15fünfzehn

631 62 14
                                    

Die letzten Stunden haben mein Gefühlsleben vollends durcheinander gewirbelt. Mit Fero zusammen zu sein, seine Nähe zu spüren und die kleinen liebevollen Gesten zwischendurch haben mir wahnsinnig gut getan.

Am liebsten hätte ich ihn gebeten, nicht zu gehen. Ich hätte Talea angerufen und ihr abgesagt, hätte mein Handy ausgeschaltet und den ganzen Abend kuschelnd mit Fero auf der Couch verbracht.

Scheiß auf Feiern, scheiß auf den Geburtstag, scheiß auf Alkohol - mir ist das gerade alles egal. Sogar die Freiheit, die ich meinte zu brauchen, interessiert mich gerade nicht mehr.

Ich hadere noch eine gute Stunde mit mir. Ich habe einfach keine Lust unter Leute zu gehen, aber alleine zuhause zu sitzen und mich meinem Gefühlschaos hinzugeben scheint mir auch keine adäquate Lösung zu sein.

Deshalb gehe ich duschen, rasiere mich und wasche meine Haare. Ich bin noch im Bademantel als Talea vor der Tür steht.

"Geiles Outfit, so geht das Ausziehen besonders schnell, wenn du dir einen heißen Typen aufreißt", kommentiert die Blondine grinsend meinen Aufzug.

Ich verdrehe genervt die Augen. Das ist genau das, was ich für den Abend geplant habe. Sie versteht meine Situation einfach überhaupt nicht. Wird sie jemals ernsthafte Gefühle für einen Typen haben und mit ihm sesshaft werden? Ich kann mir das echt nicht vorstellen.

Im Gegensatz zu mir ist Talea zwar schon in ihrem Party-Outfit, einem hautengen ziemlich kurzen roten Kleid und verdammt hohen beigen Highheels, doch auch sie ist noch nicht geschminkt.

Aber frei nach dem Motto "First things first" öffnet sie erstmal die von ihr mitgebrachte Flasche Vodka und verteilt einen großzügigen Schluck in zwei Gläser. Den Rest füllt sie mit Cola auf, die sie aus unserem Kühlschrank holt.

"Prost, mein Schatz, auf uns", sagt sie grinsend und stößt ihr Glas gegen meins.

Ich begebe mich zu meinem Kleiderschrank und entscheide mich nach mehrmaligem Umziehen für eine weiße High Waist Jeans mit zerissenen Knien und eine weiße Corsage mit Herzausschnitt und floralem Muster. Meine schwarzen langen Haare lasse ich einfach glatt über meine Schultern hängen und mein Gesicht schminke ich mit einem ausladenden Eyelinerstrich, dramatischen Fake Lashes und farblosem Gloss.

Zufrieden betrachte ich mich im Spiegel. So kann ich mich defintiv blicken lassen, auch wenn mein Lächeln heute so fake ist wie meine Wimpern.

Talea und ich haben mittlerweile die halbe Flasche Vodka zu zweit geleert und der Alkohol breitet eine angenehme Wärme wie ein dunkles Samttuch über meinen Schmerz aus.

"Wann willst du los?", frage ich meine beste Freundin und lege meinen Kopf schief. "Jetzt gleich, oder? Wir brauchen schließlich Nachschub", erklärt sie grinsend und deutet mit ihren langen weißen Gelnägeln auf die sich immer weiter leerende Schnapsflasche.

"Wenn wir in dem Tempo weiter machen sind wir um Mitternacht sternhagelvoll", prophezeie ich.

"Und genau das ist der Plan", erklärt sie und zwinkert mir zu.

Wir beseitigen grob unsere Spuren, räumen die Gläser und unsere Schminkutensilien weg, sprühen uns ein letztes Mal mit Parfum ein und ziehen den Lippenstift nach, bevor ich ausgelassen die Wohnungstür hinter uns ins Schloss ziehe.

Gentian, bei dem die Party stattfindet, wohnt nur etwa drei Kilometer von mir entfernt, doch aufgrund unserer Absatzhöhe in Kombination mit unserem Alkoholpegel entscheiden wir uns dazu ein paar Stationen mit der Bahn zu fahren.

Bereits von der Haltestelle aus hört man laute Musik aus dem kleinen Einfamilienhäuschen dröhnen. Gentians Eltern verbringen den Sommer in Mazedonien und so hat er ihr Zuhause offenbar kurzerhand anlässlich seines Geburtstags zur Disco umfunktioniert.

Talea drückt entschieden auf die Klingel und schiebt sich schnell herein, als irgendjemand die Haustür öffnet. Ich folge ihr und knalle plötzlich unsanft gegen sie, weil sie abrupt stehen bleibt.

Aufgeregt fährt sie zu mir herum.

"Fuck! Luana, raste jetzt nicht aus, okay?"

Alarmiert starre ich sie an. "Was ist?", frage ich mit Panik in der Stimme und blankem Entsetzen in den Augen.

"Fero ist hier", zischt sie mir zu und greift nach meiner Hand.

"Ja und? Was macht er? Macht er mit 'ner anderen rum?", frage ich hektisch und versuche an ihr vorbei zu sehen.

"Nein, aber ihr habt euch doch getrennt", erklärt sie mit Nachdruck und sieht mir tief in die Augen, aber in meinem Vodkahirn sehe ich ihr Problem nicht. "Ja, haben wir, aber wir verstehen uns trotzdem gut", erkläre ich und schiebe sie energisch weiter.

Je weiter wir durch den engen Flur in den vollen Wohnbereich gelangen, desto mehr bekannte Gesichter entdecke ich und am Ende des Flures dann tatsächlich auch Fero.

Er steht am Ende des Raumes mit einem Becher in der Hand und unterhält sich angeregt mit einem jungen Mann, den ich noch nie gesehen habe. Fero trägt ein schwarzes Shirt und eine schwarz-weiß karierte Hemdjacke, eine dunkle zerissene Jeans, schwarze Sneakers und eine farblich passende Snapback.

Unwillkürlich schleicht sich ein Lächeln auf meine Lippen und ich muss mich zusammenreißen, nicht einfach zum ihm zu laufen, denn ich weiß nicht, ob das okay für ihn wäre. Wir waren uns zwar heute Nachmittag wieder sehr nah, aber ich darf nicht vergessen, dass wir getrennt sind.

Talea greift nach meiner Hand und reißt mich aus meinen Gedanken. "Starr ihn doch nicht so an", fährt sie mich an. "Komm, wir holen uns erstmal was zu trinken."

Ich halte das für einen guten Vorschlag und folge ihr in die offene Küche. Wie selbstverständlich bedient sich die schlanke Blondine am Kühlschrank und gießt uns beiden erst Vodka und dann Orangensaft in zwei rote Pappbecher.

Wir stoßen an und leeren die Becher in einem Zug. Zufrieden grinsend füllt Talea sie wieder auf. Ich lasse meinen Blick rüber zum Wohnbereich gleiten, bis meine Augen wieder an Fero kleben bleiben. Ich beobachte ihn, studiere sein lachendes Gesicht, sauge das Funkeln seiner Augen in mich auf.

Ich fühle mich wie ein Junkie auf Entzug.

Wieder ermahnt Talea mich: "Luana, hör' auf jetzt!" Ich weiß genau was sie meint und wende meinen Blick schuldbewusst von dem schönsten Mann in diesem Raum ab.

"Lass uns Tanzen", beschließe ich und ziehe sie mit durch den Raum.

Vier WorteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt