Kapitel 28

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Taeyong Pov
Taeyong seufzte lang aus und schüttelte bloß wieder den Kopf, als der andere ihm eintrichterte, dass er gutes Gewissens essen könnte. Er hatte keinen Hunger. Der Appetit war ihm schon seit dem Morgen vergangen, an dem er sich mit Ten gestritten hatte. Sollte er seinem Bruder von ihm erzählen? Nervös kaute er auf seiner Unterlippe herum, spürte aber im nächsten Moment die Hand des Älteren und blickte den wieder vorsichtig an. Er wirkte wütend, aber auch besorgt. Wie sollte er es Yoongi erklären, ohne dass der womöglich austicken würde? Jooheon hatte dem schlanken Schützen den Arm gebrochen, als der ihn provozierte, damit er sich ergab und für ihn arbeitete. Er hatte nie zu hundert Prozent freiwillig die Miliz gejoint. Er lebte einfach damit, dort nun als rechte Hand zu agieren, denn Taeyong war unheimlich loyal und konnte den Rothaarigen unmöglich verraten. Das Leben bei der Miliz hatte so viele bessere Aspekte, als das eines Einzelgängers.

"Naja..." Taeyong legte sich die Worte sorgfältig zurecht. "Es ist so..." Es fühlte sich auf einmal schwierig an, sich richtig auszudrücken. "Ich weiß nicht. Ich bin seine rechte Hand. Aber ich wandle bloß in seinem Schatten. Und eigentlich lasse ich mich nicht kommandieren, du kennst mich ja, aber irgendwas... Da ist irgendwas in mir drinne. Wie soll ich das erklären.." Der Jüngere löste seine Hand aus dem Griff des anderen und strich sich verzweifelt über das Gesicht. Jetzt hatte er die Chance über seine fehlende Identität zu reden und wusste nicht wie. "Ich fühle mich so- wertlos und einfach- einfach verloren. So durcheinander." Er blickte den Älteren an und man sah ihm die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, gemischt mit geringer Angst. "Ich weiß nicht, wer ich bin.", versuchte er es irgendwie besser zu erklären, "Als ich diese Gruppe getroffen habe... von dem Moment an- ich war ein ganz anderer Mensch. Ich konnte nicht mehr sagen, was ich sagen wollte. Als würde mich jemand wie eine Marionette führen."

Sachte schüttelte er den Kopf. Das war so unglaublich schwer zu erklären und es beschäftigte ihn nun schon seit einundhalb Jahren, denn mit der ersten Begegnung mit Jooheon hatte sich ein Schalter in seinem Kopf umgelegt und er hatte seine zweite Identität wieder frei gelassen, die die Jahre über mit Erinnerungen an seine frühe Kindheit unterdrückt gewesen war. "Es tut mir leid, ich klinge verrückt.." Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit fühlte Taeyong sich allerdings erleichtert. Stets alles aufzuschreiben reichte nach einer Zeit einfach nicht mehr. Bei jemanden endlich schwach sein zu können und alles rauszulassen, war genau das, was der Lilahaarige gebraucht hatte. Yoongi war tatsächlich der einzige, der dafür wirklich geeignet war, denn er kannte den Jüngeren besser, als der sich selbst. Ten hätte ihm wahrscheinlich nicht helfen können. Auch wenn Taeyong ihm vertraute, war er sich sicher, dass der Jüngere nicht wirklich wüsste, wie er mit seinen Macken umgehen sollte.

Yoongi Pov
Schon immer in seinem Leben hörte Yoongi genau zu, was Taeyong zu sagen hatte, egal wie banal oder abstrus es war. Und auch jetzt in dieser aufwühlenden Situation stand er nah an der Seite seine Bruders. Yoongi versuchte der Fels in Taeyongs Brandung zu sein, der hoch empor ragte, bis zum Himmel, und die scheppernden Wellen seiner Psyche abfing und beschwichtigte. Taeyong war niemals leicht gewesen und wie oft hatten sich ihre Eltern des Abend, als die dachten, alles schlief, um diesen gestritten. Es war eindeutig, dass der Jüngere kaum mehr etwas wusste, von dem, was alles in seiner Kindheit passierte. Yoongi hingegen erinnerte sich an jedes einzelne noch so kleine Puzzleteil. Die Zeit damals war für niemanden leicht gewesen und immer fragte sich der Größere, wie sich sein Bruder wohl fühlen würde. Wie viel Schmerz er in sich trug. Wenn er ihm den Schmerz abnehmen könnte, damit dieser nicht mehr leiden müsste, so hätte er es getan, bis heute. Vor allem heute, denn was er aufing und in seinem Bruder sah war eine gequälte, verkrüppelte, verwirrte Seele, die keinen Halt mehr hatte. Ein Meer von unhaltenden Stürmen mit sich selbst, die keinen Felsen mehr hatten, der ihn beschwichtigte.

Und diese Gruppierung von der er redete schürten den Sturm nur weiter und machten den armen Jungen noch ganz kaputt. „Du kommst zu mir. Ich kann und will dich nicht bei diesen Menschen sehen. Die tun dir nicht gut. Sieh dich an. Du bist psychisch doch komplett am Ende. Ich lass nicht zu, dass wenn du einmal wieder getriggerst wird, dir dir deine Knarre in den Mund steckst und abdrückst." Besorgt sah Yoongi den kleinen genau an. Die ganzen Schnitte an seinem Körper. Seine jetzige Haltung. So sah nur ein gebrochener Mensch aus. Ob er wusste, dass noch etwas ganz anderes in ihm schlummerte? Ein Dämon, der in seinem Inneren lauerte und immer wieder an die Tür des Verstandes mit seinen spitzen Klauen kratzt, um allmählich Taeyongs Verstand mit seinem selbst zu verpesten? So ging es doch schon einmal los, damals, als er noch das Kind war, das viel zu viel Leid verspürte. „Hast du manchmal das Gefühl, nicht du zu sein? Das Gefühl, in dir lebt mehr als nur Taeyong?", fragte der Bruder besorgt und wendete sich nun näher zu seinem kleinen Bruder und zog diesen fest an sich. „Kleiner, manchmal ist da mehr, als wir glauben" Mit dieser Aussage sah er wieder in Taeyongs Gesicht und strich ihm die nassen lila Strähnen von der Stirn.

❛ Infected love ❜  - TaetenWhere stories live. Discover now