62 - Lebenszeichen

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Starr blickte ich auf meine Hände herab.
Ein Gewicht lastete auf ihnen.
Wie ein Mörder fühlte ich mich, obwohl ich niemanden umgebracht hatte.
Nach den Schießübungen machten wir eine kurze Pause. Mich zusammenreißend, hatte ich die grausame Übung hinter mir gebracht. Stolz war ich auf mich schon, da ich über mein Schatten gesprungen war. Nur meinem Herzen ging es nicht gut. Ich fühlt ein Drücken an meiner Brust. Und ich war total aufgedreht. Adrenalin floss durch meine Venen.
Der Nieselregen hatte immer noch nicht aufgehört.
Devran telefonierte etwas weiter entfernt von mir und rauchte dabei. Von seinem Gesichtsausdruck bemerkte ich, dass etwas nicht gut lief. Mir selbst ging es auch nicht besser, denn mein Kopf war bei Umut geblieben. Meinem besten Freund musste ich helfen, aber ich wusste nicht wie. Ein harmloser Auftrag hatte ihn in eine Sackgasse geführt.

„Alles in Ordnung?", tauchte Serkan neben mir auf und spannte einen Regenschirm über mich auf. Ich bedankte mich und ließ die Frage unbeantwortet.
„Warum tut mir das Devran an?", versuchte ich zu verstehen.
„Weil er an dich denkt."
„An mich?", sprach ich vorwurfsvoll aus.
„Ich weiß, dass du nichts von Waffen hältst, aber Devran Abi denkt wirklich nur an dich. Was, wenn dir etwas zustoßen könnte, während er nicht bei dir ist? Du musst dich verteidigen können."
Ich wollte weder, dass mir etwas zustieß, noch, dass ich mich verteidigen musste.
„So ist es Teil der Atahans zu sein."
„Ich bin ein nichts von den Atahans! Ich will einfach nur meine Ruhe.", funkelte ich ihn an.

„Nicht den Kopf senken lassen. Du bist ziemlich gut für einen Anfänger, wirklich. Drei Gegenstände von fünf zu erschießen ist nicht einfach. Ich war schlimmer als du.", behauptete Serkan.
„Als ob?", fragte ich lachend.
Serkans Gesichtszüge erstarrte im nächsten Moment, dass sein Lächeln sich auflöste. Als ich mein Kopf nach vorn drehte, verstand ich auch warum. Devran hatte ihn im Visier.
„Verhält er sich dir gegenüber so seltsam?"
„Was meinst du mit seltsam?", hakte Serkan nach.
„Komisch eben. Mal ist er nett, mal kalt. Ich verstehe ihn nicht."
„Devran Abi hat in letzter Zeit viel um die Ohren. Es sind viele Dinge auf einmal passiert.", erfuhr ich daraufhin.
„Was? Schlimme Dinge?"
„Ich weiß nicht, ob ich es erzählen darf, aber es gibt Streit in der Familie. Das strapaziert ihn ziemlich. Nach der Schießerei hat Yaman unter anderem das Haus verlassen."
Schockiert richteten sich meine Braue in die Höhe.

„Devran Abi wurde für eine kurze Zeit in eine riesige Residenz mit hoher Sicherheit verlegt. Anschließend hat eine Konferenz mit den Oberen stattgefunden und sie sehen ein hohes Potenzial in ihn. Sie wollen ihm größere Geschäfte andrehen."
Erstaunt ließ ich die Worte auf mich wirken.
„Und wie wird es weitergehen?"
„Das wissen wir nicht. Aber Abi ist ab jetzt auch einer der größeren. Heute hat er sich Devran Escobar genannt.", teilte meine Posttaube mit. So viel zu: ich mache keine Witze, Devran.
„Was du nicht sagst...", kam ich ins Grübeln. Deshalb folgten also große Sicherheitsmaßnahmen. Ich fing an Devrans Bedenken zu verstehen.

„Was machen große Namen im Geschäft?", wollte ich wissen.
„Unterschiedliches. Liegt drauf an, welche Aufgabe man bekommt. Aber hauptsächlich riskantere Aufträge. Falsche Pässe organisieren, hochwertige Waffen importieren, Gegner ausspionieren und angreifen - alles mögliche Illegale."
„Das hört sich grausam an. Wie könnt ihr dabei unentdeckt blieben? Was ist mit den Behörden?"
„Die Behörden arbeiten teilweise mit uns. Wir planen unsere Geschäfte mit jahrelangen Erfahrungen. Abi hat einen neuen Auftrag bekommen. Er telefoniert wohl mit dem Vermittler. Kalashnikows aus Russland sollen einer sizilianische Mafia geliefert werden. Während Leute Schlange für den Auftrag stehen, hat Devran Abi die Aufgabe bekommen. Ich nehme an, sie Test ihn. Wenn er die Aufgabe erfolgreich abschließt, werden weitere Anweisungen folgen."
Kurz huschte mein Blick auf den noch telefonierenden Devran. Er kam mir auf einmal gefährlicher vor. Aber ich verstand sein wirres Verhalten. Auf ihn lasteten so viele Dinge und er nahm sich noch Zeit für mich. Ich glaube, ich war die Abwechslung in seinem Leben. Ich war die einzig ungefährliche, normale.
„Das Wirtschaftsmagazin hat übrigens die Ausgabe mit Devran Abis Interview freigegeben. Es ist klasse geworden.", teilte Serkan mit.
„Das will ich sehen."
„Es ist professionell geworden, so wie es sein sollte. Ich bin stolz auf ihn."
Das sah man ihm an.
„Wasser?", bot mir Serkan an, welches ich dankend annahm.

Die Wunde der VergangenheitWhere stories live. Discover now