Kapitel 32

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„Und dann ist er einfach so abgehauen?", fragte mich Sina mit großen Augen. Ich nickte stumm während ich einen großen Schluck meines Cappuccinos in unserem Stammcafé nahm. Die restliche Zeit in Wien und Rückreise nach Berlin verging schweigsam und angespannt. Raphael war irgendwann, als ich schon tief und fest schlummerte zurückgekommen in unser Zimmer. Der Flug zog sich wie Kaugummi und das einzige was ich wollte war, einfach nur noch in meinen eigenen vier Wänden anzukommen. Deshalb bestand ich darauf, dass mein Freund mich zu mir nach Hause fuhr. Er seufzte kurz genervt, machte jedoch keine Anstalten mich doch noch mit zu sich zu schleppen, was ich ohnehin abgeblockt hätte.

„Wahnsinn, aber glaub mir, wenn dem das nicht so nahe gegangen wäre, wäre er nicht so ausgetickt."

„Er will es mir ja nicht erzählen und flippt stattdessen lieber aus. Ich bin so enttäuscht von ihm, wirklich. Ich meinte zu ihm nur, dass er sich etwas Zeit nehmen soll, um darüber nachzudenken. Ich frage mich wie das alles werden soll, wenn er nicht mehr in Berlin ist. Wenn das jetzt schon so eskaliert..." erwiderte ich betrübt. „Ich... ich habe einfach das Gefühl nicht mehr auszureichen, ich weiß nicht, ob seine Gefühle stark genug sind, ich bin wirklich so durcheinander", merkte ich schließlich seufzend an.

„Ich weiß, dass ist leicht gesagt, aber versuch dir nicht so den Kopf darüber zu zerbrechen. Und er meinte ja er bleibt nur über ein paar Monate in Barca. Das wird schon. Ich denke Raphael muss sich erstmal über einiges klar werden. Und dass du so fühlst ist meiner Meinung nach völlig normal. Vielleicht tut der Abstand jetzt erstmal ganz gut. Wie fandst du denn überhaupt Wien? Und was gibt's denn sonst so Neues?"

„Wien ist toll. Muss man wirklich mal gesehen haben. Seine Familie war auch total lieb und herzlich. Und ansonsten nicht viel, außer dass ich noch ein paar Wochen meine Ferien genieße und überlege, bald zu meinen Eltern nach München zu fahren, um sie endlich mal zu besuchen. Und bei dir?"

„Ich habe neulich die Station gewechselt, bin jetzt in der Neurochirurgie eingesetzt worden. Auch wenn es nur ein Stationswechsel ist, ist es eine große Umstellung für mich. Ich denke es braucht noch ein paar Wochen bis ich mich richtig auskenne auf der Station. Alles Gewöhnungssache. Und ansonsten läuft alles super, ich habe ich ein paar nette Assistenzärzte kennengelernt", entgegnete Sina mit einem frechen Grinsen, während sie ihre makellosen Augenbrauen hoch und runter bewegte.

„Also potenzielles Material dabei?", fragte ich meine Freundin hoffnungsvoll.

„Ich zeig dir mal ein Bild...", entgegnete sie fröhlich und zückte ihr Smartphone aus der Tasche.

Nachdem ich Sina nach Hause gefahren hatte, fuhr ich schließlich auch nach Hause und erledigte sämtlichen Haushalt. Erschöpft warf ich mich auf meine Couch. Ich las einiges, kochte mir etwas, schaute Serien. Ich wollte mich ablenken, jedoch erwischte ich mich immer wieder dabei, wie meine Gedanken zu Raphael abdrifteten. Insgeheim machte es mich sogar wahnsinnig nicht zu wissen, wo er war, was er tat. Wahrscheinlich hatte er sich wie immer mit vollem Einsatz in die Arbeit gestürzt.

Schweren Herzens sah ich ein, dass es tatsächlich still um mich herum geworden war. Ich war unzufrieden, obwohl ich eigentlich gerne alleine war. Aber schlimmer war wohl, dass mein Freund und ich unsere Diskussion nicht mal mehr beenden konnten. Wir hatten uns gestritten, hatten es aber tatsächlich nicht geschafft uns auszusprechen, geschweige denn unsere Auseinandersetzung fortzuführen. Die ganze Situation nagte an mir, ich ermahnte mich nicht so viel darüber nachzudenken, jedoch vergebens. Stattdessen beschäftigte mich immer wieder die Frage, ob ich Raphael nicht genug bin oder ob ich diejenige war, die das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Irgendwie plagte mich ein schlechtes Gewissen, jedoch war ich zu stolz und zu stur, um zu handeln.

