ich war? Ich würde es wohl doch verkraften ein wenig mehr zu wissen, ein wenig mehr zu einfach allem hier zu wissen.

„Alice, es gibt Dinge..."

„Dinge wie die Wächter?", fragte ich, konnte mich nicht länger halten und schnitt meinem Vater das Wort ab, hörte wie meine Großmutter in der Küche irgendwas fallen ließ bei dem Erwähnen der Wächter, während meine Eltern entsetzt wirkten, nicht gedacht hätten, dass ich Bescheid weiß. Ob meine älteren Brüder zu allem was wussten? Es würde mich brennend interessieren, ob sie mir das alles auch so verheimlichen würden wie der Rest der Familie.

„Woher..."

„Spielt das eine Rolle? Was hat es damit auf sich? Was verschweigt ihr mir bitte?", fragte ich sauer, doch diese ganzen Geheimnisse machten mich langsam wütend. Wieso musste so ein gewaltiges Drama aus allem gemacht werden? Es konnte doch unmöglich so weltbewegend sein.

„Wir sollten wirklich wann anders darüber reden", sagte mein Vater, als mein Bruder wieder zurückkam, gefolgt von Cameron, meinem Großvater und Lilien.

Avenoir| Band 1 [16+] ✓Where stories live. Discover now