Zweite Nacht

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„Cersei."
Er trat an das breite Himmelbett, in dem Cersei schon immer winzig ausgesehen hatte.
Zumindest wenn sie ruhig geschlafen hatte, so sanft und süß wie eine Lady.
Doch Cersei schlief nicht ruhig und auch wenn er wusste, dass sie krank war und er nicht zu streng mit ihr sein durfte hatten ihre Schreie ihn inzwischen schon zum dritten Mal von seiner Schreibarbeit aufschrecken lassen und er war langsam aber sicher am Ende seiner Geduld.

„Cersei.", sagte er noch einmal, lauter diesmal, doch Cersei erwachte nicht, stattdessen warf sie sich zur Seite, gab Laute von sich, die sich für eine Lannister nicht gehörten, Wortfetzen, deren Bedeutung er nicht erahnen konnte und auch nicht wollte.
Alles, was er verlangte war, dass sie aufhörte so laut zu winseln, dass es klang als schleppe sich ein sterbender Hund durch die Gänge von Casterlystein.
„Cersei Lannister.", er hatte seine Stimme gehoben, zu dem drohenden Tonfall, mit dem er für gewöhnlich selbst Cersei dazu brachte zu gehorchen, das sture, kleine Biest, das wenigstens die richtige Größe hatte und verstand die Menschen um sich herum für sich einzunehmen.
„Cersei, wach auf.", sprach er mit aller Autorität, die er aufbringen konnte, mit aller Strenge in seinen Worten.
Mit der Stimme, die in einem überfüllten Saal für augenblickliche Ruhe sorgen konnte, bei der ein jeder ehrfurchtsvoll schwieg, hoffend den Saal so bald wie möglich wieder verlassen zu können und bis dahin seinen Zorn nicht auf sich zu ziehen.
Doch Cersei schien nicht daran zu denken aufzuwachen, stattdessen hob sie ihre Hände an den Hals, als wolle sie eine unsichtbare Schlinge lockern, die sich zuzog, als wolle sie gegen jemanden kämpfen, der versuchte sie zu erwürgen.
Und dann...

Ein schreckliches Husten zerriss ihre Stimme, ein Husten, das Blut auf ihre Lippen treten ließ, doch er hatte den Namen unmissverständlich verstanden, wusste nach wem sie verlangte.
„Jaime.", wimmerte sie, wieder und immer wieder, auch als ihre Stimme heiser war und sie keine Luft mehr zu bekommen schien.
„Jaime! Jaime!"
„Wach auf, Cersei!", fauchte er sie an, packte seine Tochter an den Armen und schüttelte sie, bis Cersei ihre Augen aufschlug.
Er hätte zurückzucken mögen, als er die Hitze spürte, die von ihrem Körper ausging, das Fieber, das er durch den verschwitzten Stoff ihres Nachthemdes spürte konnte und das ihm für einen Moment das Gefühl gab, als würde er an einen Kessel mit kochendem Wasser fassen.
Doch er ließ es nicht zu.
Ein Lannister zuckte nicht zurück, schon gar nicht vor einem fiebernden Mädchen!

„Vater."
Es brauchte einen Moment bis Cersei sich gesammelt zu haben schien, das Blut von ihren Lippen geleckt hatte, auch wenn er ihr ein Taschentuch hingehalten hatte, das sie, als Zeichen ihres üblichen Trotzes, geflissentlich ignorierte.
„Es ist einer Lannister unwürdig sich derart zu verhalten, Cersei!", stellte er kühl fest, die Augen noch immer in das blasse, kranke Gesicht seiner Tochter gerichtet.
Ihre Augen schienen noch trüber zu sein als in der letzten Nacht, doch das kümmerte ihn kaum.
Schließlich hatte Maester Creylen ihm auch für diese Nacht vorhergesagt, dass Cersei zu krank war, um am Morgen wieder zu erwachen und er hatte die Worte mit einem kurzen Nicken, das einem schnellen Federstrich glich, abgewehrt, hatte mit einem Wort oder zweien auf seine Prognose für die letzte Nacht hingewiesen, die Cersei überlebt hatte.
Und wenn er ehrlich war, dann wirkte Cersei auch jetzt so weit entfernt vom Tod wie der Gnom.

