Kapitel 25

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Noah's POV

Nach dem Anruf von Kim's Mutter bin ich wie erstarrt. So fühle ich micIh zumindest, aber meine Finger, meine Hand, mein ganzer Körper zittert, als ich auflege.
"Was ist?", fragt meine Mutter, und als ich mich umdrehe und sie meinen Gesichtsausdruck sieht, verschwindet auch aus ihrem Gesicht alle Farbe.
Aber ich kann nicht antworten, dazu stehe ich zu sehr unter Schock. Ich begreife ja selbst kaum, was ich gerade gehört habe. Zudem stellt sich mir die Frage warum ihre Mutter mich überhaupt Angerufen hat. Die Vorstellung ist absurd. Halt, nicht die Vorstellung, sondern das sie es tatsächlich getan hat. Dabei habe ich seit sie mich das letzte Mal angeschrien hat (- das tut sie eigentlich immer, wenn wir uns begegnen), sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Aber das spielt jetzt keine Rolle.
Kim liegt im Krankenhaus. Notaufnahme. Das ist alles was ihre Mutter mir sagen konnte, bezihungsweise was ich zwischen den Schluchzern und Tränen verstanden habe.
Trotz, dass sie mich eigentlich hast, habe ich sie jetzt schon zum zweiten Mal weinend erlebt.
Beide Male verängstigt.
"Noah, wer war das?"
Meine Mutter legt das Geschirr weg und kommt um den Tisch herum zu mir. Dann legt sie eine Hand auf meine Schulter.
Langsam löse ich mich aus meiner inneren Starre. Ich wende mich ihr zu.
"Kim liegt im Krankenhaus."
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Mit langen Schritten betrete ich das Krankenhaus. Im Wartezimmer kommt Kim's Mutter direkt auf mich zu. Sie ist ungeschminkt, ihre Augen vom weinen geschwollen. Ausnahmsweise kommt sie mir in dieser ungewöhnlichen Situation normal war. Meschlicher. Nicht so herrisch wie sonst. Dazu kommt noch, dass sie mich direkt in ihre Arme zieht. Tränen tropfen auf mein T-Shirt. Über ihre Schulter hinweg erblicke ich Leo, Kim's kleinen Bruder. Er sitzt in einer der vielen unbequemen, kalten Stuhlreihen aus weiß lackiertem Metall. Ich lege die Arme um seine Mom. Leo sieht nicht auf. Er starrt sturr geradeaus. Durch alles hindurch. Seine Gedanken weit weg davon erlesen zu werden. Er blinzelt nicht. Seine Ellbogen stützen sich auf seine Knie, die eine Hand erfasst die andere. Er tut mir leid.

