Konflikte

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Obwohl ich den halben Tag über im Krankenhaus schlief, war er dennoch nicht erholsam. Zu viel schwirrte in meinem Kopf herum, zu viel beschäftigte mich. Außerdem fehlte irgendetwas. Eine Sache, die ich nicht benennen konnte. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich Krankenhäuser nicht mochte und ich nicht in meiner gewohnten Umgebung war.
Dr. Mortensen sah am frühen Nachmittag einmal nach mir und war sichtlich erfreut darüber, dass es mir wesentlich besser ging. Er verabreichte mir eine letzte Infusion, um sicher zu gehen, dass der betäubende Stoff der KO-Tropfen aus meinem Körper herauskam.

Ich sah mir gerade irgendeine langweilige Nachmittagssendung im Fernseher an und drückte mich erfolgreich vor den Anrufen an meine Familie, als es leise klopfte. Eigentlich rechnete ich mit irgendeiner Schwester, doch zu meiner Überraschung steckte Jamie seinen Kopf durch die Tür, gefolgt von Sam. Sofort stieg meine Laune und ich schaltete den Fernseher aus, setzte mich aufrechter hin, damit ich die beiden begrüßen konnte.
„Hey", begrüßte ich sie strahlend und zog zuerst Sam und dann Jamie mit einer Umarmung.
„Deine Sachen", erklärte Jamie und hielt eine kleine Tasche in die Höhe. Ich bat ihn diese in dem kleinen Schrank zu verstauen, ehe er sich neben mir ans Bett gesellte.
„Wie geht's dir?", fragte Sam und knuffte mir in den Oberarm.
„Besser, viel besser", verkündete ich und Sam lachte sofort erfreut auf, während über Jamies Gesicht ein stummes Lächeln huschte. Schon wieder wirkte er so anders, bedrückt und besorgt. Doch ich konnte nicht darauf eingehen, da Sam direkt drauf los plapperte. „Wir haben erstes Feedback von unserem Auftritt erhalten!", rief er jubelnd und wirkte so aufgeregt wie ein kleines Kind an Weihnachten. Begeistert erzählte er von einigen Artikeln, die den Aufritt als ‚Großartig', ‚ultimativ rockig' sowie ‚äußerst gelungenes Debut' bezeichneten. Ich freute mich unglaublich für die Jungs und hörte Sam noch immer interessiert zu, wie er davon erzählte, dass sie bereits weitere Anfragen für Auftritte erhielten. Mein Blick huschte währenddessen zu Jamie, welcher jedoch beinahe desinteressiert aus dem Fenster starrte. Er wirkte abwesend, beschäftigt und diese strengen Gesichtszüge schienen wie eingemeißelt zu sein.
Als würde Jamie meinen Blick auf sich spüren, drehte er sein Gesicht zu mir und legte sofort ein Lächeln auf. Er überspielte seine Gefühle, versuchte irgendetwas vor mir zu verbergen, doch ich kannte ihn zu gut. Aber vor Sam würde ich dies nicht ansprechen, es musste also noch etwas warten.

Als Sam wenige Minuten später verkündete, dass er sich in der Kantine einen Kaffee holen wollte, bat Jamie ihn darum ebenfalls eine Cola mitzunehmen. Sam grinste breit und verließ das Krankenzimmer.
In dem Moment, als ich endlich den Mut fasste Jamie auf sein eigenartiges Verhalten anzusprechen, sagte er: „Hast du schon deine Eltern angerufen? Oder Kelly?" Er warf einen Blick auf mein Handy, welches neben mir auf der kleinen Ablagefläche lag.
Schweigend schüttelte ich den Kopf. „Ich wollte das erledigen, wenn ich zuhause bin." Genervt ließ er die Schultern fallen und seufzte auf. Irritiert über diese Reaktion kniff ich die Augenbrauen zusammen.
„Alex", brummte er und leckte sich kopfschüttelnd mit seiner Zunge über die Unterlippe. „Sie warten bestimmt schon auf deinen Anruf."
„Dieser eine Tag wird sie auch nicht umbringen", gab ich murrend zurück und verschränkte die Arme trotzig vor der Brust. Kelly könnte sich eventuell sogar noch wirkliche Sorgen machen, aber meine Eltern? Das einzige was sie mir vorhalten würden, wäre die Tatsache, dass sie mich vor genau so etwas gewarnt hatten.
Jamie warf mir einen düsteren Blick zu, welchen ich genauso finster erwiderte. Wir hatten uns schon öfter in den Haaren, doch so seltsam war es noch nie.
„Ich bin doch morgen schon wieder zuhause", versuchte ich es weiter, doch Jamie blieb stur.
„Sie sind deine Eltern", warf er ein und ich ergänzte im Kopf, dass es sie eh nicht wirklich interessierte und sie mir nur Vorwürfe machen würden. Als ich darauf nichts erwiderte, schüttelte er verärgert den Kopf und brummte: „Mach was du willst."
Schmollend ignorierten wir uns einige Momente lang, während wir stur durch die Gegend sahen. Keiner wollte klein beigeben und nachgeben. Doch ich ertrug diese Stille nicht mehr.
„Ich rufe Kelly heute Abend an", gab ich schließlich nach und ließ mich schnaufend in die Kissen fallen. Da war es wieder – das Rückgrat eines Gummibärchens.
Eigentlich hatte ich mit keinem Kommentar gerechnet, doch er flüsterte ein leises: „Gut."

Love between the linesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt