Kapitel 60 - Dezember 1965

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Ahilea

Es waren inzwischen einige Tage vergangen, seit Ahilea die DeLarias verlassen hatte. Seitdem lebt sie in der ständigen Angst, jede Sekunde von Peter gefunden und zurückgebracht zu werden. Denn ihr war klar, dass er seine Drohung ernst gemeint hatte. Peter war niemand, der etwas leichtfertig sagte. Und er scherzte auch nie, nein, das war nicht seine Art. Die Nächte hatte sie in billigen Hotels verbracht doch mittlerweile war ihr das Geld ausgegangen. Sie hatte von den DeLarias nur minimalen Lohn erhalten und mit diesem war sie nicht sehr weit gekommen. Doch sie war froh, dass sie zu dieser kalten Jahreszeit überhaupt ein wenig Geld zur Verfügung gehabt hätte, denn sie wäre gewiss erfroren, wenn sie die Nächte auf der Strasse hätte verbringen müssen. Sie war sich nämlich fast sicher, dass auch Vampire an einem Kälteschock sterben könnten. Aber nur fast.

Ihr Plan war es nun, nach ihren Eltern zu suchen. Sie hatte nämlich immer noch eine kleine Hoffnung darauf, dass ihre Mutter noch am Leben war. Diese Chance war zwar nur minimal, doch Ahilea hatte sich daran festgeklammert. Nur so hatte sie die letzten Tage in der Einsamkeit überstehen können, da es sie vorangetrieben und ermutig hatte, nicht aufzugeben, sondern zu kämpfen. Und sie würde sich auch weiter daran festhalten, ehe sie sich nicht mit eigenen Augen davon überzeugt hatte, dass ihre Mutter tot war. Aber man konnte es nicht wirklich eine Suche nennen, da ihre Eltern eh nicht das Geld gehabt hätten, um zu verreisen oder umzuziehen.

Nun war es also so weit. Mit vor Aufregung zitternden Händen stand Ahilea vor der Tür ihrer Wohnung und konnte sich nicht dazu überwinden, anzuklopfen. Doch sie konnte nicht lange hierbleiben, da die Gefahr, dass Peter sie ansonsten finden würde, einfach zu gross war. Und dieses Risiko wollte sie auch nicht eingehen. Schliesslich jedoch gab sie sich einen Ruck und klopfte dreimal hintereinander an. Nachdem etwa eine Minute verstrichen war, wurde die Tür geöffnet und Ahilea blickte in ein genervtes Gesicht, welches ihr jedoch unbekannt war.

«Was ist los?», wollte ein älterer Mann mit Bierbauch und Glatze unfreundlich wissen. Seinen untersetzten Körper hatte er gegen den Türrahmen gelehnt, die Arme hingen schlaff zur Seite. Hätte sie gewollt, so hätte sie ihn innerhalb einer Sekunde ausser Gefecht setzten können, um herauszufinden, was mit den vorherigen Besitzern, ihren Eltern, geschehen war. Immerhin war er ein Mensch. Doch sie tat es nicht, sondern trat mit erhobenen Händen einen Schritt zurück und murmelte etwas davon, dass sie sich in der Tür geirrt hatte. Sie wollte hier nicht unnötigerweise eine Auseinandersetzung anzetteln. Schimpfend schlug der Mann ihr die Tür vor der Nase zu. Sehr freundlich! Aber was hatte sie denn erwarte. In dieser Gegend wohnten fast keine zivilisierten Menschen, wie die Glenns es waren. Oder besser, gewesen waren. Nein, die meisten, die hier wohnten, waren irgendwelche frustrierten Miesepeter, die meist auch noch alkohol- oder drogenabhängig waren, wenn nicht sogar beides. Daher war sie auch stets darauf bedacht gewesen, ebendiesen Menschen so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen.

Mutlos drehte Ahilea sich um und erblickte gleich darauf ein bekanntes Gesicht. Es war dasjenige der Hausmeisterin, die gerade in ihrer Wohnung verschwinden wollte, das Gesicht sorgenvoll verzogen. Sie schien Ahilea nicht bemerkt zu haben, sondern starrte auf einen Stapel Briefe in ihrer Hand. Vermutlich handelte es sich dabei um die verhassten Rechnungen, die auch Ahileas Familie jeden Monat zum Verzweifeln gebracht hatten. Laut rief Ahilea ihren Namen und Mrs Jones drehte sich überrascht um. «Ahilea?», rief sie erstaunt und diese ging zu der älteren Frau herüber. Mrs Jones war eine kleine rundliche Frau mit grauen Korkenzieherlocken und freundlichem Gesichtsausdruck. Ahilea hatte sie schon immer gut leiden können. Immerhin hatte sie ihr als kleines Kind manchmal das ein oder andere Bonbon zugesteckt.

«Dich habe ich ja schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen, mein Kind. Du siehst so anders aus.» Dann verzog sie das Gesicht, als schien ihr jetzt erst einzufallen, dass alles gar nicht so rosig war. «Herzliches Beileid», sprach sie. Dies liess Ahilea zusammenzucken. «Was meinen sie damit?», fragte sie panisch. Mrs Jones verzog das Gesicht, sie wirkte etwas verwirrt. Doch diese Verwirrung wurde von Trauer und noch etwas anderem überschattet. War es Mitgefühl? Ja, das musste es sein. «Weisst du es etwa nicht?» Ahilea sah sie ängstlich an. «Was weiss ich nicht?» Traurig schüttelte die ältere Dame den Kopf und bat Ahilea in ihre Wohnung. Es ging wohl um etwas, das sie nicht zwischen Tür und Angel besprechen wollte. Und das verhiess nichts Gutes, das war Ahilea klar.

Eternal Love - Der Ruf des SchicksalsWhere stories live. Discover now