Nachdem ich meine Mutter am Telefon über die aktuelle Lage informiert hatte, buchte ich kurzerhand ein Bahnticket nach München. Nach einer ungefähr fünfstündigen Fahrt mit dem Zug, kam ich ausgelaugt am Abend in München an. Vor allem meine Mutter empfing mich mit Freudentränen, zog mich in eine feste Umarmung. Ihr bekannter Duft stieg mir sofort in die Nase, sie roch einfach wie zuhause. Ich versuchte die Zeit in München weitestgehend zu genießen, traf mich mit meiner Cousine Hana und mit meiner alten Schulfreundin Emily, welche schon verheiratet war und ein kleines Baby bekommen hatte. Vier Tage verbrachte ich in München und Raphael hatte sich kein einziges Mal gemeldet. Hier und da schnappte ich ein paar Instagram Stories auf, indem er filmte, wie produktiv er im Studio war. In einigen kam John natürlich auch vor, dieser befand sich schließlich in einer anstrengenden Promo-Phase für sein Soloalbum. Als ich am nächsten Morgen verschlafen aufwachte, warf ich einen kurzen Blick auf mein Smartphone und öffnete WhatsApp.

R.: Können wir endlich reden?

C.: Ich bin nicht in Berlin.

R.: Wo bist du und warum weiß ich nichts davon?

C.: Hast du nachgefragt? Ich bin nach München gefahren vor ein paar Tagen.

R.: Wann bist du wieder in Berlin?

C.: Übermorgen Abend

R.: Ich hole dich vom Bahnhof ab. Schreib mir bitte wann du genau ankommst

C.: 22 Uhr


Überraschenderweise hatte mein Freund den ersten Schritt gemacht, aber viel mehr hörte ich nicht von Raphael.

Die verbliebene Zeit verbrachte ich mit meinen Liebsten. Wer weiß, wann ich sie wiedersehen würde. In meinem Lieblingslokal am Marienplatz angekommen, bestellte ich mir eine große Portion Kaiserschmarrn, während sich meiner Mutter eher zurückhielt und sich irgendein Fitnessmüsli bestellte.

„Chiara, du bist immer noch so nachdenklich, ist es wieder wegen ihm? Freust du dich denn nicht ein bisschen, hier bei uns zu sein?", fragte meine Mutter besorgt. Ich hatte sie etwas eingeweiht in die Thematik, ihr ein paar Bilder von mir und Raphael auf Gias Verlobungsfeier gezeigt.

„Nein, natürlich bin ich froh hier zu sein Mama, ich bitte dich. Es ist nur... es beschäftigt mich einfach" gab ich offen zu. „Mehr als mir lieb ist", fügte ich verzweifelt hinzu.

„Sprecht euch unbedingt aus, sobald du morgen dort angekommen bist", entgegnete sie sanft. „Ich wünsche euch doch nur das Beste, mein Engel. Dich so zu sehen macht mich auch traurig, das weißt du auch" sagte sie fürsorglich und drückte meine Hand.

Die Fahrt nach Berlin verging schneller als ich gucken konnte. Ich hatte etwas geschlafen im Zug, dennoch war ich relativ geschafft. Um die späte Uhrzeit war nicht viel los am Berliner Bahnhof, sodass ich ohne Verzug zum Ausgang fand. Von Weitem erkannte ich Raphaels Audi und ging langsam auf das Auto zu. Ein komisches Gefühl breitete sich in mir aus. Als Raphael mich sah drückte er seine Kippe aus und sah mich ebenfalls unsicher an. Etwas unbeholfen zog er mich dennoch in eine kurze, distanzierte Umarmung. Als er sich löste sah er mich erwartungsvoll an.

„Fahren wir zu mir?"

Heute mal ein "relativ" entspanntes Kapitel. Bitte hasst mich nicht 😁 Ich hoffe, ich spanne euch nicht allzu sehr auf die Folter, aber im nächsten Kapitel kommt es dann, wie ihr euch wahrscheinlich denken könnt, definitiv zur Aussprache zwischen den beiden! Wie findet ihr, dass Raf den ersten Schritt gemacht hat?

Riesen Dankeschön für alle eure Votes, Kommentare und Nachrichten 💘

amore mio | RAF CamoraWhere stories live. Discover now