» 𝐏𝐫𝐨𝐥𝐨𝐠

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Buh-Bum. Nichts. Buh-Bum. Licht. Buh-Bumm. Gleichheit. Buh-Bum. Vernichtung. Buh-Bumm, Buh-Bumm, Buh-Bumm, Buh-Bumm, Buh-Bumm...

Langsam verblasste die Stimme in ihrem Verstand und der Herzschlag in ihren Ohren wurde leiser. Sie hatte es gesehen. SIE zeigte ihr, was SIE vorhatte. Und dass sie nichts dagegen ausrichten könnte. Niemand könnte das. Nicht allein.

Zu beiden Seiten flankierten rot marmorierte Teppiche die Wände und gelb glimmende kleine Fackeln jede Ecke des Raums. Ein weiterer dunkler Stoffriese bedeckte mittig den Großteil des fein abgeschliffenen Parketts, während die jüngsten Feuerträger konzentriert darauf knieten. Eine ihrer ersten Stunden, in denen sie den praktischen Umgang mit ihren Energien kennenlernen würden.

Dieses Mädchen kannte die Lektion bereits. Sie war sie tausendmal mit ihrem Vater durchgegangen, die Theorie beherrschte sie wie kein anderer in ihrem Jahrgang. Doch die Praxis wollte ihr nicht gelingen. Nicht auf die Art und Weise.
Gerade sie brauchte die Kontrolle, sie, deren Inneres ein Eigenleben führte und ihren Körper als Hülle zu nutzen schien. Wieso sie? Warum hatte es sie treffen müssen? Sie hatte es anders gemeint. Als sie um mehr Fähigkeiten gebeten hatte. Hatte Jaareh sie erhört, wenn sie doch Jax und Jaaved anrief? Hatte Jah, die Gottheit des Schicksals, diesen Weg für sie gelegt?

War diese Macht am Ende doch von Geburt an in ihr?

Sie hatte es schon früher – noch früher – gespürt, das Gefühl, niemals wirklich allein zu sein. Sie konnte sich an Dinge erinnern, denen sich ein normales Wesen im Säuglingsalter niemals bewusst sein hätte können. Sie kannte Namen – von Schlachten, die länger angedauert hatten, als sie atmete, von Personen, die sie nie getroffen haben konnte, weil sie vor ihrer Zeit lebten. Aber sie besaß diese Erfahrungen, die nicht ihre eigenen waren. Sie war niemals allein gewesen.

Ein Mantel aus Dunkelheit umhüllte das Mädchen, während die anderen Kinder mit Lichtkegeln balancierten. Kribbeln erfüllte ihre Finger von den Spitzen bis zur Handmitte. Die schwarzen Fäden, die sich über ihre Haut spannten, griffen nach jeglicher Quelle des Guten um sie herum. Sie klammerten sich um das Licht der jungen Feuerträger, das grotesk fröhlich als leuchtende Kugel in ihren Händen tanzte. Eines nach dem anderen verschluckten die Schlingen und verwandelten es in Dunst und Rauch. Grau, Schwarz, Vernichtung.

Helle Schreie erfüllten den Raum, die Kinder liefen panisch durcheinander und ließen ihre Kugeln fallen, die sich die Dunkelheit krallte, noch bevor sich ihre Strukturen auflösen konnten. Wie ein ausgehungertes Tier fiel der düstere Teil des Mädchens über alles Weiß im näheren Umfeld her. Licht, verschlingen!

Die Kinder hatten Angst. Alle Kinder. Angst vor der Fremdheit dieses Geschehens und dieser unergründlichen Macht. Es gab für sie keinen Grund, ihrer Artgenossin mehr zu vertrauen, im Gegenteil. In diesem einen Moment, den sich das Mädchen in den schlimmsten Varianten ihrer Albträume ausgemalt hatte, verfloss alles übrige Vertrauen in eine Freundin ins nichts.

Sie schrie nach Antworten.

Antworten auf die Fragen in Ihrem Kopf, deren Bedeutung sie nicht verstand. Warum war sie anders? Was hatte sie Schreckliches getan, um so dafür gestraft zu werden? Wieso gerade sie? Es fühlte sich so kalt an. Dabei glühte ihr Feuer während dieser Attacken immer stärker als bei ihrer Entzündung. Viel stärker –

Eine warme Hand legte sich auf ihre Schulter und löste den Umhang, der ihre Wahrnehmung trübte. Das Mädchen roch den Dampf zwischen dem heißen Reiz und ihrer eisigen Haut, hörte förmlich das rauchige Zischen dieser Einbildung – denn ihre Hände glühten; wie auch der Rest ihres Körpers... nichts an ihr war kalt. Nach und nach fiel der zerrissene Schleier von ihr ab, bis das kräftige Rot der Stoffriesen wieder in voller Pracht in ihrem Sichtfeld erstrahlte. Der Lärm klang für sie jetzt nur noch fern, die warme Stimme ihrer Mutter berührte sie näher als alles andere; – Wie konnte sie die Wärme inmitten all der Hitze überhaupt noch spüren? – sie schlüpfte zwischen die Dunkelheit und das Mädchen, welches sich noch nicht aus ihr befreien konnte. Welches unverständlicherweise an dieser Kraft festhielt.

»Lass los...«, die geflüsterten Worte wirkten wie eine Droge auf die Kleine, »Lass sie los...«

Ihre zu Fäusten geballten Hände, mit denen sie krampfhaft versucht hatte, die Fäden daran zu hindern ihren Freunden weh zu tun, umschlossen nicht länger den schwarzen Rauch. Blut flutete wieder jede Ader ihrer Glieder, Farbe kehrte in ihre Fingerknöchel zurück. Sie folgte der Anweisung ihrer Mutter und die Dunkelheit glitt von ihr ab. Vorrübergehend. Wie ein Teppich legte sich die schwarze Masse auf den Boden, verlassen von jeglicher Energie.

Ein junger Mann brachte die anderen Kinder aus dem Raum. Jene, die sich hinter den Wandteppichen versteckt hatten und nicht sofort rausgerannt waren.

Das Mädchen drehte sich zu ihrer Mutter und sah sie mit großen, hellroten Augen an. Das brennende Licht der Fackeln ließ sie glänzen, als würde die Essenz der Sonne selbst sie durchströmen. ›Was habe ich gemacht?‹ war die Frage, die für den Moment am stärksten an ihrer Geduld nagte. ›Was habe ich schon wieder falsch gemacht?‹

Die Frau mit langen, schwarzen Haaren antwortete ihr nicht. Aber das brauchte sie auch nicht, genauso wenig wie ihre Tochter die Antwort auf ihre Frage verstehen musste.

Sie strich dem Mädchen eine der gewellten Strähnen aus dem Gesicht und schloss sie in die Arme. Wenige Tränen kullerten über die runden Wangen des Kindes.

»Du hast alles richtig gemacht«, flüsterte die Frau nach einer Weile, damit die Kleine ihr Schweigen nicht falsch deuten konnte und warf so für ihre Tochter nur noch mehr Fragen auf. Und sie musste irgendwann begreifen, dass es immer so bleiben würde. Eine Antwort würde bei ihr stets weitere ungelöste Rätsel mit sich bringen. Ihre Fragen konnten niemals alle beantwortet werden. Aber sie musste lernen, damit zurecht zu kommen. Denn das Schicksal hatte für sie einen Weg gelegt, der ihr nur selten eine konkrete Antwort bescheren würde. Und mit einer jeden würden tausend weiter Fragen folgen.

»Komm, mein Schatz«, sagte ihre Mutter nach etlicher Zeit der Stille. Sie erhob sich und ging Richtung Tür, doch ihre Tochter folgte ihr nicht. Ihre Augen starrten gen Boden, dem Blick der Älteren ausweichend. Mit einer Hand spielte sie an den Fingern der anderen, bis die große Feuerträgerin sie wiederholt ansprach: »Rose, er wird nicht sauer sein.«

Das Mädchen schüttelte wissend den Kopf.

»Es ist stolz...«, erklärte sie sich mit heller Stimme, »Und davor habe ich Angst.«

Die Frau bedachte das Kind mit einem mitfühlenden Blick und streckte dann die Hand aus. Rose kam zögerlich auf sie zu und schloss ihre eigene Hand um die Finger ihrer Mutter. Ihre Haut war glatt und weich, ganz anders als die ihres Vaters. Sie nahm das Mädchen auf den Arm, wo es den Kopf auf ihrer Schulter ablegte.

Bedrückt betrachtete Rose die Zerstörung, die ihre miserable Kontrolle über ihre Satanskraft angerichtet hatte, die sie selbst angerichtet hatte. Es war so leicht gewesen, der Energie freien Lauf zu lassen. Aber sie wusste jetzt, dass sie dies erst wieder durfte, wenn sie die freigesetzten Kräfte lenken konnte. Wenn sie sie so beherrschte, wie ihr Bruder, Jack. Nein, wenn sie ihn in seinem Können sogar überragte. Erst dann würde sie je wieder alle Energie ihrem Körper entfliehen und ihrem Geist entgleiten lassen.

Für Rose schien dieserUmstand vollkommen unmöglich. Deshalb wählte sie ihn für sich. Aber sie sollte noch lernen, dass so gut wie nichts unmöglich war, wenn jemand nur genug und mit Willen dafür kämpfte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 21, 2023 ⏰

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𝐀𝐧𝐠𝐞𝐥 𝐢𝐧 𝐇𝐞𝐥𝐥 || 𝐅𝐮𝐧𝐤𝐞 𝐃𝐞𝐬 𝐋𝐢𝐜𝐡𝐭𝐬Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt