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Einige Sekunden vergehen, während ich die Worte in meinem Kopf verarbeite. So klar und deutlich meine Ohren auch gehört haben - ich realisiere kaum die wahre Bedeutung dahinter.
»Was?«, hauche ich fassungslos. »Wie konnte das passieren?«
Gestresst fährt Kimberly sich durch die Haare. »Die Bienchen und Blümchen, Courtney. Ist ein Hetero-Ding.« Man merkt förmlich, wie sie mit ihren Nerven am Ende ist, als sie sich die Tränen von den Wangen wischt. »Glaubst es oder nicht: Verhütungsmittel gehören nicht zur Grundausstattung dieses Hauses.«
Ich versuche Chelseys Blick aufzufangen, doch diese starrt nur mit geweiteten auf die werdende Mutter vor uns. »Und Blake ist der Vater?«
»Was glaubt ihr denn, wie viele Affären ich vor euch verheimlicht habe?!«
Der Sarkasmus in ihrer Stimme klingt zittrig - das ultimative Zeichen, wie schlecht es ihr tatsächlich geht. Noch nie habe ich Kimberly dermaßen durch den Wind gesehen! Normalerweise war sie der Mensch, auf den man in jeder Lage vertrauen konnte, der immer die Kontrolle über alles hatte und dem keine Missgeschicke passieren. Doch nun wirkt sie so schwach und gebrochen. Zum ersten Mal sehe ich sie tatsächlich... Menschlich.
Chelsey blickt sie aufgebracht an. »Kimberly... Du erinnerst dich daran, warum Blake verurteilt wurde, nicht wahr? Du weißt, warum er hier ist.«
Ein wahrer Ausdruck von Panik tritt in die Augen meines Gegenübers, als sie nickt.
Blake Weston - ermordete seine Freundin, sowie deren Familie, nachdem er über ihre Schwangerschaft erfuhr.
»Er ist der Vater meines Kindes«, haucht Kimberly, als könnte sie es selbst kaum realisieren. »Ich- ich kann ihn nicht hassen, versteht ihr? Nicht wenn Leben in mir wächst, welches von ihm abstammt!«
Kurz zögere ich, doch dann ergreife ich ihre Hand. Ich bin erleichtert, als sie sich mir nicht entzieht, trotzdem erhalte ich einen leicht verwirrten Blick.
Wann hatte ich das letzte mal das Gefühl, dass wir uns tatsächlich so nahe stehen?
Es muss Jahre her sein.
»Was habe ich getan?«, flüstert Kimberly ungläubig und starrt auf ihren eigenen Bauch hinunter. »Ich setze ein Kind in die Welt, welches von zwei Mördern abstammt!«
Noch nie zuvor habe ich erlebt, dass sie sich dermaßen Gedanken um eine Person macht. So sehr, dass sie sich selbst für den Menschen der sie ist, hasst.
Nur zu gerne würde ich sie beruhigen. Ich wünschte ich könnte ihr sagen, dass alles gut wird und sie ein wundervolles Kind großziehen wird. Nichts würde ich lieber tun, als ihr ihre Sorgen zu nehmen.
Doch Kimberly lässt sich nicht von schönen Lügen blenden. Sie kennt die Wahrheit und ist zu Recht von Verzweiflung erfüllt.
»Wie?«, fragt sie mit schwacher Stimme. »Wie wird weiter gehen?«
»Als erstes ist wichtig, dass Blake nichts davon mitbekommt. Wir haben einige Monate, bis es unübersehbar wird, doch ich hoffe, dass bis dahin das Sozialexperiment beendet ist. Bei Erfolg wirst du frei sein und dein Kind selbstständig erziehen können. Wenn nicht-« Chelsey hält zögerlich inne.
»Was?!«, schreit Kimberly sie, lauter als gewollt, an.
»Ich bin mir nicht sicher«, gibt ihre Gesprächspartnerin zu. »Es handelt sich um einen ziemlich seltenen Fall hier, aber ich nehme an, dass man das Baby direkt nach der Geburt zur Adoption frei geben würde.«
Weitere Tränen rollen über Kimberlys Wangen. Allein der Gedanke ist zerstörend für sie.
»Ich kann das nicht...«, höre ich sie mit lahmer Stimme sagen.
Nie hätte ich damit gerechnet, diese Worte aus ihrem Mund zu hören.
»Kimberly«, spreche ich sie sanft an. »Ich weiß es ist nicht leicht darüber nachzudenken, aber... Du weißt, dass du Optionen hast, oder?«
Mit glasigen Augen werde ich angesehen. »Ich habe bereits ein Leben beendet, Courtney. Niemals werde ich das wieder tun.«
Ich antworte nicht, sondern lege nur sanft meine Hand in ihren Nacken. Vorsichtig rutsche ich etwas näher an sie heran und ziehe sie sanft zu mir.
Ganz von selbst landet ihr Kopf auf meiner Schulter. Sie schmiegt sich perfekt an meinen Hals an, als wäre es nur dafür gedacht.
In dieser Sekunde kümmert es mich nicht, was in der Vergangenheit passiert ist, ob wir Freundinnen sind oder dass wir uns hier eigentlich nicht kennen dürften. Wenn Kimberly mich braucht, werde ich für sie da sein.

Eine ganze Weile sitzen wir zu dritt so da. Es ist fast, als wären wir wieder befreundet - doch es ist nicht wie damals. Als würde man zurück nach Hause kommen, doch die Möbel wurden umgestellt.
In diesem Fall ist es eine willkommene Veränderung. Wir waren nie die Art von Freundinnen, die füreinander da waren, einander mit Komplimenten überhäuft haben und vor allem beschützten.
Nicht weil wir nicht eng genug waren.
Wir brauchten diese Art von Komfort einfach nicht.
Kimberly, Chelsey und Courtney; die größte Angst jedes Nerds und der schönste Traum jedes Jungens. Jeder kannte uns. Jeder wusste, dass wir unnahbar, sowie unzertrennlich waren.
Wenn ich zurück blicke ist es ein lächerliches Konzept.
Gott, habe ich damals viele Gedanken verschwendet, meine Prioritäten falsch gesetzt und die völlig falschen Dinge für wichtig gehalten.
Doch zum ersten Mal seit meiner Verhaftung, wünsche ich mir nicht, dass ich Kimberly und Chelsey nie kennengelernt hätte.
Kimberlys Haare kitzeln mich leicht an der Stirn und ich streiche ihr sanft über den Rücken.
Ich höre sie tief durchatmen und beobachte, wie sie schließlich den Kopf hebt. Sie wischt sich die letzten Tränenreste von den Wangen, zupft kurz ihr T-Shirt zurecht und wirft ihre Haare über ihre Schulter.
»Blake darf nichts davon erfahren. Das ist gerade meine erste Sorge.«
»Naja, ihr habt keine Affäre mehr und nachdem du ihn blamiert hast, hält er sich fern von dir«, sagt Chelsey schulterzuckend. »Es wird auch kaum jemand Verdacht schöpfen, da es hier keinen Alkohol, den du verweigern könntest, gibt.«
»Was ist mit Ivy?«, gebe ich zu bedenken. »Sie ist mit uns in einem Zimmer, sie wird mitbekommen, wenn du dich ständig übergibst.«
Kimberly schafft es schon wieder Gift in ihren Blick zu bringen, als sie mich ansieht: »Du wirst ihr nichts davon erzählen, klar?«
»Sie wird es rausfinden, Kimberly, sie ist nicht dumm.«
»Aber verdammt naiv, also denk dir verdammt nochmal was aus, um sie auf eine falsche Spur zu bringen.«
»Ich kann sie doch nicht einfach-«
»Anlügen? Ich verstehe, dann erzähl ihr von meinem Baby und lass am besten gleich mit einfließen, dass du sie seit dem ersten Tag angelogen hast und an einem Mord beteiligt warst.«
Verbissen schweige ich.
Jedes Gefühl von Freundschaft und Heim ist innerhalb weniger Sekunden wieder verflogen.
Kimberly sieht mich noch einige Sekunden herausfordernd an, dann wendet sie sich zurück an Chelsey. »Wir sehen uns im Fitnessraum und im Speisesaal.«
»Am besten du ziehst dich etwas zurück was so etwas angeht. Du bist am besten beschützt, wenn kaum jemand weiß, dass du existierst«, schläft Chelsey vor.
»Eher schwierig. Dieser Platz ist schlimmer als die Highschool; nachdem die Leute jahrelang eingesperrt wurden, stürzen sie sich auf alles, was nach Skandal riecht. Die meisten kennen mich schon als Blakes Affäre.«
Ich muss zugeben, dass dies wahr ist. Auch mein Name wurde als Olivias Opfer bekannt.
Sieht so aus, als hätten weder Kimberly, noch ich, einen Ruf bekommen, den wir unbedingt wollten.
»Verhalte dich einfach unauffällig«, empfiehlt Chelsey schulterzuckend. »Früher oder später wird etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen.«
»Was ist mit medizinischer Versorgung?«, schalte ich mich ein. »Wir haben keine Ahnung wie lange dieses Experiment dauert und du brauchst einiger an Geburtsvorbereitung.«
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht...« Kimberly steht langsam auf und läuft den extrem kurzen Weg von der einen zur anderen Wand des Fahrstuhls auf und ab.
»Aktuell werden wir weder von Kameras, noch Mikrofonen erfasst«, sagt Chelsey nachdenklich. »Würden die Wärter es wissen, würde man dich vermutlich augenblicklich aus dem Experiment rausziehen.«
Kimberly zieht die Augenbrauen zusammen. »Ich kann nicht gehen! Dashier ist die einzige Form von Freiheit, die ich noch kriegen kann und ich muss wenigstens sicher gehen, dass niemand mehr unter Drogen gesetzt wird, bevor ich gehe.«
»Was ist wenn du selbst unter Drogen gesetzt wirst?«, gibt Chelsey vorsichtig zu bedenken.
Erschrocken wird sie angesehen. »Du hast Recht, das könnte passieren...« Unerwartet schlägt sie mit voller Wucht gegen die Wand. »Fuck!«
»Hey hey hey!« Hastig stehe ich auf und ziehe sie weg. »Du verletzt dich noch.«
»Es ist mir egal!« Mit Tränen in den Augen sieht sie mich an. »Ich bin am Durchdrehen, Courtney, du hast keine Ahnung!«
Grob stößt sich mich weg von sich und ihre Faust landet erneut an der Wand. Ihre Verzweiflung ist förmlich zu spüren.
Kimberly konnte noch nie gut mit Gefühlen umgehen - es wundert mich nicht, dass sie jetzt alles in Wut unterbringen muss.
Schon zum dritten Mal schlägt sie viel zu stark zu.
Gerade will ich sie er erneut aufhalten, da geschieht etwas unerwartetes:
In ihrem Rausch hat sie das Bedienungsbrett getroffen, auf dem man das gewünschte Stockwerk angeht. Überraschend leicht hat sich dieses gelöst und hängt nun an seinen Kabeln frei in der Luft. Dahinter ist ein kleiner Raum zu sehen, nicht viel größer als eine Tafel Schokolade. Doch dort drin steht eine Tüte voller weißer Pillen.
Mitten im Schlaf hält Kimberly inne.
Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde ist auch Chelsey auf den Beinen.
Mit geweiteten Augen starren wir einander an, bevor ich es schließlich schluckend wage den Beutel heraus zu holen.
»Die Schrauben waren locker«, sagt Kimberly mit einem Hauch Faszination in ihrer Stimme. »Sieht so aus, als wäre jemand häufiger an diesen Hohlraum gegangen.«
»Ist das-?«, setze ich atemlos an, doch Chelsey nickt, noch bevor ich meinen Satz beenden kann.
»Unglaublich«, haucht Kimberly. »Sie waren die ganze Zeit, direkt vor unserer Nase.«

Strangers with memoriesTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang