Kapitel 30

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Sie hatte gezögert, hierher zu kommen. Keiner hielt es für eine gute Idee, dass sie sich das antat. Ihre Großeltern fanden es nicht richtig. Besonders ihr Großvater. Dieser Psychoheiler hatte Angst, dass sie einen Rückfall bekommen könnte. Wieder in die Depressionen fallen würde. Selbstmordgedanken wieder aufkeimten. Doch sie kannte sich selbst am besten. Das würde nicht mehr passieren. Sie hatte ein neues Ziel vor Augen und sie hatte William etwas versprochen. Sie würde das Anwesen ihrer Familie wieder aufbauen. Was leichter gesagt war als getan. Ihr Vater hatte diese Familie praktisch in den Ruin getrieben. Das Anwesen war immer noch zerstört. Ihr Großvater überlegte, ob er es überhaupt wieder aufbauen sollte. Momentan bewohnten sie das Jagdschloss. Das Familienverlies war so gut wie leer. Er hatte alles verbraucht. Ein riesengroßes Vermögen, das noch Generationen hätte herhalten sollen, war einfach verschwunden. Ob verschenkt oder in den Rachen seines ehrenwerten dunklen Lords gestopft, wusste Astoria nicht. Vielleicht hatte er es auch einfach nur unterschlagen und irgendwo versteckt. Es spielte keine Rolle. Sie hatte bereits einen Plan. Doch zuerst musste sie hierher. Sie musste es sehen. Sie musste ihn sehen, um mit diesem Albtraum endgültig abzuschließen.

Es hatte Monate gedauert. Bald wäre Weihnachten. Und doch fand erst heute die Verhandlung ihres Vaters statt. Sie war praktisch inkognito hier. Aber sie war nicht alleine. Harold Clark, der Anwalt ihres Großvaters, begleitete sie. Sie hatte den schwarzen Umhang nicht abgelegt, während sie auf einer der Tribünenplätze saß. Sie hatte sogar ihre Haare in Blond verändert und offenbar half es. Weder ihre Mutter, noch ihre Schwester schienen sie zu erkennen, vielleicht saßen sie aber auch einfach nur zu weit weg. Immerhin am anderen Ende des Saals. Es war eine öffentliche Verhandlung, wie bei fast allen Todessern und Mr. Clark hatte ihnen einen Platz besorgt. Weit oben, um nach unten in den Saal zu sehen und so der Verhandlung zu folgen. Sie musste ihren Vater sehen. Sie musste es hören. Aus seinem Mund hören. Die Lügen und Beweggründe dieses Mannes, der sich Vater schimpfte. Aber es war nicht zufriedenstellend. Er log. Log, um seine erbärmliche Haut zu retten. Erzählte etwas davon, dass er keine Wahl gehabt hatte und er schon froh gewesen sei, dass seine Kinder in Sicherheit waren. In Sicherheit, so nannte er es. Er hatte nicht erzählt, dass er Astoria bei Lestrange abgeliefert hatte.

Erzählte nichts von seinem gewalttätigen Verhalten. Davon, wie sehr er Hyperion und die Ansichten von ihm verachtete. Nein, er stellte sich als Opfer dar. Der arme Mann, der keine Wahl hatte, um seine Familie zu schützen. Schwachsinn. Machtbesessen. Gierig. Er rechtfertigte sich für den Verrat der Grenzen. Er rechtfertigte sich für Folterungen. Verpfiff andere Todesser und Menschen, die bei dem Scheiß mitgemacht hatten. Er schmückte sich mit dem Ruhm, den William für die Familie erworben hatte und praktisch auch sie, auch wenn die Leute das nicht wussten. Es wurde vom Rat beschlossen, dass man Astoria raushalten würde so gut wie es ging. Sie hatten einen Schwur abgelegt. Offiziell war sie nur bei der Schlacht dabei gewesen. Offiziell hatte sie nichts mit den Grenzen zu tun. Hatte nichts mit Lestranges Tod zu tun. Eine Lüge, um sie zu schützen. Um ihr einen Prozess zu ersparen. Den einen Toten konnte man nicht vor Gericht bringen. Der Gedanke war bitter.
„Wenn Sie aussagen würden, Miss Greengrass", flüsterte ihr der Anwalt zu. „Dann würde ihr Vater definitiv eine längere Haftstrafe bekommen."

Vermutlich. Sie fixierte ihren Vater, der unten in der Mitte saß, während das Zaubergamot ihn verhörte. Er wirkte klein und wie ein Häufchen Elend und trotzdem verspürte Astoria nichts weiter als Hass und Verachtung. Kein Mitleid. Keine Liebe. Nichts.
„Dann müsste ich aber auch aussagen, was Rabastan Lestrange getan hat", fing sie an und stockte kurz. Er hatte Recht gehabt, Rabastan. Er würde nie verblassen, als der Mann, der ihr wehtun wollte. Sie war schuld an seinem Tod. Sie alleine.
„Und dann würden alle Nicht-Schotten fragen, ob William ihn deshalb getötet hat und sein Andenken beschmutzen, obwohl mein Bruder rein gar nichts mit der Sache zu tun hat."
„Ich verstehe", murmelte der Anwalt leise.
„Außerdem hat mein Großvater ihm das weggenommen, was ihm am meisten wehtun wird", fügte sie hinzu und hätte dabei fast kalt aufgelacht.
Wie bizarr, dass Jack, das am meisten bestrafen würde. Nicht der Tod seines Sohnes oder dass seine Kinder viel zu schnell erwachsen werden mussten. Er seine Familie verloren hatte. Nein. Ihm den Titel und Hyperions Anwesen zu verwehren, würde ihn viel härter treffen.

Der Saal verstummte, als der Vorsitzende verlangte: „Mr. Greengrass stehen Sie auf."
Was ihr Vater tat. Aber das hier wäre die Genugtuung, die Astoria brauchte. Nein, ersehnte. Für das, was ihr Vater getan hatte. Für das, was er ihr zugemutet hatte. Für das, was sie werden musste, um das zu retten, was noch zu retten war.
„Das Zaubergamot hat sich ihre Aussage angehört und berücksichtigt."
Astoria sah wie ihre Mutter sich an Daphne klammerte.
„Trotzdem befinden wir Sie in allen Punkten für schuldig."
Astoria schloss die Augen.
„Das Gamot verurteilt Sie deshalb zu einer Haftstrafe von sechs Jahren in Askaban."
Es kam sofort zur Unruhe. Das Schluchzen ihrer Mutter ging regelrecht unter. Andere Zuschauer, die protestierten, weil die Strafe zu niedrig war. Andere die klatschten für das Urteil. Sie stand schweigsam auf und zwar noch bevor ihr Vater abgeführt wurde. Das Kapitel war damit zu Ende. Ihre Schritte hallten in dem langen Gang und plötzlich war der Anwalt wieder neben ihr.
„Wollen Sie ihren Vater nicht sehen, Miss Greengrass? Mit ihm reden? Ich könnte das arrangieren."
„Ich wüsste nicht wozu", erwiderte Sie kühl. „Ich habe hier in London noch einiges zu erledigen, bevor ich dieses Loch wieder verlasse."
Und wenn möglich nie wieder einen Fuß auf englischen Boden setzen würde.

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