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"Dies ist der letzte Aufruf zum Flug nach Athen. Begeben Sie sich nun bitte zum Boarding, falls Sie dies noch nicht getan haben."

Ich drehe mich prüfend zur immer kürzer werdenden Schlange um, dann wende ich mich scherzend wieder meinem Handy zu. "Ich denke ich sollte jetzt wirklich besser gehen, das Flugzeug wartet nicht auf mich." Der blauäugige junge Mann nickt, ein belustigtes Lächeln auf seinen Lippen. "Tu das, es wäre schließlich jammerschade wenn du erst morgen mit deinem Lover am Strand faulenzen kannst, nicht schon heute Mittag." Mahnend blicke ich ihn an. "Er ist immer noch nicht mein Lover, also halt die Klappe." Verschmitzt zwinkert er mir zu. "Genau, noch nicht."

Genervt verdrehe ich meine Augen, erhebe mich von der Bank, die ich in der letzten halben Stunde als meine beansprucht habe, und geselle mich zu den letzten vier Menschen, mit denen ich mich bald im Flugzeug befinden werde. "Also, ich mach jetzt Schluss, ich schreib dir wenn ich angekommen bin." "Oh warte kurz, die da hinten sieht gut aus. Dreh dich nochmal ein bisschen nach links, dann kann ich sie besser sehen." Verwundert blicke ich den Jungen an. Hält er über mein Handy gerade wirklich Ausschau nach potentiellen Kandidatinnen, die sein Single-Dasein beenden könnten? Während ich mich von ihm verabschiede? Ich glaubs nicht. Als er meinen verdatterten Blick sieht, prustet er los. "Just kidding. Ich wünsche dir natürlich einen guten Flug und viel Spaß mit deinem Lover." "Oh mein Gott.", stöhne ich auf und bin kurz davor einfach aufzulegen. "Okay, ernsthaft, komm gut an, ich hab dich lieb." Ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen. "Danke, ich hab dich auch lieb, Bruderherz." Mit einem letzten Winken verabschiedet sich Dani von mir, dann lege ich auf und widme mich der Dame, die ein letztes Mal mein Ticket überprüft.

Obwohl man meinen sollte, dass ich mich inzwischen ans Fliegen gewöhnt habe, steigt in mir immer wieder ein freudig kribbelndes Gefühl auf wenn meine Füße den kleinen Spalt zwischen Treppe und Flugzeugtür überwinden. Damit lasse ich die vergangenen Tage und Wochen hinter mir und stürze mich in ein neues Abenteuer. Diese Freude am Reisen habe ich an mir erst in den letzten 8 Monaten entdeckt, als ich nach meinem spontanen Weihnachts-Trip nach Hawaii noch nicht genug hatte und spontan entschieden habe, eine Auszeit zu nehmen und weiter nach Mexiko zu reisen. Doch auch nach dieser Reise war ich noch nicht dazu bereit, mich wieder meinem Alltag zu stellen. Stattdessen ging es weiter nach Costa Rica, Peru, Brasilien und schließlich musste ich mich entscheiden: Kehre ich nach Hause zurück und mache mir dort Gedanken über meine berufliche Zukunft, oder setze ich mein Abenteuer fort und wage mich sogar über die amerikanischen Grenzen hinaus? Nach langem Überlegen fand ich mich erst mal zu Hause wieder, doch das hielt nicht lange an, denn tatsächlich war ich nur zurückgekehrt um das restliche Jahr zu planen und Organisatorisches zu erledigen, wie zum Beispiel den ganzen Papierkram abzuarbeiten, der anfällt wenn man Amerika verlässt. Obwohl ich gar nicht aktiv nach einem Reise-Partner gesucht habe, hat es sich nach kurzer Zeit ergeben, dass Peter, der wie ich auch viel gereist ist, mich auf meiner Europa-Reise begleitet. Denn dadurch, dass wir nach meiner Abreise aus Los Angeles weiterhin Kontakt hatten, haben wir uns immer wieder über unsere Reisen ausgetauscht und letztendlich beschlossen, die Europa-Reise gemeinsam anzugehen. Zuerst ging es nach Island – wir beide wollten unbedingt Polarlichter sehen. Danach haben wir einige Zeit in Großbritannien verbracht– von schottischen Highlands (inklusive Fahrt im Hogwarts Express, das musste einfach sein) bis zur englischen Hauptstadt London. Selbst diese Erlebnisse hätten eigentlich gereicht um meine Reiselust zu stillen, doch das war noch längst nicht alles. Inzwischen haben wir schon deutsche Brezeln gegessen, waren in den Alpen auf zahlreichen Wander-Trips, sind in wackeligen Kanus durch die französische Verdonschlucht gekurvt, haben uns in einem parisischem Café durch das gesamte Macaron-Sortiment durchprobiert, haben die Plitvicer Seen umrundet, sind durch Venedigs enge Gassen flaniert, waren in Roms berühmtem Kolosseum, lagen in Portugal stundenlang am Strand, und noch viel mehr. Sogar zu ein paar Tagen auf einer Pferdefinca in Andalusien konnte ich Peter überreden.

Tja und hier bin ich nun, in einem Flugzeug nach Griechenland auf dem Weg ins nächste Abenteuer.

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Sobald ich aus der kleinen Flugzeugtür heraustrete schließe ich für einen kurzen Moment meine Augen und recke mein Gesicht der heißen Mittagssonne entgegen. Das ist inzwischen schon zu einem Ritual geworden. Ich warte im Flugzeug immer auf meinem Platz bis alle anderen ausgestiegen sind und verlasse erst dann die Maschine um keinen aufzuhalten wenn ich das Gefühl des neuen Ortes in mich aufnehme. Denn wenn man genau hin spürt fühlt sich jedes Land anders an. Andere Geräusche, andere Luft, andere Menschen, andere Stimmung. Deswegen ist das erste was ich tue wenn ich zum ersten Mal aus dem Flugzeug trete, innezuhalten, die Augen zu schließen und das Gefühl dieses Landes wahrzunehmen. Erst dann bin ich bereit, mich ins nächste Abenteuer zu stürzen.

Nach einem Moment öffne ich meine Augen lächelnd wieder und begebe mich auf den Weg zum Flughafengebäude.

𝐈 𝐡𝐚𝐭𝐞 𝐭𝐡𝐚𝐭 𝐈 𝐥𝐨𝐯𝐞 𝐲𝐨𝐮 || 𝐖𝐡𝐲 𝐃𝐨𝐧'𝐭 𝐖𝐞 𝐅𝐅Donde viven las historias. Descúbrelo ahora