„Ich habe geträumt, Vater!", murmelte sie leise, begleitet von einem matten Husten.
„Du hast meine Arbeit unterbrochen!"
„Verzeihung, Vater!"
Cersei blickte ihn matt an, einen vrunsicherten Blick in den Augen, doch er nickte nur.
„Versuche einfach ruhig zu schlafen, Cersei! Wenn du die ganze Nacht aufbleibst, dann wird es nur noch länger dauern bis es dir wieder besser geht!"
„Maester Creylen sagt...!"
„Maester Creylen irrt sich, Cersei!", erklärte er kurz angebunden. „Er irrt sich, weil er offensichtlich wenig Ahnung von Fieber hat!"
„Aber..."
„Widersprich nicht!", erwiderte er kühl und fügte, als er die Angst in ihren Augen sah ein kurzes „Du bist eine Lannister von Casterlystein. Eine Löwin kämpft gegen ein Fieber an und besiegt es, anstatt sich von ihm dahinraffen zu lassen wie ein Schaf aus dem gemeinen Volk!"
„Ja, Vater."

„Möchtest du etwas trinken, Cersei?"
Sie nickte und dieses Mal stützte er das Glas, als sie trank.
Nicht weil sie nicht selbst die Kraft dazu hätte, denn kein Lannister war jemals so schwach gewesen, dass er noch nicht einmal ein Glas zu halten vermochte.
Nur, weil er nur wenig Lust hatte zu sehen wie Cersei das Wasser aus schlichter Bösartigkeit verschüttete.
Sie hatte ihn für die Nacht schon genügend Nerven gekostet, nicht nur mit ihrem Geschrei, sondern auch mit der Sturheit, die ihm verriet, dass es mit dem Fieber, das sie am Tag in einen matten Dämmerschlaf versinken und in der Nacht frisch erwachen ließ, nicht so weit her sein konnte, wie Maester Creylen meinte zu wissen.
„Vater?"
„Cersei." Er hatte sich erheben wollen, doch Cerseis Stimme hatte ihn zurückgehalten, auch wenn etwas in ihm ihm mehr als deutlich sagte, dass er gehen sollte.
„Ich... ich..." Ein Husten. „Jaime?"
„In ganzen Sätzen, Cersei!", murmelte er kühl, beinahe angeekelt von dem Gedanken daran, dass das Fieber Cersei anscheinend Dinge hatte vergessen lassen, die sie schon mit 4 Jahren tadellos beherrscht hatte.
„Kann..."
Cersei hob schwach eine Hand vor ihren Mund, doch das Husten blieb aus, stattdessen räusperte sie sich nur kurz, auch wenn dieses Geräusch beinahe furchtbarer war, als alles was er jemals gehört hatte.
Er hätte gerne etwas gesagt, darüber dass so etwas bei einer Lady vornehmer zu klingen hatte, als bei einer Hafendirne von Lannisport, doch bevor er ansetzen konnte öffnete Cersei den Mund, um weiterzusprechen.
„Kann... Jaime... zu... mir... kommen?"

Sie atmete ein paar Mal tief, beinahe so als wäre sie erschöpft von diesem einen Satz und Tywin ahnte, dass sie ihm eine Lektion erteilen wollte.
„Cersei..."
„Bitte, Vater!"
In Cerseis grünen Augen schien ein Funke von Hoffnung aufzusteigen.
„Es ist mitten in der Nacht und Jaime ist noch nicht so gesund, dass er seinen Schlaf für deine Launen stören lassen sollte, Cersei.",, erklärte Lord Tywin ihr kurz und richtete sich auf um zu gehen, doch etwas hielt ihn zurück.
Cerseis Hand, die sich auf seine gelegt hatte.

„Vater, wenn... wenn ich sterbe..."
„Sei nicht melodramatisch, Cersei! Du bist eine Lannister! Keine Schauspielerin, die jedes Mal...!"
„Aber wenn... wenn ich sterbe..."
Cersei blickte ihn an und zum ersten Mal meinte er so etwas wie Sorge zu sehen, etwas wie Angst. Schlichte, lähmende Angst.
„Ich möchte... mich... mich verabschieden, Vater!"
„Genug jetzt, Cersei!", erklärte er streng, doch zu seiner Überraschung schreckte sie nicht zurück. Ihre Augen weiteten sich in Furcht, doch sie regte sich nicht, blieb weiterhin in ihre Kissen gestützt liegen und zog nicht einmal die heruntergerutschte Decke über ihre Brust, um sich unter ihr zu verstecken, wie es ihre Brüder zu seinem Leidwesen nur allzu gerne taten.
Das Mädchen hatte Mut, das musste er ihr lassen.
Auch wenn dieser Mut in ihr eher schadete als nützlich war.
„Deine Mutter, Cersei, hat drei Kinder zur Welt gebracht und hat sich nicht einmal mit solch einem Gewäsch gedemütigt wie du es gerade tust! Eine Lannister...!"
Cersei hustete wieder und dieses Mal schien ihr Husten eine Ewigkeit anzuhalten.
Er verschluckte seine Worte, ließ alles was er sagte in dem rauen Würgen untergehen, das ein paar Tropfen Blut in ihre Hand spritzen ließ.
„Bitte, Vater!", flüsterte sie noch einmal, dieses Mal wesentlich leiser und kam ihm dabei vor wie das kleine Kind, das sie einst gewesen war.

Er wusste nicht was ihn dazu brachte nach ihrem Bruder rufen zu lassen, doch es gelang ihr, wenngleich er sich eine gedankliche Notiz machte Cersei gründlich die Leviten über Manipulation des eigenen Vaters zu lesen, wenn sie wieder kräftig genug war, dass er sie in sein Solar zitieren konnte, wo die Türen Geräusche etwas besser anfingen als hier in ihrem Zimmer.
Er wollte ungern ganz Casterlystein an der Schmach teilhaben lassen, von der eigenen Tochter besiegt worden zu sein, die man nur deshalb als Frau bezeichnen konnte, weil sie zwei Monate zuvor in einem blutigen Laken erwacht war und die doch charakterlich noch immer das unreife, unfertige Kind war, mit dem sich kaum etwas anfangen ließ.

Jaime kam schnell, auf noch immer unsicheren Schritten, doch gekleidet als wäre er gerade zum Morgen aufgestanden. Tywin fragte nicht nach, sondern nahm es nur mit einem kurzen Nicken zur Kenntnis, das sich verfinsterte, kaum dass er sah, wen sein ältester Sohn im Schlepptau hatte.
„Er ist wach geworden und hatte Angst!", erklärte Jaime mit leiser, unangemessen hoher Stimme, die Augen gesenkt.
Nie wagte er es ihm in die Augen zu sehen, wenn er ihm etwas zu beichten hatte.
Das konnte allein Cersei und er schämte sich dafür, dass seine Tochter mehr Mut zu haben schien, als seine beiden Söhne zusammen.
Doch er nahm es hin, nickte nur und deutete auf Cerseis Bett.
Ihm war nicht entgangen, dass Jaimes Stimme noch immer belegt war und es jedes Mal wenn er sprach rau und kratzig klang, als wäre er noch immer sehr krank, doch es war nichts gegen Cerseis Reden, das klang, als würde man ihr den Hals von innen aufreißen.
Wenn sie nun ihre süße, sanfte Stimme nie wieder zurückbekommen würde...
Nun, er würde schon einen Weg finden es vor Prinz Rhaegar zu kaschieren und wenn er es sich recht überlegte, dann war es für Cersei vielleicht auch besser, wenn sie lernte den Mund zu halten, wie es einer Frau von Stand zukam.

„Wie geht es ihr?", erklang eine leise Stimme eben ihm und Tywin wusste woher sie kam, ohne dass er seinen Blick senken musste.
Tyrion.
Tyrion, der Gnom, der ihm seine Joanna genommen hatte.
Eine Ehefrau für einen mehr als lächerlichen Sohnersatz, nach dem er mit Freuden den nächstbesten Gegenstand geworfen hätte, alleine für diese Frage.
„Vater, ich...", setzte Tyrion wieder an, doch Tywin hielt seinen Blick auf Cerseis Bett gerichtet, auf Jaime, der sich in die Kissen neben ihr hatte fallen lassen und leise mit ihr zu sprechen schien, eine Hand auf ihre gelegt, sich mit der anderen abstützend, um sich immer wieder über sie zu beugen, sein Ohr so nahe an ihren Mund zu legen, dass er sie verstehen konnte, auch wenn sie nur flüsterte.
Er wollte etwas sagen, darüber dass sie lauter sprechen sollte, wenn sie schon etwas zu sagen hatte, doch einer weiteren Stimme gelang es seinen Zorn auf sich zu ziehen.
„Vater, ich habe sie schreien gehört Wenn Maester Creylen recht hat, dann..."
„Das ist nicht von Interesse für dich!", erwiderte Lord Tywin seinem jüngsten Sohn kühl, ohne ihm einen Blick zuzuwerfen.
Jaime und Cersei waren kurz aufgeschreckt, Jaime hatte einen Arm um seine Schwester gelegt, um sie vorsichtig hochzuziehen, auch wenn er sie sofort zurück in die Kissen sinken ließ, die er für sie aufgeschichtet hatte, sodass sie höher lag als zuvor.
„Vater, ich möchte nur..."
„Ich sagte dir bereits, dass es nicht von Interesse für dich ist!", Tywin hatte seine Stimme noch mehr erhoben und für einen Augenblick kümmerte es ihn nicht, was Jaime oder Cersei sagen würde, dass seine kleinen, goldenen Löwen, die er trotz allem als seine Kinder liebte, sich erschrecken könnten.
„Es steht dem Wilderer nicht zu sich bei seinem Herrn nach dem Schicksal des Hirsches zu erkundigen, den er versucht hat zu töten! Genauso steht es dir nicht...!"
„Vater, ich..."
„Schweig jetzt."
Es war spät und er neigte nicht dazu um diese Uhrzeit noch zu trinken, doch er griff nach dem gefüllten Weinkelch, den das Mädchen mit einem kurzen Nicken auf dem Tisch abgestellt hatte, nachdem er sie beauftragt hatte Jaime zu ihm zu bringen.
Woher hätte er auch wissen sollte, dass er den Gnom im Schlepptau hatte?

Er versuchte sich zurückzuerinnern und es kam ihm ungerecht vor, falsch.
Cersei hatte sich angesteckt, als sie sich um Jaime gekümmert hatte.
Eine Woche lang hatte sein Sohn im Fieber gelegen, des Nachts von unruhigen Träumen geplagt, tagsüber müde und lustlos gegen die Wand gestarrt und hatte sich nur von seiner Schwester unterhalten lassen.
Er hatte es nicht gerne gesehen, doch Cersei hatte ihrem Bruder vorgelesen, für ihn gesungen, seine Stirn mit einem feuchten Tuch gekühlt und ihn mit süßen Worten überredet zu trinken.
Sogar ihre Stickarbeit hatte sie an seinem Bett vollendet, während sie über ihn gewacht hatte und ihre Septa, die von Früh bis spät ein Auge auf das Mädchen gehabt hatte, hatte Lady Cersei in höchsten Tönen gelobt für ihr Mitgefühl mit ihrem kanken Bruder und die Folgsamkeit, mit der sie sich an seinem Bett über ihre Stickarbeit gebeugt hatte und stumm und ohne Widerstand Stich um Stich gezogen hatte, kaum ein Wort sagend, in der Angst ihren Bruder zu wecken.
Kaum drei Tage, nachdem Jaimes Fieber gebrochen war und Maester Creylen ihm versichert hatte, dass sein Sohn und Erbe sich auf dem Wege der Besserung befand, war sie krank geworden und das schlimmer, als ihr Bruder jemals gewesen war.
Ihr Fieber war höher, sie schien selbst tagsüber zu schlafen und wenn sie einmal nicht schlief kaum einen klaren Moment zu haben und auch wenn Jaime unruhig gewesen war, konnte er sich nicht daran erinnern ihn schreien gehört zu haben.
Natürlich war er kein Mädchen wie Cersei, dennoch...
Mit einem Seufzen lehnte Lord Tywin sich in seinem Stuhl zurück.
Er dachte nur ungern daran, woher das Fieber gekommen war, das zuerst seinen Sohn befallen hatte und jetzt seine einzige Tochter in seinen unbarmherzigen Klauen hielt.

To defeat a LionWhere stories live. Discover now