Prolog

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Er war schon immer eine ruhige Person gewesen. Nichts brachte ihn aus der Ruhe, zumindest nicht so, dass man es ihm ansehen konnte. Er war alles andere als ein Feigling, denn er sah den Dingen stets ins Auge. Aber ein Held war er auch nicht. Er widersetzte sich seinem Schicksal nicht, das war das einzige, was er tat. Er kämpfte nie gegen etwas an, aber auch nie für etwas. Selbst als er diesen Unfall hatte, blieb er absolut umgänglich und regte sich nicht auf. Seine Familie und seine Freunde redeten auf ihn ein, gaben sich selbst und einander die Schuld, weinten und spielten teilweise völlig verrückt. Nur er schien ganz unbeeindruckt. Als hätte er schon immer gewusst, dass alles genau so kommt. Seine Ärzte interpretierten dieses Verhalten ganz anders und gaben ihm starke Medikamente. Auch dagegen wehrte er sich nicht. Er tat es schulterzuckend ab, dass sie ihm damit helfen wollten seine Gefühle auszuleben. Er fand nicht, dass er das nicht tat. Eine ganze Weile nachdem er unter Medikamente gesetzt wurde, schien es ihm endlich besser zu gehen. So empfand es zumindest seine Familie und sein Freundeskreis. Er lachte viel, machte blöde Witze mit ihnen, mehr als sonst. Er wurde lauter und schreckhafter, lebendiger. Und so legten sich die Sorgen der anderen. Er kümmerte sich auch mehr um seine früheren Lieblingsbeschäftigungen. Dazu gehörte ganz besonders das Malen. Er liebte die Malerei. Er liebte den Anblick von bunten Farben, Leinwänden, Stiften und Pinseln und dem Chaos in seinem Zimmer. Er musste innerlich jedes Mal grinsen, wenn er daran dachte, wie seine Eltern ihn früher immer ermahnt hatten, weil er nie aufgeräumt hatte. Nun erwarteten sie gar nichts mehr von ihm und nahmen ihm alles ab, sobald sie die Chance dazu bekamen. Und das alles nur wegen einem Rollstuhl. Er wollte das nicht so recht einsehen. All die traurigen Dinge, die ihm andere erzählten, er verstand das nicht. Er war zufrieden, auch wenn er nicht mehr laufen konnte. Er war kein Sportler gewesen, ansonsten hätte ihn das bestimmt schwer getroffen, so dachte er. Er war ein kleiner Künstler und nun hatte er noch mehr Zeit für seine Kunst. So schob er alle düsteren Gedanken beiseite. So lebte er ein Jahr. Am Jahrestag seines Unfalls wurde er ein wenig melancholisch und rief einen seiner engeren Freunde an. Er wollte den Kopf frei kriegen und deshalb ein bisschen durch die Stadt spazieren, allerdings nicht allein. Sein Freund, der immer ein guter Freund gewesen war, sagte sofort zu und machte sich auf den Weg, um ihn abzuholen. Die beiden verbrachten einen schönen Tag und er fühlte sich am Abend viel besser und erfrischter. Der Jahrestag, der sich so mulmig anfühlte, war nun bald vorbei. Das erleichterte ihn. Als die beiden nur noch wenige Straßen von seiner Wohnung entfernt waren, bestand er darauf, dass sein Freund schon nach hause gehen konnte. Nach einiger Diskussion ließ sein Freund ihn die letzte Strecke allein fahren. Auf dem Weg kam er an einem kleinen Laden vorbei. Den hatte er vorher noch nie gesehen, er musste ganz neu sein. Schließlich kannte er die Gegend. Es war einer dieser Kramläden, allerdings standen viele Malutensilien im Schaufenster, sodass er unbedingt einmal einen Blick riskieren wollte. Es würde ihm gerade recht passen, wenn es hier alles geben würde, was er für seine Zeichnungen und Malereien immer mal wieder brauchte. Er stoppte allerdings vor den wenigen Stufen, die zur Tür des Ladens führten. Etwas niedergeschlagen rief er ein paar Mal laut. Als er fast schon aufgeben wollte, kam eine Frau heraus, die Besitzerin des kleinen Ladens.

»Oh ... Entschuldigung.« Er wusste nicht, wofür sie sich entschuldigte.

»Ich würde gerne rein kommen ...«, sprach er und presste danach die Lippen aufeinander.

»Natürlich, ich helfe Ihnen.«, meinte die Frau freundlich und lächelte. Er empfand sie sofort als sympathisch. Nach einigem Schieben war er schließlich mitten im Laden. Alles war ziemlich voll gestellt und unordentlich. Wie in seinem kleinen Atelier. Er mochte die Atmosphäre hier sofort und der Geruch von Farbe, der in der Luft lag, gab ihm ein vertrautes Gefühl. Nachdem die Frau wieder hinter dem Tresen stand, fragte er sie:

»Sind Sie neu hier? Ich wohne hier ganz in der Nähe, aber Ihren Laden hab ich noch nie gesehen.«

»Ja, genau.«, gab sie kurz und knapp zurück. Nach einiger Zeit, in der er sich alles ganz genau angeschaut hatte, fuhr er zum Tresen und meinte fröhlich:

»Wissen Sie, ich male sehr viel, da kommt mir Ihr Laden hier gerade recht. Sie haben tolle Leinwände und Farben. Wie lange haben sie geöffnet? Ich hab leider nicht mehr besonders viel Geld dabei, aber wenn sie noch eine Weile auf haben, fahr ich eben nach hause und komm dann wieder.«

»Ach, das freut mich ... Wirklich ... Aber ich muss gleich schließen, tut mir sehr Leid.«

»Oh, verstehe. Ist ja auch spät. Dann komm ich morgen wieder.«

»Eh ... Tut mir wirklich Leid, aber morgen haben wir nicht auf ... Das Geschäft läuft nicht besonders und eh ... Ich denke nicht, dass ich die Miete weiter bezahlen kann, also ...«

»Was? Oh, wie Schade ... Wirklich schade.«, bedauerte er und wunderte sich zugleich. Der Laden war doch noch gar nicht lange hier. Ihm kam das alles seltsam vor.

»Wissen Sie, wenn Sie gerne malen, würde ich Ihnen gerne etwas schenken. Ich brauch es nicht mehr und kaufen wird es auch niemand ... So wie alles andere hier.« Die immer noch lächelnde Frau kramte ein Buch hervor und reichte es ihm über den Tresen.

»Ist nur ein normaler Block, aber das Papier ist echt gut zum zeichnen. Sehen Sie es als Werbegeschenk.«, fügte sie dann hinzu. Er lächelte ihr zu.

»Das ist aber nett, vielen Dank.«

»Keine Ursache! So, entschuldigen Sie meine direkte Art, aber ich muss nun wirklich ...«

»Oh, kein Problem.«

»Ich helfe Ihnen selbstverständlich raus.« Als er wieder auf der Straße und im Dunklen war, winkte er der Frau, bevor sie die Tür schloss. Sie winkte zurück und meinte:

»Zeichnen Sie was Schönes.« Auf dem Nachhauseweg schmunzelte er mehrmals in sich hinein. So eine seltsame Begegnung hatte er lange nicht mehr gehabt. Und dann betrachtete er das Buch, das auf seinem Schoss lag. Es war Außenrum ausgiebig und detailliert verziert. Für einen normalen Block ungewöhnlich. Er grinste nochmal, als er ihm der Gedanke kam, dass das der Zeichenblock der Frau gewesen war. Warum schenkte sie ihm den? In seiner Wohnung angekommen blieb er noch ein paar Stunden wach. Er fühlte sich nicht müde. Schließlich setzte er sich noch in der gleichen Nacht an seinen Schreibtisch, klappte den merkwürdigen Block auf und begutachtete ihn genauer. Ein paar Seiten waren herausgerissen. Er saß eine Weile schweigend da und dachte nach. Dann wollt er etwas in seinen neuen Block zeichnen.

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