21: Auferstehung

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Die Stille des Waldes, das feuchte Moos, die frühlingshaft süßen Gerüche und das zurückhaltende Zwitschern der Vögel sollten mich beruhigen, doch die Gedanken und Fragen stachen weiter auf mich ein. Wie kleine Nadeln versenkten sie sich in meiner Haut, bis nur noch das Nadelöhr herauslugte.

Mein Kopf dröhnte. Etwas darin wollte aus meiner Schädeldecke herausbrechen und ich hoffte inständig, dass es sich dabei nicht um meinen Verstand handelte.

In diesem Wald fühlte ich mich nicht unsichtbar. Das wäre zu einfach. Ich fühlte mich sichtbar, offengelegt wie der Baum, der zu meinen Füßen lag und einem Sturm zum Opfer gefallen sein musste. Seine Rinde war aufgebrochen, seine hellen Fasern darunter den Käfern und Pilzen zum Fraß vorgeworfen. Ich fühlte mich sichtbar und doch ignoriert von der Welt, die mich mit Niederlagen strafte. Strafte sie mich für meinen Verrat? Fühlte sich so die Sünde an?

Ich rupfte einen Pilz heraus, einen Austernseitling, der sich im aufgebrochenen Baum hineingefressen hatte und nun würde ich ihn essen. Pilze gehörten nicht zu meiner Leibspeise, aber ich brauchte Nahrung, um zu Kräften zu kommen. Die beiden Griva, die mir seit dem Angriff auf Macoon kaum von der Seite wichen, waren zur Jagd aufgebrochen und ich wusste nicht, ob sie ihre Beute mit mir teilen würden.

Eine Weile streunte ich durch den Wald, der mich zurück zu meiner Heimatstadt führen könnte, wenn ich den richtigen Pfaden folgen würde, aber ich durfte nicht zurück. Ich zwang mich, nach vorn zu schauen und stolperte, stürzte. Meine Handinnenfläche blutete und meine Schulter, in der einst ein Pfeil gesteckt hatte, pochte.

Ich vermisste die Nordmänner. Ich vermisste sogar diejenigen, die mir nicht getraut hatten, die dachten, ich sei eine Verräterin. Ich sehnte mich nach Itas Nörgeln, nach ihrem Zetern und den leisen Erniedrigungen, die sie für mich ausheckte. Sie hatte mich nie wirklich gemocht, doch sogar sie hatte erkannt, dass ich kein Klotz an ihrem Bein war.

Seufzend wischte ich mir das Blut am Hosenbein ab und sammelte die Pilze, die sich beim Sturz über den Waldboden verteilt hatten, ein. Mein ausgeleiertes Hemd benutzte ich als Schürze, in der ich die Pilze vor meinem Bauch trug. Als sich der Stoff ausbeulte, wanderte ich den Trampelpfad zurück zu meinem kleinen Unterstand, den ich aus abgebrochenen Zweigen und Tannengrün gebaut hatte.

Ich vermisste Mikael, der eingewilligt hatte, mich im Bogenschießen zu trainieren und der mir die Flucht ermöglicht hatte. Immerzu flüchtete ich. Ich war es leid, wegzulaufen und andere im Stich zu lassen. Mikael könnte verletzt, gefangen oder tot sein. Sowie Laris.

Ich erschauderte, stach einen Stock durch die Pilze und rammte das andere Ende in den Boden. Sie schmorten über dem kleinen Feuer, das ich mit getrockneten Ästen und Laub fütterte.

Mikael hatte geahnt, dass ich nicht von heute auf morgen eine Kriegerin werden würde. Für ihn war ich fernab von einer Kämpferin, einer Windreiterin, die mit ihnen Seite an Seite andere Städte einnahm. Trotzdem hatte er versucht, mich auszubilden, doch die Zeit spielte gegen uns.

Und Laris? Ich erinnerte mich daran, wie er von einem schweren Eisenhaken durchbohrt und von uns weggezerrt worden war. Operras Soldaten hatten ihn gefangengenommen, nicht getötet – das redete ich mich zumindest weiterhin ein. Wieso gerade ihn? Laris war ihnen sicher kein Unbekannter, deswegen müssten sie wissen, dass er einer Folter standhalten würde. Wieso ihn also gefangen nehmen und nicht an Ort und Stelle ausschalten? Was verband Laris mit dem Westen?

Ich stocherte im Feuer herum und biss mir auf die Lippe. Mir fehlten zu viele Informationen, um aus dem Wirrwarr in meinem Kopf ein klares Bild zu zeichnen. Da war Laris Gefangennahme, Operra, Galbea und Elenor Dorenis, die als Mosaikstücke herumschwirrten, doch nicht ineinandergriffen.

Griva - Die WindreiterWhere stories live. Discover now