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Sie schildert mir was passiert ist. Zu mindest einen Teil davon. Dass sie mit ihr über ihre Veränderungen reden wollte. Das wollte ich ich auch, hatte aber nie die Chance. Ich vermisse sie so sehr. Vielleicht habe ich mich bloß nicht genug angestrengt, zu lange den Abstand gewahrt. Hätte ihn ganz weg lassen sollen. Ich hätte sie einfach in meine Arme nehmen sollen. Das erste Mal, dass ich sie sah. Und vor allem schützen. Der ganzen Welt. Sodass ihr nie wieder jemand weh tun könnte.
Wie sie sie gefunden hat. Blutüberströmt. Blut auf ihrem Arm, ihrer Hose, ihrem Tshirt. Blut auf dem Fußboden, auf dem Stuhl auf dem Tisch. Blut an ihrer Mutter als sie sie zu sich zog. Blut auf dem Telefon mit dem sie dem Notarzt rief.
Und Blut and er Klinge mit der sie sich schnitt. Fünf weitere lagen auf dem Tisch, fein säuberlich angereiht. Das Licht, dass durch die Fenster fiel, refektierte an die Wand.
Kim lag auf dem Boden und als ihre Mutter reinkam verlor sie das Bewusstsein und schloss die Augen.
Gott, Kim, was hast du dir nur dabei gedacht? Ich fahre mir durch meine Haare.
Sie hat das schon länger gamacht. Ich habe nichts davon mitbekommen. Wieso nur? Wieso war ich so blind? All diese Momente kommen mir wieder vor Augen.
Kim mit langärmligen Sweatshirts und Hemden, obwohl es heiß ist.
Kim in meiner Lederjacke, die zusammenzuckt, als ich ihre  Arme zum ersten Mal bewustt berührt habe.
Sie ist gegangen als ich sie ihr abstreifen wollte.
Sie hat sich einsam gefühlt, obwohl  sie unter Menschen war. Wie der Mond unter den vielen Sternen.
Ich wusste, dass Kim sich anders fühlt. Sie war ja auch anders. Kim war, IST was Besonderes.
Ich hätte sie nicht allein lassen sollen. Es kommt mir vor wie der größte Fehler meines Lebens.
Das passiert mir nicht wieder. Wenn sie mich überhaupt noch sehen will. Der Moment in dem sie betrunken war kommt mir wieder vor Augen. In mir zieht sich alles zusammen, sie wollte unbedingt zu Luis. Ich weiß, dass ich ihm schreiben sollte, aber etwas sträubt sich in mir.
Die Eifersucht.
Ich will diesmal für sie da sein, und ihr helfen. Ob Luis es weiß?
Wieso hat sie es mir nicht erzählt? Wieso tut sie sich das überhaupt an? Ich stelle mir ihren Körper vor, voller Narben. Wie sie weint, als sie die Klinge über ihre Haut zieht.
Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Das hat sie nicht verdient.
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Nach gefühlten Jahren kommt die Ärztin. Dr. Sahlmann. Sie ist klein, schmal und hat blondgefärbte Haare, die sie zu einem Zopf gebunden hat. Ende 30, schätze ich.
"Graves?", fragt sie mit einem aufgesetzten Lächeln, als sie uns ansieht.
Kim's Mutter nickt und wischt sich die letzten Tränen aus dem Gesicht.
"Ihre Tochter hat eineinhalb Liter Blut verloren. Wir mussten ihren Arm an mehreren Stellen nähen, mit mehreren Stichen."
Geschockt blicke ich zu Mrs. Graves hinüber. Diese ist wahrscheinlich genauso blass wie ich. Sie nickt erneut.
"Genauer an vier Stellen. Die Schnitte waren tief, Frau Graves. Es waren nicht die einzigen, aber die andreren waren kleiner." Sie zögert kurz bevor sie erneut ansetzt. Diesmal ist ihre Stimme behutsamer. Als ob es das weniger schlimm macht.
" Ihre ganzen Arme sind voller Narben, ich vermute ihr der Rest von ihrem Körper auch. Das hätte eng werden können."
Erneut stoppt sie. Die Augen von Kim's Mom sind wieder wässrig. Ich schaue zu dem Platz auf dem vorhin noch Leo saß. Er hat sich auf die andere Seite gesetzt und hält einen Kakaobecher in den Händen, den er noch nicht angerührt hat. Er sieht immer noch traumatisiert aus.
"Im Moment ist sie noch bewusstlos. Sie wird wahrscheinlich in ein paar Stunden kurz wach und dann verwirrt sein, wenn sie wollen können sie solange noch bleiben um sie etwas zu beruhigen. Es wird ihr gut tun jemand Vertrautes zu sehen, wenn sie aufwacht. " Dann blickt sie mich an :" Allerdings sollte es vorerst nur eine Person sein. Das wird sonst zu viel für sie." Sie wirft mir einen mitleidigen Blick zu, bevor sie sich wieder an Kim's Mom wendet. Warum hat Kim das nur getan? Ich spüre wie nun auch meine Augen wässrig werden.
"Danach würde ich Sie bitten zu gehen, denn ihre Tochter benötigt wirklich Ruhe, weswegen wir sie noch drei Tage hierbehalten werden. Ich gehe davon aus, dass sie viel schlafen wird, dann kommt sie in die geschlossene Abteilung. Wir werden Sie dann auch nocheinmal anrufen. Ich kann Ihnen jetzt schon mitteilen, dass wir ihr einen von unseren Therapeuten zur Verfügung stellen, aber ich rate Ihnen dringend mit ihm oder einem anderen eine richtige Therapie anzufangen, zu der sie teilweise auch zusammen hingehen sollten."
Kim's Mutter hat während des ganzen Gespräch's nur auf den Boden geschaut und genickt.
"Haben Sie noch Fragen?", wieder dieses aufgesetzte Lächeln. Als würde es sie kümmern. Für sie ist Kim nur irgendeine Patientin. Es kümmert sie einen Scheiß' was weiterhin mit ihr geschieht oder ob ihre Mutter noch Fragen hat. Diese schaut nun endlich auf: "Kann ich jetzt zu ihr?"
Die Ärztin nickt und wendet sich zum Gehen, während sie ihr stumm mitteilt ihr zu folgen.
Kim's Mutter blickt mich an: " Bringst du bitte Leo nach Hause?"
Ihre Augen flehen förmlich, in der Hand hält sie mir ihren Haustürschlüssel hin. Kann ich das wirklich tun? Ich will auch zu Kim. Ich muss sie sehen. Allerdings kann ich ihrer Mutter es nicht abschlagen. Ich bin froh, dass sie mich überhaupt informiert hat. Also nehme ich schweigend den Schlüssel.
"Danke", haucht sie und geht zu Leo um sich mit einem Kuss zu verabschieden.
Er steht auf und kommt mit ausdruckslosem Gesicht zu mir rüber.
"Also Kleiner, geh'n wir?"
Er reagiert überhaupt nicht.
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CUTWhere stories live. Discover now