Vertrauen

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Mein Blick war starr, ich atmete aus ohne mich daran zu erinnern eingeatmet zu haben.
"Kann ich ihnen denn überhaupt vertrauen? Wie werde ich denn überhaupt je wieder irgend jemandem vertrauen können?"
Mein Herz hatte sich noch nicht beruhigt, im Gegenteil es drohte in meiner Brust zu zerspringen. Die Hexe lächelte traurig, ich fragte mich ob sie in ihrem langen Leben je glücklich geworden war. Dieses Lächeln konnte jedenfalls nichts gutes bedeuten.
"Du musst Vertrauen, denn auf nichts anderes kannst du jetzt bauen. Niklaus wird euch jagen und töten. Ihr könnt nur fliehen oder sterben. Allerdings gäbe es da noch eine Möglichkeit...."
Sie schien in ferne Welten abzudriften und ihre Gesichtsfarbe hatte ein aschfahles grau angenommen.
"Was für eine Möglichkeit? Ayana?"
Sie zuckte zusammen und sah mich an als hätte sie vergessen das ich da war.
"Oh, nichts, nichts. Es wäre undenkbar."
Ich nickte obwohl ich kein Wort von dem Verstand was sie meinte.
"Du musst jetzt gehen, ich habe dir alles gesagt und noch viel mehr. Sie werden skeptisch werden, wenn du dich all zu lange hier aufhälst. Sprich mit deiner Schwester, wenn du sie retten willst. Denke aber auch daran das Torheit oder beschränkt zu sein, dir nicht weiterhelfen wird, sondern Mut und ein gewisses Maß an Argwohn."
Sie sah mich nicht an als diese Worte ihren Mund verließen.
Sie starrte an die schmutzige Wand gegenüber und ich sah wie ihre eine Hand den Handrücken der anderen streichelte.
Sanft und gleichmäßig. Ich räusperte mich und stand auf. Draußen hinter den kleinen Fenstern des Hauses ging die Sonne in einem Meer aus rosa Wolken nieder. Meine Beine schmerzten ein wenig und ich spürte wie angespannt ich gewesen war, als ich den Worten der Alten gelauscht hatte. Meine Hand drehte den Türknauf links herum und ich stand auf der Schwelle.
"Auf Wiedersehen."
Sagte ich noch und wollte es eigentlich nicht.
Ayana hob noch einmal den Kopf und sah mich nun direkt an.
„Elisabeth, Hoffnung und Furcht sind unzertrennlich, und es gibt keine Furcht ohne Hoffnung und keine Hoffnung ohne Furcht, denke immer daran."
Ich lächelte jedoch kam nichts mehr über meine Lippen.
Es schien nicht nur Nebel über ihren Geschichten zu liegen, nein, es schien auch Nebel über ihrem puren Selbst zu liegen.
Ein dichter, alter und ewiger Nebel.
Vielleicht konnte ein Sonnenstrahl ihn dann und wann mal durchbrechen, aber meistens herrschte dort Dunkelheit.
Mit diesem bedrückenden Gedanken drehte ich ihr den Rücken zu und trat über die Schwelle hinaus auf die einsame Straße.
Die Schatten waren länger geworden und ich sah einen Schwarm schwarzer Vögel in die Dämmerung fliegen.
Es lag noch eine laue Sommerbrise in der Luft und ich atmete den Geruch von Jasminblüten und frischem Lavendel ein.
Ich genoß für einen Moment die Stille und die Freiheit atmen und sich bewegen zu können. Danach ging ich die Straße hinauf die ich gekommen war und bog um die Ecke.
Dann blieb ich stehen und sah mich um. War ich von links gekommen oder hatte ich mich erst später nach rechts gewandt oder war ich dem Verlauf dieser Straße erst eine Weile gefolgt bevor ich mich in irgend eine andere Richtung gewandt hatte. Seltsam ich konnte mich an nichts mehr erinnern.
Es schien als würde hier ein sonderbarer Zauber herrschen der meine Gedanken verwirrte, da ich mich sonst immer an alles erinnerte was ich tat, sah und erlebte. Vor allem wenn es weniger als eine Stunde her sein konnte, seit ich mich auf den Weg gemacht hatte der Gestalt zu folgen. Ich beschleunigte meine Schritte und es kam mir so vor als sähe jedes Haus gleich aus.
Ja, jeder Baum, jeder Busch, jede Tür, selbst die Fenster schienen einander zu gleichen. Aufregung und Verwirrung stieg mit einer ungesunden Mischung in mir auf. Und jetzt rannte ich schon fast die Straßen entlang und meine Schritte hallten auf dem Pflaster in den leeren Gassen geräuschvoll nach.
Ich dachte daran was passieren würde wenn ich nicht mehr zurück fand.
Allein, in einer fremden Stadt, verfolgt von zwei unsterblichen Monstern, das waren keine guten Aussichten, aber warscheinlich müsste ich mich wohl daran gewöhnen. Langsam ging mir der Atem aus, die Beine wurden mir schwer und meine Wangen glühten. Ich bog in eine Ecke und lief so jemandem direkt in die Arme. Erschrocken sah ich dem Fremden ins Gesicht und riss die Augen auf.
"Elisabeth!"
Ich hätte etwas gesagt jedoch fiel es mir gerade sehr schwer Luft zu holen. Elijah strich mir eine Locke aus dem Gesicht und sah mich ein wenig besorgt an. Ich schluckte und wunderte mich, da ich nicht sehr erleichtert war ihn zu sehen. Denn es schossen mir alle Warnungen und Geschichten Ayanas durch den Sinn.
"Niklaus hat sich Sorgen gemacht."
Er verfiel sofort wieder in seine ernste, zurückhaltende und edle Haltung. Etwas kam mir an seiner Aussage sehr sonderbar vor. Nicht wir, nicht Katerina, nicht er, sondern Niklaus hatte sich Sorgen gemacht. Alles daran fühlte sich kalt, abweisend und fremd an. Elijah ging ein paar Schritte und blieb dann stehen.
Er schien zu warten, bis ich seine Höhe erreicht hatte, dann ging er mit mir gemeinsam weiter.
"Wie lange war ich denn fort?"
Fragte ich leise und vermeidete es ihn anzusehen.
"Über 3 Stunden."
Antwortete er sofort als hätte er nur darauf gewartet das ich das fragte. Wir kamen schneller und einfacher wieder auf den Marktplatz zurück als ich es erwartet hatte. Der Brunnen stand immer noch da, nur kam kein Wasser mehr aus dem Rachen der Schlange gesprungen. Jemand hatte es wohl abgestellt, auch die unzähligen roten Rosen die zu Füßen der Göttin gelegen hatten, waren heraus genommen worden. Der Platz war jetzt Menschen leer, nur ein paar Tauben gurrten und pickten Brotreste vom Pflaster auf.
"Das ist die Göttin Nemesis. Die Griechen glauben an sie und das sie über Recht und Unrecht auf der Welt entscheidet. Sie beten sie an damit sie das Böse verdammt und das Gute leben lässt."
Elijah war neben mich getreten und starrte mit gerunzelter Stirn zu der Statue hinauf.
"Ich wusste nicht das du dich mit der Griechischen Mythologie auskennst."
Sagte ich und sah ihn zum ersten Mal von der Seite aus an.
"Ich lese viel. Es vertreibt die Zeit und bildet."
Er wandte sich mir zu und unsere Blick trafen sich.
"Wo ist meine Schwester?"
Wollte ich von Elijah wissen.
"Katerina ist bei Niklaus. Sie sind schon früher heim gefahren, ich kam noch einmal her um dich zu suchen."
Erwiderte er und führte mich während er sprach zum Rand des Platzes. Dort stand ein schwarzes Pferd. Augenscheinlich eines der vornehmeren Rasse. Der Hals war kräftig, die Beine lang und stämmig und die dunkle Mähne war enge am Kopf zu einem eleganten Zopf geflochten. Das Zaumzeug war aus gefärbten Leder mit silbernen Ornamenten. Ich musste an Bulgarien denken und die Pferde dort. Wir hatten nur eines gehabt, Smilla hieß es.
Sie half Vater auf den Feldern und manchmal durften wir sogar auf ihr reiten, da waren wir aber noch klein. Später hatten wir die Stute verkaufen müssen, Smilla wurde alt und bekam irgendwann Hufrehe. Man konnte sie nicht mehr für die Arbeit gebrauchen und jedes Ding musste seinen Nutzen haben, pflegte unsere Mutter zu sagen. Ich hatte geweint als sie Smilla wegbrachten, ich werde nie vergessen wie mein Vater auf ihr weggeritten ist.
Ganz langsam und vorsichtig natürlich. Das Pferd das ich jetzt vor mir hatte erinnerte mich irgendwie an die alten Tage, aber irgendwie auch überhaupt nicht.
Es hatte den Kopf erhoben und hielt ihn leicht geneigt, als würde es einschätzen wollen wer oder was da gerade auf ihn zukam. Elijah klopfte ihm beruhigend auf den Hals und zog den Sattelriemen fest.
"Das ist Jangles. Wir haben ihn aus Irland."
Erklärte mir Elijah und half mir geschickt dabei sicher aufzusteigen.
"Er ist wunderschön..."
Flüsterte ich und strich bedächtig über das warme und glatte Fell des Hengstes. Elijah band den Vierbeiner los gab mir die Zügel und schwang sich dann leichtfüßig, mit nur einer Hand die seinen Körper stützte, zu mir hinauf. Erschrocken wandte ich mich zu ihm um. Jangles tänzelte kurz ein wenig herum, da er meine Nervosität spürte, bis Elijah seine beiden Arme an mir links und rechts vorbei führte, die Zügel selbstsicher griff und ihn beruhigte. Ich war sichtlich erschrocken mit welcher leichtigkeit er das geschafft hatte, das war einfach nicht möglich.
Wir setzten uns in Bewegung und ritten in gemächlichem Trab die einsame Allee hinauf. Die Sonne war jetzt untergegangen und Jangles der die Nacht nicht mochte beeilte sich nach Hause zukommen. Vorsichtig hielt ich mich an seiner Mähne fest und wagte kaum zu atmen. Etwas stimmte nicht, das wurde mir nun klar. Ich spürte wie Jangles zitterte, seine Nüstern bebten.
Dabei war es eine warme Juninacht.

{Petrova}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt