Wiese

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Alexander

Nach Magnus Mittagsschlaf machten wir uns fertig für die Geburtstagsfeier von Charlotte. Sie hatte gestern nochmal angerufen und sich versichert das wir auch wirklich kamen. Dabei schien sie irgendwie total aufgeregt. Sie wurde zwanzig Jahre. Ich freute mich auf den Tag und hoffte innerlich, das wir das richtige Geschenk gefunden hatten.

Während wir die letzten Nächte wenigstens ein paar Stunden Schlaf gefunden hatten, war diese Nacht ein Tag. Mit all ihren Charakteren und Gesichtszügen. Mags und ich hatten Schach gespielt, Tee getrunken und den Sternen beim trostlosen Glänzen zu gesehen. Es erschien irgendwie alles so matt. Jede Farbe schien nur da zu sein, ohne jegliche Wirkung. Das Licht des Mondes, war nur ein Hinweis das er da war. Da war keine Wirkung. Nichts was die Dunkelheit schöner wirken ließ. Die Nacht war schmerzlich eine kleine Qual, fast schon eine eigene Dimension, die mich auf ihrer Seite haben wollte. Doch das hatte ich nicht zu gelassen, war es allein mein Mann dem ich mich voll hingab. Meine Aufmerksamkeit lag auf ihn.

In Momenten des Dämmern, hatte ich ihn still beobachtet. Die Tränen waren versiegt und dennoch schien ihr Schimmer auf seiner Haut und vor allem in seinen Augen zu liegen. Vielleicht klang es jetzt total merkwürdig. Aber irgendetwas störte mich an diesem Gefühlsausbruch. Er schien von weiter her zu kommen, als der Streit und der Sorge mich zu verlieren. Ich konnte es nicht in Worte fassen, aber um so mehr ich über die letzten Tage nach dachte, desto größer wurde die Sorge.

"Opa?" Blinzelnd sah ich von dem Wasserglas auf. Die kleinen Luftkörnchen der Kohlensäure kämpften sich an die Oberfläche, ließen zu das ein kleiner Springbrunnen entstand, der mit der Zeit ab ebbte. "Ist alles ok?" Charlotte stand neben mir. Ihre Hand hatte sie besorgt auf meine Hand gelegt, die den Deckel der Wasserflasche umklammerte. Ein Lächeln der Täuschung huschte über meine Lippen. "Ja na klar. Es ist schließlich dein Geburtstag, Kleine." Der Spitzname und auch das Schauspielern schien ihre Wirkung zu zeigen. Sie lächelte mich an. "Ich habe endlich die goldenen zwanziger erreicht." Charlotte half mir mit den Gläsern. "Gab es ein Alter, auf das du dich gar nicht gefreut hast?" Ich schüttelte den Kopf. "Mit deinem Großvater an meiner Seite hat selbst das Alt werden Spaß gemacht. Man darf das Leben manchmal nicht so ernst nehmen."

Magnus saß bereits mit unseren beiden Kindern, unseren Schwiegertöchtern und unseren Enkelkindern am Tisch. Seinen Kopf hatte er auf seinen Händen abgestützt. Fast schon angestrengt versuchte er dem Gespräch zu folgen. "Ihr werdet tolle Uropas. Da ist doch Baby Sitten bestimmt mit inbegriffen oder?" Ich war abgelenkt von dem Anblick meines Mannes, hörte meiner Kleinen nur noch mit einem Ohr zu. "Wir bitten darum." Ich zwinkerte ihr zu. Ich fühlte mich wie ferngesteuert.

Eine höhere Macht schien de Kontrolle vollständig zu besitzen und am liebsten wäre ich jetzt in unseren vier Wänden. Ich konnte und wollte niemanden etwas vorspielen. Mags und ich hatten das noch nie gemacht. Jetzt erschien es mir das einzig richtige. "Na mein Herzblatt." Ich setzte mich neben meinen Ehemann, legte fast schon halt suchend meine Hand auf seinen Oberschenkel. Unerwartet legte sich seine eigene Hand über meine, krallte sich förmlich in diese. Es war wie ein stummer, fast blind suchender Hilferuch. Dabei war ich ein sehender unter blinden. Ich sah in sein Gesicht, welches so abwesend und gleichzeitig so verkrampft wirkte. Er schien weder mit dem Gespräch noch mit der Gesamtsituation hinter her zu kommen.

"Dann heben wir heute unsere Gläser für das Geburtstagskind. Charlotte? Ich bin sehr stolz auf dich." Rafael riss uns aus dieser Konversation welche nur aus Blicken unter Liebenden bestand. Gemeinsam hoben wir die Gläser und stießen mit jedem, der am Tisch saß an. Magnus und ich lächelten, wollten den Geburtstag unseres Enkelkindes nicht verderben.

Ich verknotete unsere Hände, welche immer noch auf seinem Bein lag. Mit meine Daumen strich ich beruhigend über seinen Handrücken, versuchte ihm die Ruhe auszustrahlen die er brauchte. Mir fiel es nicht leicht, selbst entspannt zu sein, stand ich vielleicht nur noch mehr unter Strom. Dennoch waren die Erinnerungen in meinen Kopf eine kleine Oase des Glückes, aus der ich die Kraft zog, die Stütze für meinen Mann zu sein. Und es funktionierte. Sein ganzes Da sein entspannte sich etwas, der Griff um meine Hand nahm zwar nicht an Intensität ab, doch dieses mal war es kein Krampf sondern der Zusammenhalt.

Mit einem einzigen Blick bedankte er sich. Ich küsste schnell seine Wange. Niemand bekam diese Geste mit, außer natürlich Charlotte. Diese ließ das Gespräch am Tisch, welches sich um den nächsten Urlaub drehte, mit einem klirren ihres Glases verstummen. Max und Rafael fuhren einmal im Jahr gemeinsam mit ihren Kindern und Frauen weg. Es war ihre Tradition und zeigte den Zusammenhalt ihrer Brüderschaft. Mags und ich sind ein paar mal sogar mit gefahren. In den letzten Jahren wurde es uns allerdings einfach zu viel.

"Wir können gleich weiter darüber reden. Aber wo wir gerade hier alle beisammen sind, wollte ich die Nachricht verkünden, das es kleiner Junge wird." Wir hoben bereits alle unsere Hände zum klatschen und jubeln. Aber mit einer Geste stoppte Charlotte uns. "Nur noch eins... danke." Sie sah jedem in die Augen, bei Magnus und mir stoppte sie kurz. Ein unmerkliches kopf nicken, ein zwinkern von unserer Seite. Sie wird eine ganz tolle Mutter.

Als die Unterhaltung, dieses mal über den Kleinen, fortgesetzt wurde, schien es Magnus wieder schlechter zu gehen. Immer wieder ließ er seine Augen schnell hin und her wandern. Er schien sich an nichts zu beteiligen. Ihm war es schlicht weg zu viel. Und da die Sorge einfach zu groß war, erhob ich meine Stimme. "Entschuldigt, aber wir würden uns schon mal verabschieden." Ich sah zu Charlotte. Kurz zuckten ihre Augenbrauen. Wir blieben sonst immer länger. Aber mit jedem Jahr wo sie erwachsener wurde, nahm auch unser Alter zu. "Wir sind auch nicht mehr die Jüngsten." Die Einsicht unserer Liebsten kam schnell. Unsere Söhne boten an, uns nach Hause zu fahren. Da Magnus Blick aber nur nach Ruhe verlangte, lehnte ich das Angebot ab und ließ uns ein Taxi kommen.

Wir verabschiedeten uns von allen. "Wir hoffen das Geschenk ist richtig und feiere noch schön." Charlotte hielt mein Ärmel fest. "Ihr seid noch da, oder?" Die nicht zu Ende formulierte frage war leise, nur an mich gerichtet. "Wir haben es dir doch versprochen, meine Kleine." Mein Blick flog kurz zu Magnus, seine Augen waren weit weg. Was war nur mit ihm los?

Der WegWhere stories live. Discover now