Genervt schlage ich das Buch zu und werfe es auf die Couch neben mich. Typisch. War ja klar, dass die Protagonistin nur glücklich ist, wenn sie endlich einen Mann gefunden hat, der sie aus ihrem ewig dauernden Single-Leben erlöst hat.
Pah! Als bräuchte man unbedingt Männer. Viel zu viele Frauen warten auf den einen und hoffen, mit ihm wird alles besser. Aber ein Partner sollte das sein was er ist - ein Partner. Kein Lebensinhalt. Mit ihm sollte das Leben angenehm werden, nicht vollkommen. Das sollte es schon vorher sein. Die Luft in meinem Zimmer ist drückend und viel zu warm. Die modernen Heizungen wurden im Laufe der Grundrenovierung vor einigen Jahren neu eingebaut und passen eigentlich so überhaupt nicht zum sonstigen eher urigem Rest des Hauses. Die Wände sind so dick, dass Papa sich mit drei anderen Männern abwechseln musste, bis sie die Wand zwischen der alten Abstellkammer und der Toilette eingerissen haben. Der Boden besteht nahezu in jedem Zimmer aus inzwischen in die Jahre gekommenem Parkett aus Massivholz und knarzt an allen Ecken und Enden. Besonders toll, wenn man die Zeit fast vollkommen allein in dem Gruselanwesen verbringen muss, weil die Eltern auf einen spontanen Trip an die Küste sind. Versteht mich nicht falsch, ich liebe das Haus mit seinen geheimen Ecken – aber fast alleine hier, außer mit den Hausangestellten – wirkt das Ganze weniger romantisch-schön, sondern mehr „Jetzt kommt gleich ein Monster um die Ecke".
Ich sehe mich in meinem Zimmer um und puste mir seufzend eine Strähne aus dem Gesicht. Samstagabend und ich sitze zu Hause. Die graugestrichenen Wände erinnern mich an den Nebelsumpf, der unsere Kleinstadt vor allem in den kälteren Tagen einhüllt. Sie erdrücken mich und ich setze mich auf, um das Fenster an meinem Bett zu öffnen. Die frische, kühle Luft beruhigt meinen Puls wieder etwas. Der Wald vor meinem Fenster liegt schwarz und still unter mir. In der Ferne kann ich die Straßenbeleuchtung der langen Auffahrt zu unserem Anwesen erkennen, aber auch sie verschwinden mehr im Nebel als dass sie sichtbar wären. Von Sternen oder dem Mond ist auch jetzt nichts zu erkennen. Kein Wunder, der Nebel ist so dicht wie Jesse Pilgrim auf der letzten Homeparty von Taylor Beows. Ich strecke die Hand aus, in der Hoffnung, etwas von dem Nebel einzufangen. Im Wald unter meinem Fenster knackt es, was mich dazu veranlasst, das Fenster hysterisch kichernd zu schließen und mich unter meiner Bettdecke zu verstecken. An mir ist wahrlich eine Schauspielerin für einen Horrorfilm verloren gegangen. Ein sanftes Klopfen lässt mich vorsichtig aus meinem Bett blinzeln.
Mit einem „Mh?", erkundige ich mich nach dem Besucher vor meiner Tür und versuche zeitgleich, mir meine schwarzen Haare aus dem Gesicht zu streifen.
Die Tür öffnet sich und Gretchen, unsere Haushälterin, sieht sich suchend um.
„Miss Ivory, ich wollte mich erkundigen, ob Sie noch etwas brauchen? Es ist schon spät und ich würde dann ins Bett gehen.
„Aber natürlich, Gretchen, gehen Sie schlafen. Ich brauche nichts mehr, danke."
„Sie wissen, wenn was ist, einfach klingeln." Ich folge ihrer Handbewegung, die das Läuten einer Glocke imitiert.
Ich nicke. „Gute Nacht"
„Gute Nacht, meine Liebe", sie stockt und runzelt die Stirn „Sie sehen blass aus, vielleicht mache ich Ihnen noch eine Tasse heißen Kakao."
Lachend schüttle ich den Kopf. „Nicht nötig, Gretchen. Danke."
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At Nightfall
Mystery / ThrillerIvy Elderwoods lebt im dauernebligen verregneten Hallwich Falls und versucht, ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Doch die Rivalität zwischen der Familie Elderwoods und der Familie Ruddbone macht ihr immer wieder ei...