4 | Nächtlicher Besuch

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Müde öffne ich meine Augen und sehe mich verwirrt in meinem Zimmer um, um die Ursache des Lärms, der mich scheinbar geweckt hat, ausfindig zu machen. Jedoch kann ich aufgrund der Dunkelheit, die im Zimmer herrscht, nichts erkennen. Es ist nur das regelmäßige Ticken der Uhr an der Wand gegenüber zu hören, jedoch hätte ich schwören können, dass etwas runtergefallen ist und schließlich laut geklirrt hat.

Schnell verwerfe ich diesen Gedanken wieder und schiebe es auf einen Alptraum oder pure Einbildung. Was hätte denn runterfallen können? Immerhin bin ich alleine zuhause und besitze auch sonst keine Haustiere, die etwas umwerfen hätten können. Andererseits ist heute Halloween und es gibt bestimmt einige Leute, die auch nachts Krach machen. Vielleicht ist jemand von denen einfach an meinem Haus vorbeigelaufen? Ich persönlich halte nicht viel von diesem Tag und habe mir einfach einen gemütlichen Abend gemacht, woraufhin ich eingeschlafen bin. Man macht sich immer die Mühe, sich zu verkleiden, nur um ein paar gammelige Süßigkeiten zu bekommen, die jahrelang bei den Leuten zuhause rumlagen.

Gähnend werfe ich einen Blick auf die neongrünen Zahlen des Weckers auf dem Nachttisch, die geradezu aus der Dunkelheit herausstechen. Es ist kurz vor Mitternacht. Ohne mir weiter Gedanken darüber zu machen, kuschele ich mich wieder in meine warme Decke ein und bin kurz davor, wieder in den Schlaf zu gleiten. Jedoch sagt mir mein Gefühl, dass etwas gewaltig nicht stimmt. Trotz meiner dicken Decke wird es eisig kalt, sodass sich eine Gänsehaut bildet und ich unwillkürlich etwas zittern muss.

Da die Kälte mich am Schlafen hindert, setze ich mich langsam auf und lasse meinen Blick nochmals durch das ganze Zimmer schweifen. Doch statt die mir bekannten Schatten des Mobiliars, die ich erwartet hatte, erschrecke ich mich, als meine Augen plötzlich in die einer Person blicken. Schnell ist die Kälte vergessen, die das ursprüngliche Problem war und Angst macht sich in jeder Pore meines Körpers breit. Man kann nicht genau erkennen, um wen es sich handelt. Jedoch sind die blutroten Augen, die mich unentwegt anstarren, kaum zu übersehen. Es wirkt, als könnten sie tief in mein Innerstes blicken. Am liebsten würde ich laut losschreien, um möglicherweise die Aufmerksamkeit der Nachbarn auf mich zu ziehen. Jedoch sitze ich nur wie festgefroren da und kann vor Schock keinen einzigen Muskel rühren. Es ist, als wäre ich im Bett festgewachsen.

Als ich endlich verstanden habe, dass die rubinroten Augen real und kein Produkt meiner Fantasie sind, die mich nach wie vor gründlich mustern, schaffe ich es, mich aus der Starre zu lösen und strecke meine Hand vorsichtig nach dem Lichtschalter aus. Dabei achte ich genau darauf, dass die mysteriösen Augen nicht von der Stelle verschwinden, sodass ich meinen Nachttisch erst einmal nach der Lampe abtasten muss. Endlich finde ich den Schalter und atme erleichtert auf, woraufhin ich den gesamten Raum mit spärlichem Licht erhelle.

Die Augen gehören einer jungen Frau, die unverfroren vor meinem Bett steht und mich immer noch anstarrt. Als ich diese identifiziere, kann ich regelrecht spüren, wie sich mein Magen verkrampft und meine Atmung sich verschnellert. Die Frau trägt ein dunkelblaues Kleid, welches an einigen Stellen zerrissen ist. Riesige rote Flecken schmücken das Kleid sowie ihre blasse Haut. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass es sich hierbei um Blut handelt. Das meiste davon ist angetrocknet und teilweise schon braun, sodass man sagen kann, dass dieses etwas älter ist. Jedoch sind auch deutlich frischere Flecken dabei, die größtenteils den grinsenden Mund der jungen Frau zieren. Verwirrt und verängstigt betrachte ich schließlich schwarze Flügel an ihrem Rücken, die ziemlich ungesund halb am Boden liegen und unzählige Risse haben, was ziemlich schmerzhaft aussieht. Kaum zu glauben, dass ich fast Mitleid für die Gestalt gezeigt hätte, die in mein Zimmer eingebrochen ist. Dabei handelt es sich höchstwahrscheinlich sowieso nur um ein sehr realistisches Halloweenkostüm. Jedoch ist die Sache, die mir am meisten Sorgen bereitet, eine Brechzange, die sie mit einer Hand fest umschlossen hält, sodass ihre Knöchel schon weiß hervorstechen. Als die Frau meinen ängstlichen Blick sieht, vergrößert sich ihr psychopathisches Grinsen, sodass man ihre Zähne erkennt, die neben dem dunklen Blut strahlend weiß erscheinen. Mein Herz schlägt immer schneller, als sie einige Schritte näher kommt, und droht mir aus der Brust zu springen. Als ich mich nach einem Fluchtweg umsehe, stelle ich fest, dass es keine Möglichkeit gibt, ihr zu entkommen, da sie die Tür und somit den einzigen Ausweg verdeckt.

„Du hast dich gut um deine Zähne gekümmert", meint sie kichernd und hebt schließlich stolz die Zange an. „Alle Anderen haben wieder haufenweise Süßes gegessen", fährt die Frau fort, wobei sie schon etwas enttäuscht klingt. Als sie noch einen Schritt näher kommt, weiche ich alarmiert zurück, soweit es in dem Bett möglich ist. Jedoch verringert die kostümierte Fee schnell den Abstand und führt ihre Hand mit der Zange wieder in meine Richtung. Deshalb versuche ich panisch aufzustehen, bleibe dabei jedoch mit meinem Fuß an der Decke hängen. „Nicht so schnell", erwidert die Frau tadelnd. „Deine schönen Zähne brauche ich noch in meiner Zahnsammlung."

Da bekommt der Begriff Zahnfee gleich eine ganz andere Bedeutung.

Trick or TreatWhere stories live. Discover now